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Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781.

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ein Schauspiel.
gewickelt wie ein Toder. Jch krazte an dem De-
ckel der Bahre. Er ward aufgethan. Es war
finstere Nacht, mein Sohn Franz stand vor mir, --
Was? rief er mit entsezlicher Stimme, willst du
dann ewig leben? -- und gleich flog der Sargde-
kel wieder zu. Der Donner dieser Worte hatte mich
meiner Sinne beraubt, als ich wieder erwachte,
fühlt ich den Sarg erhoben und fortgeführt in ei-
nem Wagen eine halbe Stunde lang. Endlich
ward er geöffnet -- ich stand am Eingang dieses
Gewölbes, mein Sohn vor mir, und der Mann,
der mir das blutige Schwerd von Karln gebracht
hatte -- zehnmal umfaßt ich seine Knie, und bat
und flehte, und umfaßte sie und beschwur -- das
Flehen seines Vaters reichte nicht an sein Herz --
hinab mit dem Balg! donnerte es von seinem Mun-
de, er hat genug gelebt, und hinab ward ich ge-
stosen ohn Erbarmen, und mein Sohn Franz schlos
hinter mir zu.
Moor. Es ist nicht möglich, nicht möglich!
Jhr müßt euch geirrt haben.
Der alte Moor. Jch kann mich geirrt haben.
Höre weiter, aber zürne doch nicht! So lag ich
zwanzig Stunden, und kein Mensch gedachte mei-
ner Noth. Auch hat keines Menschen Fustritt je
diese Einöde betreten, denn die allgemeine Sage
geht, daß die Gespenster meiner Väter in diesen
Ruinen rasselnde Ketten schleifen, und in mitter-
nächt
M
ein Schauſpiel.
gewickelt wie ein Toder. Jch krazte an dem De-
ckel der Bahre. Er ward aufgethan. Es war
finſtere Nacht, mein Sohn Franz ſtand vor mir, —
Was? rief er mit entſezlicher Stimme, willſt du
dann ewig leben? — und gleich flog der Sargde-
kel wieder zu. Der Donner dieſer Worte hatte mich
meiner Sinne beraubt, als ich wieder erwachte,
fuͤhlt ich den Sarg erhoben und fortgefuͤhrt in ei-
nem Wagen eine halbe Stunde lang. Endlich
ward er geoͤffnet — ich ſtand am Eingang dieſes
Gewoͤlbes, mein Sohn vor mir, und der Mann,
der mir das blutige Schwerd von Karln gebracht
hatte — zehnmal umfaßt ich ſeine Knie, und bat
und flehte, und umfaßte ſie und beſchwur — das
Flehen ſeines Vaters reichte nicht an ſein Herz —
hinab mit dem Balg! donnerte es von ſeinem Mun-
de, er hat genug gelebt, und hinab ward ich ge-
ſtoſen ohn Erbarmen, und mein Sohn Franz ſchlos
hinter mir zu.
Moor. Es iſt nicht moͤglich, nicht moͤglich!
Jhr muͤßt euch geirrt haben.
Der alte Moor. Jch kann mich geirrt haben.
Hoͤre weiter, aber zuͤrne doch nicht! So lag ich
zwanzig Stunden, und kein Menſch gedachte mei-
ner Noth. Auch hat keines Menſchen Fustritt je
dieſe Einoͤde betreten, denn die allgemeine Sage
geht, daß die Geſpenſter meiner Vaͤter in dieſen
Ruinen raſſelnde Ketten ſchleifen, und in mitter-
naͤcht
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[177/0199] ein Schauſpiel. gewickelt wie ein Toder. Jch krazte an dem De- ckel der Bahre. Er ward aufgethan. Es war finſtere Nacht, mein Sohn Franz ſtand vor mir, — Was? rief er mit entſezlicher Stimme, willſt du dann ewig leben? — und gleich flog der Sargde- kel wieder zu. Der Donner dieſer Worte hatte mich meiner Sinne beraubt, als ich wieder erwachte, fuͤhlt ich den Sarg erhoben und fortgefuͤhrt in ei- nem Wagen eine halbe Stunde lang. Endlich ward er geoͤffnet — ich ſtand am Eingang dieſes Gewoͤlbes, mein Sohn vor mir, und der Mann, der mir das blutige Schwerd von Karln gebracht hatte — zehnmal umfaßt ich ſeine Knie, und bat und flehte, und umfaßte ſie und beſchwur — das Flehen ſeines Vaters reichte nicht an ſein Herz — hinab mit dem Balg! donnerte es von ſeinem Mun- de, er hat genug gelebt, und hinab ward ich ge- ſtoſen ohn Erbarmen, und mein Sohn Franz ſchlos hinter mir zu. Moor. Es iſt nicht moͤglich, nicht moͤglich! Jhr muͤßt euch geirrt haben. Der alte Moor. Jch kann mich geirrt haben. Hoͤre weiter, aber zuͤrne doch nicht! So lag ich zwanzig Stunden, und kein Menſch gedachte mei- ner Noth. Auch hat keines Menſchen Fustritt je dieſe Einoͤde betreten, denn die allgemeine Sage geht, daß die Geſpenſter meiner Vaͤter in dieſen Ruinen raſſelnde Ketten ſchleifen, und in mitter- naͤcht M

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die Räuber. [Stuttgart], Frankfurt u. a., 1781, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_raeuber_1781/199>, abgerufen am 02.05.2024.