Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 3:] Beschluß. In: Die Horen 1796, 1. St., T. VII., S. 75-122.

Bild:
<< vorherige Seite

VII.
Beschluß der Abhandlung
über
naive und sentimentalische Dichter,

nebst einigen Bemerkungen
einen charakteristischen Unterschied unter den Menschen
betreffend.

Ueber das Verhältniß beyder Dichtungsarten zu einan-
der und zu dem poetischen Ideale ist in den vorhergehen-
den Untersuchungen folgendes festgesetzt worden.

Dem naiven Dichter hat die Natur die Gunst erzeigt,
immer als eine ungetheilte Einheit zu wirken, in jedem
Moment ein selbstständiges und vollendetes Ganze zu
seyn und die Menschheit, ihrem vollen Gehalt nach, in
der Wirklichkeit darzustellen. Dem sentimentalischen hat
sie die Macht verliehen oder vielmehr einen lebendigen
Trieb eingeprägt, jene Einheit, die durch Abstraktion in
ihm aufgehoben worden, aus sich selbst wieder herzustel-
len, die Menschheit in sich vollständig zu machen, und
aus einem beschränkten Zustand zu einem unendlichen


VII.
Beſchluß der Abhandlung
uͤber
naive und ſentimentaliſche Dichter,

nebſt einigen Bemerkungen
einen charakteriſtiſchen Unterſchied unter den Menſchen
betreffend.

Ueber das Verhaͤltniß beyder Dichtungsarten zu einan-
der und zu dem poetiſchen Ideale iſt in den vorhergehen-
den Unterſuchungen folgendes feſtgeſetzt worden.

Dem naiven Dichter hat die Natur die Gunſt erzeigt,
immer als eine ungetheilte Einheit zu wirken, in jedem
Moment ein ſelbſtſtaͤndiges und vollendetes Ganze zu
ſeyn und die Menſchheit, ihrem vollen Gehalt nach, in
der Wirklichkeit darzuſtellen. Dem ſentimentaliſchen hat
ſie die Macht verliehen oder vielmehr einen lebendigen
Trieb eingepraͤgt, jene Einheit, die durch Abſtraktion in
ihm aufgehoben worden, aus ſich ſelbſt wieder herzuſtel-
len, die Menſchheit in ſich vollſtaͤndig zu machen, und
aus einem beſchraͤnkten Zuſtand zu einem unendlichen

<TEI>
  <text>
    <pb facs="#f0010" n="75"/>
    <body>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#aq">VII.</hi><lb/><hi rendition="#g">Be&#x017F;chluß der Abhandlung<lb/>
u&#x0364;ber<lb/>
naive und &#x017F;entimentali&#x017F;che Dichter,</hi><lb/>
neb&#x017F;t einigen Bemerkungen<lb/>
einen charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Unter&#x017F;chied unter den Men&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#g">betreffend.</hi></head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">U</hi>eber das Verha&#x0364;ltniß beyder Dichtungsarten zu einan-<lb/>
der und zu dem poeti&#x017F;chen Ideale i&#x017F;t in den vorhergehen-<lb/>
den Unter&#x017F;uchungen folgendes fe&#x017F;tge&#x017F;etzt worden.</p><lb/>
        <p>Dem naiven Dichter hat die Natur die Gun&#x017F;t erzeigt,<lb/>
immer als eine ungetheilte Einheit zu wirken, in jedem<lb/>
Moment ein &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndiges und vollendetes Ganze zu<lb/>
&#x017F;eyn und die Men&#x017F;chheit, ihrem vollen Gehalt nach, in<lb/>
der Wirklichkeit darzu&#x017F;tellen. Dem &#x017F;entimentali&#x017F;chen hat<lb/>
&#x017F;ie die Macht verliehen oder vielmehr einen lebendigen<lb/>
Trieb eingepra&#x0364;gt, jene Einheit, die durch Ab&#x017F;traktion in<lb/>
ihm aufgehoben worden, aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t wieder herzu&#x017F;tel-<lb/>
len, die Men&#x017F;chheit in &#x017F;ich voll&#x017F;ta&#x0364;ndig zu machen, und<lb/>
aus einem be&#x017F;chra&#x0364;nkten Zu&#x017F;tand zu einem unendlichen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0010] VII. Beſchluß der Abhandlung uͤber naive und ſentimentaliſche Dichter, nebſt einigen Bemerkungen einen charakteriſtiſchen Unterſchied unter den Menſchen betreffend. Ueber das Verhaͤltniß beyder Dichtungsarten zu einan- der und zu dem poetiſchen Ideale iſt in den vorhergehen- den Unterſuchungen folgendes feſtgeſetzt worden. Dem naiven Dichter hat die Natur die Gunſt erzeigt, immer als eine ungetheilte Einheit zu wirken, in jedem Moment ein ſelbſtſtaͤndiges und vollendetes Ganze zu ſeyn und die Menſchheit, ihrem vollen Gehalt nach, in der Wirklichkeit darzuſtellen. Dem ſentimentaliſchen hat ſie die Macht verliehen oder vielmehr einen lebendigen Trieb eingepraͤgt, jene Einheit, die durch Abſtraktion in ihm aufgehoben worden, aus ſich ſelbſt wieder herzuſtel- len, die Menſchheit in ſich vollſtaͤndig zu machen, und aus einem beſchraͤnkten Zuſtand zu einem unendlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive03_1796/10
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 3:] Beschluß. In: Die Horen 1796, 1. St., T. VII., S. 75-122, hier S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive03_1796/10>, abgerufen am 24.11.2024.