Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

gab, "in der That," rief er aus, "das habe ich
nicht erwartet." *)

"Aber," fuhr der Prinz nach einem langen Still¬
schweigen wieder fort, "wie brachten Sie die Ge¬

stalt
*) Und wahrscheinlich auch die wenigsten meiner Le¬
ser. Diese zu den Füßen des Prinzen so uner¬
wartet und so feyerlich niedergelegte Krone mit
der vorhergehenden Prophezeihung des Armeniers
zusammen genommen, scheint so natürlich und un¬
gezwungen auf einen gewissen Zweck zu zielen,
daß mir beym ersten Lesen dieser Memoires sogleich
die verfängliche Anrede der Zauberschwestern
im Macbeth: Heil dir Than von Glamis,
der einst König seyn wird! dabey einge¬
fallen ist; und vermuthlich ist es mehrern so er¬
gangen. Wenn eine gewisse Vorstellung auf eine
feyerliche und ungewöhnliche Art in die Seele ge¬
bracht worden, so kann es nicht fehlen, daß alle
darauf folgende, welche nur der geringsten Be¬
ziehung auf sie fähig sind, sich an dieselbe an¬
schließen, und in einen gewissen Rapport mit ihr
setzen. Der Sicilianer, der, wie es scheint,
mit der ganzen Sache nicht mehr und nicht weni¬
ger gewollt hat, als den Prinzen dadurch zu über¬
raschen, daß er ihn merken ließ, sein Stand sey
entdeckt, hat dem Armenier, ohne daran zu den¬
ken, in die Hand gearbeitet: aber so sehr die Sa¬
che auch an Interesse verliert, wenn man den hö¬
hern Zweck zurück nimmt, auf welchen sie anfangs
angelegt schien, so wenig darf ich doch der histori¬
schen Wahrheit zu nahe treten, und ich erzähle
das Factum, wie ich es gefunden.
Anm. d. Herausg.

gab, „in der That,“ rief er aus, „das habe ich
nicht erwartet.“ *)

„Aber,“ fuhr der Prinz nach einem langen Still¬
ſchweigen wieder fort, „wie brachten Sie die Ge¬

