Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789."Bey einem noch so phlegmatischen beschränk¬ "Ich bin mit Ihnen überzeugt, daß die Mo¬ "Erinnern Sie sich nun," fuhr der Prinz Vor¬
„Bey einem noch ſo phlegmatiſchen beſchränk¬ „Ich bin mit Ihnen überzeugt, daß die Mo¬ „Erinnern Sie ſich nun,“ fuhr der Prinz Vor¬
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0162" n="154"/> <p>„Bey einem noch ſo phlegmatiſchen beſchränk¬<lb/> ten Alltagsmenſchen kommt doch jede Kraft zum<lb/> Wirken, weil keine von der andern verdrängt wird.<lb/> Er iſt ein Menſch in geſundem Schlafe; der Schwär¬<lb/> mer iſt einem Phrenetiſchraſenden gleich, der ſich<lb/> in wüthenden Konvulſionen wirft, wen die Lebens¬<lb/> kraft bereits in den äußerſten Arterien aufhört. —<lb/> Haben Sie noch eine Einwendung?“</p><lb/> <p>„Ich bin <hi rendition="#g">mit</hi> Ihnen überzeugt, daß die Mo¬<lb/> ralität des Menſchen in dem Mehr oder Weniger<lb/> ſeiner innern Thätigkeit enthalten iſt.</p><lb/> <p>„Erinnern Sie ſich nun,“ fuhr der Prinz<lb/> fort, „daß wir dieſe ganze Unterſuchung im ge¬<lb/> ſchloſſenen Bezirk der menſchlichen Seele angeſtellt<lb/> haben, daß wir ſie von der äußern Reihe der Dinge<lb/> durch eine Scheidewand getrennt, und innerhalb<lb/> dieſes nie überſchrittenen Kreiſes den ganzen Bau<lb/> der Moralität aufgeführt haben. Wir haben zu¬<lb/> gleich gefunden, daß ſeine Glückſeligkeit vollkom¬<lb/> men mit ſeiner moraliſchen Vortrefflichkeit aufgehe,<lb/> daß ihm alſo für die leztere eben ſo wenig etwas<lb/> zu fordern bleibe, daß ihm auf eine erſt zu errei¬<lb/> chende Vollkommenheit eben ſo wenig ein Genuß<lb/> voraus zugetheilt werden könne, als daß eine Roſe,<lb/> die heute blühet, erſt im folgenden Jahre dadurch<lb/> ſchön ſey, als daß ein Mißgriff auf dem Klavier<lb/> erſt in das nächſtkommende Spiel ſeinen Mißlaut<lb/> einmiſchen kann. Es wäre eben ſo denkbar, daß<lb/> der Glanz der Sonne in den hentigen Mittag und<lb/> ihre Wärme, in den folgenden fiele, als daß die<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Vor¬<lb/></fw> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [154/0162]
„Bey einem noch ſo phlegmatiſchen beſchränk¬
ten Alltagsmenſchen kommt doch jede Kraft zum
Wirken, weil keine von der andern verdrängt wird.
Er iſt ein Menſch in geſundem Schlafe; der Schwär¬
mer iſt einem Phrenetiſchraſenden gleich, der ſich
in wüthenden Konvulſionen wirft, wen die Lebens¬
kraft bereits in den äußerſten Arterien aufhört. —
Haben Sie noch eine Einwendung?“
„Ich bin mit Ihnen überzeugt, daß die Mo¬
ralität des Menſchen in dem Mehr oder Weniger
ſeiner innern Thätigkeit enthalten iſt.
„Erinnern Sie ſich nun,“ fuhr der Prinz
fort, „daß wir dieſe ganze Unterſuchung im ge¬
ſchloſſenen Bezirk der menſchlichen Seele angeſtellt
haben, daß wir ſie von der äußern Reihe der Dinge
durch eine Scheidewand getrennt, und innerhalb
dieſes nie überſchrittenen Kreiſes den ganzen Bau
der Moralität aufgeführt haben. Wir haben zu¬
gleich gefunden, daß ſeine Glückſeligkeit vollkom¬
men mit ſeiner moraliſchen Vortrefflichkeit aufgehe,
daß ihm alſo für die leztere eben ſo wenig etwas
zu fordern bleibe, daß ihm auf eine erſt zu errei¬
chende Vollkommenheit eben ſo wenig ein Genuß
voraus zugetheilt werden könne, als daß eine Roſe,
die heute blühet, erſt im folgenden Jahre dadurch
ſchön ſey, als daß ein Mißgriff auf dem Klavier
erſt in das nächſtkommende Spiel ſeinen Mißlaut
einmiſchen kann. Es wäre eben ſo denkbar, daß
der Glanz der Sonne in den hentigen Mittag und
ihre Wärme, in den folgenden fiele, als daß die
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