Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55.spaßhafte Wesen, gegen die herzlose Satyre, und die Ueber Siegwart und seine Klostergeschichte hat man * Man soll zwar gewissen Lesern ihr dürftiges Vergnügen
nicht verkümmern, und was geht es zuletzt die Critik an, wenn es Leute giebt, die sich an dem schmutzigen Witz des Herrn Blumauer erbauen und erlustigen können. Aber die Kunstrichter wenigstens sollten sich enthalten, mit einer gewissen Achtung von Produkten zu sprechen, deren Existenz dem guten Geschmack billig ein Geheim- niß bleiben sollte. Zwar ist weder wahres Talent noch Laune darinn zu verkennen, aber desto mehr ist zu beklagen, daß beydes nicht mehr gereiniget ist. Ich sage nichts von unsern deutschen Comödien; die Dichter mahlen die Zeit, in der sie leben. ſpaßhafte Weſen, gegen die herzloſe Satyre, und die Ueber Siegwart und ſeine Kloſtergeſchichte hat man * Man ſoll zwar gewiſſen Leſern ihr duͤrftiges Vergnuͤgen
nicht verkuͤmmern, und was geht es zuletzt die Critik an, wenn es Leute giebt, die ſich an dem ſchmutzigen Witz des Herrn Blumauer erbauen und erluſtigen koͤnnen. Aber die Kunſtrichter wenigſtens ſollten ſich enthalten, mit einer gewiſſen Achtung von Produkten zu ſprechen, deren Exiſtenz dem guten Geſchmack billig ein Geheim- niß bleiben ſollte. Zwar iſt weder wahres Talent noch Laune darinn zu verkennen, aber deſto mehr iſt zu beklagen, daß beydes nicht mehr gereiniget iſt. Ich ſage nichts von unſern deutſchen Comoͤdien; die Dichter mahlen die Zeit, in der ſie leben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0045" n="38"/> ſpaßhafte Weſen, gegen die herzloſe Satyre, und die<lb/> geiſtloſe Laune <note place="foot" n="*">Man ſoll zwar gewiſſen Leſern ihr duͤrftiges Vergnuͤgen<lb/> nicht verkuͤmmern, und was geht es zuletzt die Critik an,<lb/> wenn es Leute giebt, die ſich an dem ſchmutzigen Witz<lb/> des Herrn <hi rendition="#g">Blumauer</hi> erbauen und erluſtigen koͤnnen.<lb/> Aber die Kunſtrichter wenigſtens ſollten ſich enthalten,<lb/> mit einer gewiſſen Achtung von Produkten zu ſprechen,<lb/> deren Exiſtenz dem guten Geſchmack billig ein Geheim-<lb/> niß bleiben ſollte. Zwar iſt weder wahres Talent noch<lb/> Laune darinn zu verkennen, aber deſto mehr iſt zu beklagen,<lb/> daß beydes nicht mehr gereiniget iſt. Ich ſage nichts<lb/> von unſern deutſchen Comoͤdien; die Dichter mahlen die<lb/> Zeit, in der ſie leben.</note> zu beweiſen geneigt iſt, deutlich ge-<lb/> nug an den Tag legt, daß nicht aus ganz reinen Gruͤn-<lb/> den dagegen geeifert worden iſt. Auf der Wage des<lb/> aͤchten Geſchmacks kann das eine ſo wenig als das andere<lb/> etwas gelten, weil beyden der aeſthetiſche Gehalt fehlt,<lb/> der nur in der innigen Verbindung des Geiſtes mit dem<lb/> Stoff und in der vereinigten Beziehung eines Produktes<lb/> auf das Gefuͤhlvermoͤgen und auf das Ideenvermoͤgen<lb/> enthalten iſt.</p><lb/> <p>Ueber <hi rendition="#g">Siegwart</hi> und ſeine Kloſtergeſchichte hat man<lb/> geſpottet, und die <hi rendition="#g">Reiſen nach dem mittaͤglichen<lb/> Frankreich</hi> werden bewundert; dennoch haben beyde<lb/> Produkte gleich großen Anſpruch auf einen gewiſſen Grad<lb/> von Schaͤtzung, und gleich geringen auf ein unbedingtes<lb/> Lob. Wahre, obgleich uͤberſpannte Empfindung macht den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0045]
ſpaßhafte Weſen, gegen die herzloſe Satyre, und die
geiſtloſe Laune * zu beweiſen geneigt iſt, deutlich ge-
nug an den Tag legt, daß nicht aus ganz reinen Gruͤn-
den dagegen geeifert worden iſt. Auf der Wage des
aͤchten Geſchmacks kann das eine ſo wenig als das andere
etwas gelten, weil beyden der aeſthetiſche Gehalt fehlt,
der nur in der innigen Verbindung des Geiſtes mit dem
Stoff und in der vereinigten Beziehung eines Produktes
auf das Gefuͤhlvermoͤgen und auf das Ideenvermoͤgen
enthalten iſt.
Ueber Siegwart und ſeine Kloſtergeſchichte hat man
geſpottet, und die Reiſen nach dem mittaͤglichen
Frankreich werden bewundert; dennoch haben beyde
Produkte gleich großen Anſpruch auf einen gewiſſen Grad
von Schaͤtzung, und gleich geringen auf ein unbedingtes
Lob. Wahre, obgleich uͤberſpannte Empfindung macht den
* Man ſoll zwar gewiſſen Leſern ihr duͤrftiges Vergnuͤgen
nicht verkuͤmmern, und was geht es zuletzt die Critik an,
wenn es Leute giebt, die ſich an dem ſchmutzigen Witz
des Herrn Blumauer erbauen und erluſtigen koͤnnen.
Aber die Kunſtrichter wenigſtens ſollten ſich enthalten,
mit einer gewiſſen Achtung von Produkten zu ſprechen,
deren Exiſtenz dem guten Geſchmack billig ein Geheim-
niß bleiben ſollte. Zwar iſt weder wahres Talent noch
Laune darinn zu verkennen, aber deſto mehr iſt zu beklagen,
daß beydes nicht mehr gereiniget iſt. Ich ſage nichts
von unſern deutſchen Comoͤdien; die Dichter mahlen die
Zeit, in der ſie leben.
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Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55, hier S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive02_1795/45>, abgerufen am 16.07.2024. |