"Er ist mehr als das," sagte der Prinz, "er ist entscheidend. Diesen Ring empfing er von dem Mörder, und er mußte in demselben Augenblick ge¬ wiß seyn, daß es der Mörder war. Wer als der Mörder konnte dem Verstorbenen einen Ring ab¬ gezogen haben, den dieser gewiß nie vom Finger ließ? Uns suchte er die ganze Erzählung hindurch zu überreden, als ob er selbst von dem Ritter ge¬ täuscht worden, und als ob er geglaubt hätte ihn zu täuschen. Wozu diesen Winkelzug, wenn er nicht selbst bey sich fühlte, wie viel er verloren gab, wenn er sein Verständniß mit dem Mörder ein¬ räumte? Seine ganze Erzählung ist offenbar nichts, als eine Reihe von Erfindungen, um die wenigen Wahrheiten an einander zu hängen, die er uns preis zu geben für gut fand. Und ich soll¬ te größeres Bedenken tragen, einen Nichtswürdi¬ gen, den ich auf zehn Lügen ertappte, lieber auch noch der eilften zu beschuldigen, als die Grundord¬ nung der Natur unterbrechen zu lassen, die ich noch auf keinen Mißklang betrat?"
Ich kann Ihnen darauf nichts antworten, sag¬ te ich. Aber die Erscheinung, die wir gestern sa¬ hen, bleibt mir darum nicht weniger unbe¬ greiflich.
"Auch mir," versezte der Prinz, "ob ich gleich in Versuchung gerathen bin, einen Schlüssel dazu ausfindig zu machen."
Wie? sagte ich.
"Erinnern Sie sich nicht, daß die zwote Ge¬ stalt, sobald sie herein war, auf den Altar zuging,
das
„Er iſt mehr als das,“ ſagte der Prinz, „er iſt entſcheidend. Dieſen Ring empfing er von dem Mörder, und er mußte in demſelben Augenblick ge¬ wiß ſeyn, daß es der Mörder war. Wer als der Mörder konnte dem Verſtorbenen einen Ring ab¬ gezogen haben, den dieſer gewiß nie vom Finger ließ? Uns ſuchte er die ganze Erzählung hindurch zu überreden, als ob er ſelbſt von dem Ritter ge¬ täuſcht worden, und als ob er geglaubt hätte ihn zu täuſchen. Wozu dieſen Winkelzug, wenn er nicht ſelbſt bey ſich fühlte, wie viel er verloren gab, wenn er ſein Verſtändniß mit dem Mörder ein¬ räumte? Seine ganze Erzählung iſt offenbar nichts, als eine Reihe von Erfindungen, um die wenigen Wahrheiten an einander zu hängen, die er uns preis zu geben für gut fand. Und ich ſoll¬ te größeres Bedenken tragen, einen Nichtswürdi¬ gen, den ich auf zehn Lügen ertappte, lieber auch noch der eilften zu beſchuldigen, als die Grundord¬ nung der Natur unterbrechen zu laſſen, die ich noch auf keinen Mißklang betrat?“
Ich kann Ihnen darauf nichts antworten, ſag¬ te ich. Aber die Erſcheinung, die wir geſtern ſa¬ hen, bleibt mir darum nicht weniger unbe¬ greiflich.
„Auch mir,“ verſezte der Prinz, „ob ich gleich in Verſuchung gerathen bin, einen Schlüſſel dazu ausfindig zu machen.“
Wie? ſagte ich.
„Erinnern Sie ſich nicht, daß die zwote Ge¬ ſtalt, ſobald ſie herein war, auf den Altar zuging,
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„Er iſt mehr als das,“ ſagte der Prinz,
„er iſt entſcheidend. Dieſen Ring empfing er von
dem Mörder, und er mußte in demſelben Augenblick ge¬
wiß ſeyn, daß es der Mörder war. Wer als der
Mörder konnte dem Verſtorbenen einen Ring ab¬
gezogen haben, den dieſer gewiß nie vom Finger
ließ? Uns ſuchte er die ganze Erzählung hindurch
zu überreden, als ob er ſelbſt von dem Ritter ge¬
täuſcht worden, und als ob er geglaubt hätte ihn
zu täuſchen. Wozu dieſen Winkelzug, wenn er
nicht ſelbſt bey ſich fühlte, wie viel er verloren gab,
wenn er ſein Verſtändniß mit dem Mörder ein¬
räumte? Seine ganze Erzählung iſt offenbar
nichts, als eine Reihe von Erfindungen, um die
wenigen Wahrheiten an einander zu hängen, die
er uns preis zu geben für gut fand. Und ich ſoll¬
te größeres Bedenken tragen, einen Nichtswürdi¬
gen, den ich auf zehn Lügen ertappte, lieber auch
noch der eilften zu beſchuldigen, als die Grundord¬
nung der Natur unterbrechen zu laſſen, die ich noch
auf keinen Mißklang betrat?“
Ich kann Ihnen darauf nichts antworten, ſag¬
te ich. Aber die Erſcheinung, die wir geſtern ſa¬
hen, bleibt mir darum nicht weniger unbe¬
greiflich.
„Auch mir,“ verſezte der Prinz, „ob ich gleich
in Verſuchung gerathen bin, einen Schlüſſel dazu
ausfindig zu machen.“
Wie? ſagte ich.
„Erinnern Sie ſich nicht, daß die zwote Ge¬
ſtalt, ſobald ſie herein war, auf den Altar zuging,
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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/86>, abgerufen am 19.07.2024.
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