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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Die griechische Mythologie ist zum Theil eine solche Übersetzung einer Nazionalreligion. Auch die moderne Madonna ist ein solcher Mythus.

Grammatische Übersetzungen sind die Übersetzungen im gewöhnlichen Sinn. Sie erfordern sehr viel Gelehrsamkeit, aber nur diskursive Fähigkeiten.

Zu den verändernden Übersetzungen gehört, wenn sie ächt seyn sollen, der höchste poetische Geist. Sie fallen leicht ins Travestiren, wie Bürgers Homer in Jamben, Popens Homer, die Französischen Übersetzungen insgesamt. Der wahre Übersetzer dieser Art muß in der That der Künstler selbst seyn, und die Jdee des Ganzen beliebig so oder so geben können. Er muß der Dichter des Dichters seyn und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Jdee zugleich reden lassen können. Jn einem ähnlichen Verhältnisse steht der Genius der Menschheit mit jedem einzelnen Menschen.

Nicht bloß Bücher, alles kann auf diese drey Arten übersetzt werden.



Jm höchsten Schmerz tritt zuweilen eine Paralysis der Empfindsamkeit ein. Die Seele zersetzt sich. Daher der tödliche Frost, die freye Denkkraft, der schmetternde unaufhörliche Witz dieser Art von Verzweiflung. Keine Neigung ist mehr vorhanden; der Mensch steht wie eine verderbliche Macht allein. Unverbunden mit der übrigen Welt verzehrt er sich allmählig selbst, und ist seinem Princip nach Misanthrop und Misotheos.



Die griechische Mythologie ist zum Theil eine solche Übersetzung einer Nazionalreligion. Auch die moderne Madonna ist ein solcher Mythus.

Grammatische Übersetzungen sind die Übersetzungen im gewoͤhnlichen Sinn. Sie erfordern sehr viel Gelehrsamkeit, aber nur diskursive Faͤhigkeiten.

Zu den veraͤndernden Übersetzungen gehoͤrt, wenn sie aͤcht seyn sollen, der hoͤchste poetische Geist. Sie fallen leicht ins Travestiren, wie Buͤrgers Homer in Jamben, Popens Homer, die Franzoͤsischen Übersetzungen insgesamt. Der wahre Übersetzer dieser Art muß in der That der Kuͤnstler selbst seyn, und die Jdee des Ganzen beliebig so oder so geben koͤnnen. Er muß der Dichter des Dichters seyn und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Jdee zugleich reden lassen koͤnnen. Jn einem aͤhnlichen Verhaͤltnisse steht der Genius der Menschheit mit jedem einzelnen Menschen.

Nicht bloß Buͤcher, alles kann auf diese drey Arten uͤbersetzt werden.



Jm hoͤchsten Schmerz tritt zuweilen eine Paralysis der Empfindsamkeit ein. Die Seele zersetzt sich. Daher der toͤdliche Frost, die freye Denkkraft, der schmetternde unaufhoͤrliche Witz dieser Art von Verzweiflung. Keine Neigung ist mehr vorhanden; der Mensch steht wie eine verderbliche Macht allein. Unverbunden mit der uͤbrigen Welt verzehrt er sich allmaͤhlig selbst, und ist seinem Princip nach Misanthrop und Misotheos.



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[89/0100] Die griechische Mythologie ist zum Theil eine solche Übersetzung einer Nazionalreligion. Auch die moderne Madonna ist ein solcher Mythus. Grammatische Übersetzungen sind die Übersetzungen im gewoͤhnlichen Sinn. Sie erfordern sehr viel Gelehrsamkeit, aber nur diskursive Faͤhigkeiten. Zu den veraͤndernden Übersetzungen gehoͤrt, wenn sie aͤcht seyn sollen, der hoͤchste poetische Geist. Sie fallen leicht ins Travestiren, wie Buͤrgers Homer in Jamben, Popens Homer, die Franzoͤsischen Übersetzungen insgesamt. Der wahre Übersetzer dieser Art muß in der That der Kuͤnstler selbst seyn, und die Jdee des Ganzen beliebig so oder so geben koͤnnen. Er muß der Dichter des Dichters seyn und ihn also nach seiner und des Dichters eigner Jdee zugleich reden lassen koͤnnen. Jn einem aͤhnlichen Verhaͤltnisse steht der Genius der Menschheit mit jedem einzelnen Menschen. Nicht bloß Buͤcher, alles kann auf diese drey Arten uͤbersetzt werden. Jm hoͤchsten Schmerz tritt zuweilen eine Paralysis der Empfindsamkeit ein. Die Seele zersetzt sich. Daher der toͤdliche Frost, die freye Denkkraft, der schmetternde unaufhoͤrliche Witz dieser Art von Verzweiflung. Keine Neigung ist mehr vorhanden; der Mensch steht wie eine verderbliche Macht allein. Unverbunden mit der uͤbrigen Welt verzehrt er sich allmaͤhlig selbst, und ist seinem Princip nach Misanthrop und Misotheos.

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1798/100>, abgerufen am 18.05.2024.