Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.Die Räuber, aus eben dem Ofen geschossen worden, aus demdu geschossen bist -- also sei er dir heilig! -- Merkt doch einmal diese verzwickte Consequenz, diesen poßierlichen Schluß von der Nachbarschaft der Leiber auf die Harmonie der Geister; von eben derselben Heimat zu eben derselben Empfindung; von einerley Kost zu einerley Neigung. Aber wei- ter -- es ist dein Vater! Er hat dir das Leben ge- geben, du bist sein Fleisch, sein Blut -- also sey er dir heilig. Wiederum eine schlaue Konsequenz! Jch möchte doch fragen, warum hat er mich ge- macht? doch wol nicht gar aus Liebe zu mir, der erst ein Jch werden sollte? Hat er mich gekannt ehe er mich machte? Oder hat er mich gedacht, wie er mich machte? Oder hat er mich gewünscht, da er mich machte? Wußte er was ich werden würde? das wollt ich ihm nicht rathen, sonst möcht ich ihn dafür strafen, daß er mich doch gemacht hat? Kann ichs ihm Dank wissen, daß ich ein Mann wurde? So wenig als ich ihn verklagen könnte, wenn er ein Weib aus mir gemacht hätte. Kann ich eine Liebe erkennen, die sich nicht auf Achtung gegen mein Selbst gründet? Konnte Achtung ge- gen mein Selbst vorhanden seyn, das erst dardurch entstehen sollte, davon es die Voraussetzung seyn muß? Wo stikt dann nun das Heilige? Etwa im Aktus selber durch den ich entstund? -- Als wenn dieser etwas mehr wäre als viehischer Prozeß zur Stil- lung
Die Raͤuber, aus eben dem Ofen geſchoſſen worden, aus demdu geſchoſſen biſt — alſo ſei er dir heilig! — Merkt doch einmal dieſe verzwickte Conſequenz, dieſen poßierlichen Schluß von der Nachbarſchaft der Leiber auf die Harmonie der Geiſter; von eben derſelben Heimat zu eben derſelben Empfindung; von einerley Koſt zu einerley Neigung. Aber wei- ter — es iſt dein Vater! Er hat dir das Leben ge- geben, du biſt ſein Fleiſch, ſein Blut — alſo ſey er dir heilig. Wiederum eine ſchlaue Konſequenz! Jch moͤchte doch fragen, warum hat er mich ge- macht? doch wol nicht gar aus Liebe zu mir, der erſt ein Jch werden ſollte? Hat er mich gekannt ehe er mich machte? Oder hat er mich gedacht, wie er mich machte? Oder hat er mich gewuͤnſcht, da er mich machte? Wußte er was ich werden wuͤrde? das wollt ich ihm nicht rathen, ſonſt moͤcht ich ihn dafuͤr ſtrafen, daß er mich doch gemacht hat? Kann ichs ihm Dank wiſſen, daß ich ein Mann wurde? So wenig als ich ihn verklagen koͤnnte, wenn er ein Weib aus mir gemacht haͤtte. Kann ich eine Liebe erkennen, die ſich nicht auf Achtung gegen mein Selbſt gruͤndet? Konnte Achtung ge- gen mein Selbſt vorhanden ſeyn, das erſt dardurch entſtehen ſollte, davon es die Vorausſetzung ſeyn muß? Wo ſtikt dann nun das Heilige? Etwa im Aktus ſelber durch den ich entſtund? — Als wenn dieſer etwas mehr waͤre als viehiſcher Prozeß zur Stil- lung
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Die Raͤuber,
aus eben dem Ofen geſchoſſen worden, aus dem
du geſchoſſen biſt — alſo ſei er dir heilig! —
Merkt doch einmal dieſe verzwickte Conſequenz,
dieſen poßierlichen Schluß von der Nachbarſchaft
der Leiber auf die Harmonie der Geiſter; von eben
derſelben Heimat zu eben derſelben Empfindung;
von einerley Koſt zu einerley Neigung. Aber wei-
ter — es iſt dein Vater! Er hat dir das Leben ge-
geben, du biſt ſein Fleiſch, ſein Blut — alſo ſey
er dir heilig. Wiederum eine ſchlaue Konſequenz!
Jch moͤchte doch fragen, warum hat er mich ge-
macht? doch wol nicht gar aus Liebe zu mir, der
erſt ein Jch werden ſollte? Hat er mich gekannt
ehe er mich machte? Oder hat er mich gedacht,
wie er mich machte? Oder hat er mich gewuͤnſcht,
da er mich machte? Wußte er was ich werden
wuͤrde? das wollt ich ihm nicht rathen, ſonſt moͤcht
ich ihn dafuͤr ſtrafen, daß er mich doch gemacht hat?
Kann ichs ihm Dank wiſſen, daß ich ein Mann
wurde? So wenig als ich ihn verklagen koͤnnte,
wenn er ein Weib aus mir gemacht haͤtte. Kann
ich eine Liebe erkennen, die ſich nicht auf Achtung
gegen mein Selbſt gruͤndet? Konnte Achtung ge-
gen mein Selbſt vorhanden ſeyn, das erſt dardurch
entſtehen ſollte, davon es die Vorausſetzung ſeyn muß?
Wo ſtikt dann nun das Heilige? Etwa im Aktus
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