lich, zu den Freuden und Wünschen des gestrigen Morgens, als zu den Spielen meiner Kindheit zu¬ rück zu kehren. Seit ich das sah, seitdem dieses Bild hier wohnet -- dieses lebendige, mächtige Gefühl in mir: Du kannst nichts mehr lieben als das, und in dieser Welt wird nichts mehr auf dich wirken!"
Denken Sie nach, gnädigster Herr, in welcher reitzbaren Stimmung Sie waren, als diese Er¬ scheinung Sie überraschte, und wie vieles zusam¬ menkam, Ihre Einbildungskraft zu spannen. Aus dem hellen blendenden Tageslicht, aus dem Gewühle der Straße plötzlich in diese stille Dunkelheit ver¬ setzt -- ganz den Empfindungen hingegeben, die, wie Sie selbst gestehen, die Stille, die Majestät dieses Orts in Ihnen rege machte -- durch Be¬ trachtung schöner Kunstwerke für Schönheit über¬ haupt empfänglicher gemacht-- zugleich allein und einsam Ihrer Meinung nach -- und nun auf ein¬ mal -- in der Nähe von einer Mädchengestalt überrascht, wo Sie Sich keines Zeugen versahen -- von einer Schönheit, wie ich Ihnen gerne zugebe, die durch eine vortheilhafte Beleuchtung, eine glück¬ liche Stellung, einen Ausdruck begeisterter Andacht noch mehr erhoben ward -- was war natürlicher, als daß Ihre entzündete Phantasie sich etwas idea¬ lisches, etwas überirdischvollkommenes daraus zu¬ sammensetzte?
"Kann die Phantasie etwas geben, was sie nie empfangen hat? -- und im ganzen Gebiethe
meiner
lich, zu den Freuden und Wünſchen des geſtrigen Morgens, als zu den Spielen meiner Kindheit zu¬ rück zu kehren. Seit ich das ſah, ſeitdem dieſes Bild hier wohnet — dieſes lebendige, mächtige Gefühl in mir: Du kannſt nichts mehr lieben als das, und in dieſer Welt wird nichts mehr auf dich wirken!“
Denken Sie nach, gnädigſter Herr, in welcher reitzbaren Stimmung Sie waren, als dieſe Er¬ ſcheinung Sie überraſchte, und wie vieles zuſam¬ menkam, Ihre Einbildungskraft zu ſpannen. Aus dem hellen blendenden Tageslicht, aus dem Gewühle der Straße plötzlich in dieſe ſtille Dunkelheit ver¬ ſetzt — ganz den Empfindungen hingegeben, die, wie Sie ſelbſt geſtehen, die Stille, die Majeſtät dieſes Orts in Ihnen rege machte — durch Be¬ trachtung ſchöner Kunſtwerke für Schönheit über¬ haupt empfänglicher gemacht— zugleich allein und einſam Ihrer Meinung nach — und nun auf ein¬ mal — in der Nähe von einer Mädchengeſtalt überraſcht, wo Sie Sich keines Zeugen verſahen — von einer Schönheit, wie ich Ihnen gerne zugebe, die durch eine vortheilhafte Beleuchtung, eine glück¬ liche Stellung, einen Ausdruck begeiſterter Andacht noch mehr erhoben ward — was war natürlicher, als daß Ihre entzündete Phantaſie ſich etwas idea¬ liſches, etwas überirdiſchvollkommenes daraus zu¬ ſammenſetzte?
„Kann die Phantaſie etwas geben, was ſie nie empfangen hat? — und im ganzen Gebiethe
meiner
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lich, zu den Freuden und Wünſchen des geſtrigen
Morgens, als zu den Spielen meiner Kindheit zu¬
rück zu kehren. Seit ich das ſah, ſeitdem dieſes
Bild hier wohnet — dieſes lebendige, mächtige
Gefühl in mir: Du kannſt nichts mehr lieben als
das, und in dieſer Welt wird nichts mehr auf
dich wirken!“
Denken Sie nach, gnädigſter Herr, in welcher
reitzbaren Stimmung Sie waren, als dieſe Er¬
ſcheinung Sie überraſchte, und wie vieles zuſam¬
menkam, Ihre Einbildungskraft zu ſpannen. Aus
dem hellen blendenden Tageslicht, aus dem Gewühle
der Straße plötzlich in dieſe ſtille Dunkelheit ver¬
ſetzt — ganz den Empfindungen hingegeben, die,
wie Sie ſelbſt geſtehen, die Stille, die Majeſtät
dieſes Orts in Ihnen rege machte — durch Be¬
trachtung ſchöner Kunſtwerke für Schönheit über¬
haupt empfänglicher gemacht— zugleich allein und
einſam Ihrer Meinung nach — und nun auf ein¬
mal — in der Nähe von einer Mädchengeſtalt
überraſcht, wo Sie Sich keines Zeugen verſahen —
von einer Schönheit, wie ich Ihnen gerne zugebe,
die durch eine vortheilhafte Beleuchtung, eine glück¬
liche Stellung, einen Ausdruck begeiſterter Andacht
noch mehr erhoben ward — was war natürlicher,
als daß Ihre entzündete Phantaſie ſich etwas idea¬
liſches, etwas überirdiſchvollkommenes daraus zu¬
ſammenſetzte?
„Kann die Phantaſie etwas geben, was ſie
nie empfangen hat? — und im ganzen Gebiethe
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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/183>, abgerufen am 15.08.2024.
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