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Schirmer, David: Erstes Poetische Rosen-Gepüsche. Halle, 1650.

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möchte/ kan ich noch nicht sehen. Sehr bey-
fällig und auf meiner Seiten scheinet zu seyn
was der vorneme Niderländer Daniel Hein-
sius an den Edlen Adrian Mainekern schrei-
bet/ daß wie ein weiser Mann/ der niemals ge-
lachet habe/ nicht allerdinge zu loben sey/ also
auch die jenigen nicht zu billigen weren/ welche
jhre Musen mit den keuschen Gratien niemals
vereinbarten/ und also allerhand Schertz-
reden und lustige Erquickungen/ doch ohne
verletzung der Zucht und Erbarkeit/ sich nicht
auch belieben liessen. Und diß wil uns auch
die Natur zu verstehen geben. Sie hat zwar
fast eine jede Zeit einer vergönlichen Lust und
freyen Ergötzligkeit gewidmet/ doch aber mit
einer bequemen unb absonderlichen die Liebe
voraus bedencken wollen. Wer sihet nicht/
daß wir auf den rauhen und mürrischen Win-
ter die allerschönste Liebligkeit des anmuhti-
gen Frühlings zu gewarten haben? Und diese
ist eben die geringe Zeit/ welche bey den Alten
der Venus geheiliget/ und daher nicht unrecht
von einem vornehmen Poeten die liebe Zeit
genennet worden. Du must es ja/ Leser/ selbst
gestehen/ wenn du es genauer erwegen woltest/
daß die heitere und warme Luft/ wenn sie die
Mutter aller Dinge ümfänget und in die Ar-
men nimmet/ zu verstehen geben wolle/ daß wir
nicht leblose Felsen und unempfindliche Klötze

seyn

moͤchte/ kan ich noch nicht ſehen. Sehr bey-
faͤllig und auf meiner Seiten ſcheinet zu ſeyn
was der vorneme Niderlaͤnder Daniel Hein-
ſius an den Edlen Adrian Mainekern ſchrei-
bet/ daß wie ein weiſer Mañ/ der niemals ge-
lachet habe/ nicht allerdinge zu loben ſey/ alſo
auch die jenigen nicht zu billigẽ weren/ welche
jhre Muſen mit den keuſchẽ Gratien niemals
vereinbarten/ und alſo allerhand Schertz-
reden und luſtige Erquickungen/ doch ohne
verletzung der Zucht und Erbarkeit/ ſich nicht
auch belieben lieſſen. Und diß wil uns auch
die Natur zu verſtehen geben. Sie hat zwar
faſt eine jede Zeit einer vergoͤnlichen Luſt und
freyen Ergoͤtzligkeit gewidmet/ doch aber mit
einer bequemen unb abſonderlichen die Liebe
voraus bedencken wollen. Wer ſihet nicht/
daß wir auf den rauhen uñ muͤrriſchen Win-
ter die allerſchoͤnſte Liebligkeit des anmuhti-
gen Fruͤhlings zu gewarten haben? Und dieſe
iſt eben die geringe Zeit/ welche bey den Alten
der Venus geheiliget/ uñ daher nicht unrecht
von einem vornehmen Poeten die liebe Zeit
genennet worden. Du muſt es ja/ Leſer/ ſelbſt
geſtehen/ weñ du es genauer erwegen wolteſt/
daß die heitere und warme Luft/ wenn ſie die
Mutter aller Dinge uͤmfaͤnget und in die Ar-
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[0018] moͤchte/ kan ich noch nicht ſehen. Sehr bey- faͤllig und auf meiner Seiten ſcheinet zu ſeyn was der vorneme Niderlaͤnder Daniel Hein- ſius an den Edlen Adrian Mainekern ſchrei- bet/ daß wie ein weiſer Mañ/ der niemals ge- lachet habe/ nicht allerdinge zu loben ſey/ alſo auch die jenigen nicht zu billigẽ weren/ welche jhre Muſen mit den keuſchẽ Gratien niemals vereinbarten/ und alſo allerhand Schertz- reden und luſtige Erquickungen/ doch ohne verletzung der Zucht und Erbarkeit/ ſich nicht auch belieben lieſſen. Und diß wil uns auch die Natur zu verſtehen geben. Sie hat zwar faſt eine jede Zeit einer vergoͤnlichen Luſt und freyen Ergoͤtzligkeit gewidmet/ doch aber mit einer bequemen unb abſonderlichen die Liebe voraus bedencken wollen. Wer ſihet nicht/ daß wir auf den rauhen uñ muͤrriſchen Win- ter die allerſchoͤnſte Liebligkeit des anmuhti- gen Fruͤhlings zu gewarten haben? Und dieſe iſt eben die geringe Zeit/ welche bey den Alten der Venus geheiliget/ uñ daher nicht unrecht von einem vornehmen Poeten die liebe Zeit genennet worden. Du muſt es ja/ Leſer/ ſelbſt geſtehen/ weñ du es genauer erwegen wolteſt/ daß die heitere und warme Luft/ wenn ſie die Mutter aller Dinge uͤmfaͤnget und in die Ar- men nim̃et/ zu verſtehen geben wolle/ daß wir nicht lebloſe Felſen uñ unempfindliche Kloͤtze ſeyn

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Zitationshilfe: Schirmer, David: Erstes Poetische Rosen-Gepüsche. Halle, 1650, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schirmer_rosengepuesche_1650/18>, abgerufen am 11.12.2024.