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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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worin er jezt zu seyn scheint, in Famagusta gesehen
hat. --"

"Das ist lächerlich, unglaublich und über¬
trieben."

"Nicht um einen Zug. Hielten mich diese Fesseln
nicht ab, ich wollte Ihnen Bürgen stellen, deren
ehrwürdiges Ansehen Ihnen keinen Zweifel mehr
übrig lassen sollte. Es giebt glaubwürdige Leute,
die sich erinnern, ihn in verschiedenen Weltgegen¬
den zu gleicher Zeit gesehen zu haben. Keines De¬
gens Spitze kann ihn durchbohren, kein Gift kann
ihm etwas anhaben, kein Feuer sengt ihn, kein
Schiff geht unter, worauf er sich befindet. Die
Zeit selbst scheint an ihm ihre Macht zu verlieren,
die Jahre trocknen seine Säfte nicht aus, und das
Alter kann seine Haare nicht bleichen. Niemand
ist, der ihn Speise nehmen sah, nie ist ein Weib
von ihm berührt worden, kein Schlaf besucht seine
Augen, von allen Stunden des Tages weiß man
nur eine einzige, über die er nicht Herr ist, in wel¬
cher niemand ihn gesehen, in welcher er kein irdi¬
sches Geschäft verrichtet hat."

"So?" sagte der Prinz. "Und was ist dieß
für eine Stunde?"

"Die zwölfte in der Nacht. Sobald die Glocke
den zwölften Schlag thut, gehört er den Lebendi¬
gen nicht mehr. Wo er auch seyn mag, er muß
fort, welches Geschäft er auch verrichtet, er muß
es abbrechen. Dieser schreckliche Glockenschlag
reißt ihn aus den Armen der Freundschaft, reißt
ihn selbst vom Altar, und würde ihn auch aus dem

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worin er jezt zu ſeyn ſcheint, in Famaguſta geſehen
hat. —“

„Das iſt lächerlich, unglaublich und über¬
trieben.“

„Nicht um einen Zug. Hielten mich dieſe Feſſeln
nicht ab, ich wollte Ihnen Bürgen ſtellen, deren
ehrwürdiges Anſehen Ihnen keinen Zweifel mehr
übrig laſſen ſollte. Es giebt glaubwürdige Leute,
die ſich erinnern, ihn in verſchiedenen Weltgegen¬
den zu gleicher Zeit geſehen zu haben. Keines De¬
gens Spitze kann ihn durchbohren, kein Gift kann
ihm etwas anhaben, kein Feuer ſengt ihn, kein
Schiff geht unter, worauf er ſich befindet. Die
Zeit ſelbſt ſcheint an ihm ihre Macht zu verlieren,
die Jahre trocknen ſeine Säfte nicht aus, und das
Alter kann ſeine Haare nicht bleichen. Niemand
iſt, der ihn Speiſe nehmen ſah, nie iſt ein Weib
von ihm berührt worden, kein Schlaf beſucht ſeine
Augen, von allen Stunden des Tages weiß man
nur eine einzige, über die er nicht Herr iſt, in wel¬
cher niemand ihn geſehen, in welcher er kein irdi¬
ſches Geſchäft verrichtet hat.“

„So?“ ſagte der Prinz. „Und was iſt dieß
für eine Stunde?“

„Die zwölfte in der Nacht. Sobald die Glocke
den zwölften Schlag thut, gehört er den Lebendi¬
gen nicht mehr. Wo er auch ſeyn mag, er muß
fort, welches Geſchäft er auch verrichtet, er muß
es abbrechen. Dieſer ſchreckliche Glockenſchlag
reißt ihn aus den Armen der Freundſchaft, reißt
ihn ſelbſt vom Altar, und würde ihn auch aus dem

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[51/0059] worin er jezt zu ſeyn ſcheint, in Famaguſta geſehen hat. —“ „Das iſt lächerlich, unglaublich und über¬ trieben.“ „Nicht um einen Zug. Hielten mich dieſe Feſſeln nicht ab, ich wollte Ihnen Bürgen ſtellen, deren ehrwürdiges Anſehen Ihnen keinen Zweifel mehr übrig laſſen ſollte. Es giebt glaubwürdige Leute, die ſich erinnern, ihn in verſchiedenen Weltgegen¬ den zu gleicher Zeit geſehen zu haben. Keines De¬ gens Spitze kann ihn durchbohren, kein Gift kann ihm etwas anhaben, kein Feuer ſengt ihn, kein Schiff geht unter, worauf er ſich befindet. Die Zeit ſelbſt ſcheint an ihm ihre Macht zu verlieren, die Jahre trocknen ſeine Säfte nicht aus, und das Alter kann ſeine Haare nicht bleichen. Niemand iſt, der ihn Speiſe nehmen ſah, nie iſt ein Weib von ihm berührt worden, kein Schlaf beſucht ſeine Augen, von allen Stunden des Tages weiß man nur eine einzige, über die er nicht Herr iſt, in wel¬ cher niemand ihn geſehen, in welcher er kein irdi¬ ſches Geſchäft verrichtet hat.“ „So?“ ſagte der Prinz. „Und was iſt dieß für eine Stunde?“ „Die zwölfte in der Nacht. Sobald die Glocke den zwölften Schlag thut, gehört er den Lebendi¬ gen nicht mehr. Wo er auch ſeyn mag, er muß fort, welches Geſchäft er auch verrichtet, er muß es abbrechen. Dieſer ſchreckliche Glockenſchlag reißt ihn aus den Armen der Freundſchaft, reißt ihn ſelbſt vom Altar, und würde ihn auch aus dem To¬ D 2

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/59>, abgerufen am 25.11.2024.