ſtalt
*) Und wahrſcheinlich auch die wenigſten meiner Le¬
ſer. Dieſe zu den Füßen des Prinzen ſo uner¬
wartet und ſo feyerlich niedergelegte Krone mit
der vorhergehenden Prophezeihung des Armeniers
zuſammen genommen, ſcheint ſo natürlich und un¬
gezwungen auf einen gewiſſen Zweck zu zielen,
daß mir beym erſten Leſen dieſer Memoires ſogleich
die verfängliche Anrede der Zauberſchweſtern
im Macbeth: Heil dir Than von Glamis,
der einſt König ſeyn wird! dabey einge¬
fallen iſt; und vermuthlich iſt es mehrern ſo er¬
gangen. Wenn eine gewiſſe Vorſtellung auf eine
feyerliche und ungewöhnliche Art in die Seele ge¬
bracht worden, ſo kann es nicht fehlen, daß alle
darauf folgende, welche nur der geringſten Be¬
ziehung auf ſie fähig ſind, ſich an dieſelbe an¬
ſchließen, und in einen gewiſſen Rapport mit ihr
ſetzen. Der Sicilianer, der, wie es ſcheint,
mit der ganzen Sache nicht mehr und nicht weni¬
ger gewollt hat, als den Prinzen dadurch zu über¬
raſchen, daß er ihn merken ließ, ſein Stand ſey
entdeckt, hat dem Armenier, ohne daran zu den¬
ken, in die Hand gearbeitet: aber ſo ſehr die Sa¬
che auch an Intereſſe verliert, wenn man den hö¬
hern Zweck zurück nimmt, auf welchen ſie anfangs
angelegt ſchien, ſo wenig darf ich doch der hiſtori¬
ſchen Wahrheit zu nahe treten, und ich erzähle
das Factum, wie ich es gefunden.
Anm. d. Herausg.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0052" n="44"/>
gab, &#x201E;in der That,&#x201C; rief er aus, &#x201E;das habe ich<lb/>
nicht erwartet.&#x201C; <note place="foot" n="*)"><p>Und wahr&#x017F;cheinlich auch die wenig&#x017F;ten meiner Le¬<lb/>
&#x017F;er. Die&#x017F;e zu den Füßen des Prinzen &#x017F;o uner¬<lb/>
wartet und &#x017F;o feyerlich niedergelegte Krone mit<lb/>
der vorhergehenden Prophezeihung des Armeniers<lb/>
zu&#x017F;ammen genommen, &#x017F;cheint &#x017F;o natürlich und un¬<lb/>
gezwungen auf einen gewi&#x017F;&#x017F;en Zweck zu zielen,<lb/>
daß mir beym er&#x017F;ten Le&#x017F;en die&#x017F;er Memoires &#x017F;ogleich<lb/>
die verfängliche Anrede der Zauber&#x017F;chwe&#x017F;tern<lb/>
im Macbeth: <hi rendition="#g">Heil dir Than von Glamis</hi>,<lb/><hi rendition="#g">der ein&#x017F;t König &#x017F;eyn wird</hi>! dabey einge¬<lb/>
fallen i&#x017F;t; und vermuthlich i&#x017F;t es mehrern &#x017F;o er¬<lb/>
gangen. Wenn eine gewi&#x017F;&#x017F;e Vor&#x017F;tellung auf eine<lb/>
feyerliche und ungewöhnliche Art in die Seele ge¬<lb/>
bracht worden, &#x017F;o kann es nicht fehlen, daß alle<lb/>
darauf folgende, welche nur der gering&#x017F;ten Be¬<lb/>
ziehung auf &#x017F;ie fähig &#x017F;ind, &#x017F;ich an die&#x017F;elbe an¬<lb/>
&#x017F;chließen, und in einen gewi&#x017F;&#x017F;en Rapport mit ihr<lb/>
&#x017F;etzen. Der Sicilianer, der, wie es &#x017F;cheint,<lb/>
mit der ganzen Sache nicht mehr und nicht weni¬<lb/>
ger gewollt hat, als den Prinzen dadurch zu über¬<lb/>
ra&#x017F;chen, daß er ihn merken ließ, &#x017F;ein Stand &#x017F;ey<lb/>
entdeckt, hat dem Armenier, ohne daran zu den¬<lb/>
ken, in die Hand gearbeitet: aber &#x017F;o &#x017F;ehr die Sa¬<lb/>
che auch an Intere&#x017F;&#x017F;e verliert, wenn man den hö¬<lb/>
hern Zweck zurück nimmt, auf welchen &#x017F;ie anfangs<lb/>
angelegt &#x017F;chien, &#x017F;o wenig darf ich doch der hi&#x017F;tori¬<lb/>
&#x017F;chen Wahrheit zu nahe treten, und ich erzähle<lb/>
das Factum, wie ich es gefunden.</p><lb/><p rendition="#right">Anm. d. Herausg.</p><lb/></note></p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber,&#x201C; fuhr der Prinz nach einem langen Still¬<lb/>
&#x017F;chweigen wieder fort, &#x201E;wie brachten Sie die Ge¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;talt<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0052] gab, „in der That,“ rief er aus, „das habe ich nicht erwartet.“ *) „Aber,“ fuhr der Prinz nach einem langen Still¬ ſchweigen wieder fort, „wie brachten Sie die Ge¬ ſtalt *) Und wahrſcheinlich auch die wenigſten meiner Le¬ ſer. Dieſe zu den Füßen des Prinzen ſo uner¬ wartet und ſo feyerlich niedergelegte Krone mit der vorhergehenden Prophezeihung des Armeniers zuſammen genommen, ſcheint ſo natürlich und un¬ gezwungen auf einen gewiſſen Zweck zu zielen, daß mir beym erſten Leſen dieſer Memoires ſogleich die verfängliche Anrede der Zauberſchweſtern im Macbeth: Heil dir Than von Glamis, der einſt König ſeyn wird! dabey einge¬ fallen iſt; und vermuthlich iſt es mehrern ſo er¬ gangen. Wenn eine gewiſſe Vorſtellung auf eine feyerliche und ungewöhnliche Art in die Seele ge¬ bracht worden, ſo kann es nicht fehlen, daß alle darauf folgende, welche nur der geringſten Be¬ ziehung auf ſie fähig ſind, ſich an dieſelbe an¬ ſchließen, und in einen gewiſſen Rapport mit ihr ſetzen. Der Sicilianer, der, wie es ſcheint, mit der ganzen Sache nicht mehr und nicht weni¬ ger gewollt hat, als den Prinzen dadurch zu über¬ raſchen, daß er ihn merken ließ, ſein Stand ſey entdeckt, hat dem Armenier, ohne daran zu den¬ ken, in die Hand gearbeitet: aber ſo ſehr die Sa¬ che auch an Intereſſe verliert, wenn man den hö¬ hern Zweck zurück nimmt, auf welchen ſie anfangs angelegt ſchien, ſo wenig darf ich doch der hiſtori¬ ſchen Wahrheit zu nahe treten, und ich erzähle das Factum, wie ich es gefunden. Anm. d. Herausg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/52
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/52>, abgerufen am 30.11.2024.