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Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124.

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zu dem es da ist, muß es zugleich den geistreichen Verstand, der es dachte, die liebende Hand, die es ausführte, den heitern und freyen Geist, der es wählte und aufstellte, wiederscheinen. Jetzt sucht sich der alte Germanier glänzendere Thierfelle, prächtigere Geweyhe, zierlichere Trinkhörner aus, und der Kaledonier wählt die nettesten Muscheln für seine Feste. Selbst die Waffen dürfen jetzt nicht mehr bloß Gegenstände des Schreckens, sondern auch des Wohlgefallens seyn, und das kunstreiche Wehrgehänge will nicht weniger bemerkt seyn, als des Schwerdtes tödtende Scheide. Nicht zufrieden, einen ästhetischen Überfluß in das Nothwendige zu bringen, reißt sich der freyere Spieltrieb endlich ganz von den Fesseln der Nothdurft los, und das Schöne wird für sich allein ein Objekt seines Strebens. Er schmükt sich. Die freye Lust wird in die Zahl seiner Bedürfnisse aufgenommen, und das Unnötige ist bald der beste Theil seiner Freuden.

Sowie sich ihm von aussen her, in seiner Wohnung, seinem Haußgeräthe, seiner Bekleidung allmählig die Form nähert, so fängt sie endlich an, von ihm selbst Besitz zu nehmen, und anfangs bloß den äussern, zuletzt auch den innern Menschen zu verwandeln. Der gesetzlose Sprung der Freude wird zum Tanz, die ungestalte Geste zu einer anmuthigen harmonischen Gebärdensprache; die verworrenen Laute der Empfindung entfalten sich, fangen an, dem Takt zu gehorchen und sich zum Gesange zu biegen. Wenn das trojanische Heer mit gellendem Geschrey gleich einem Zug von Kranichen ins Schlachtfeld heranstürmt, so nähert sich das griechische demselben still und mit edlem Schritt. Dort sehen wir bloß den Übermuth

zu dem es da ist, muß es zugleich den geistreichen Verstand, der es dachte, die liebende Hand, die es ausführte, den heitern und freyen Geist, der es wählte und aufstellte, wiederscheinen. Jetzt sucht sich der alte Germanier glänzendere Thierfelle, prächtigere Geweyhe, zierlichere Trinkhörner aus, und der Kaledonier wählt die nettesten Muscheln für seine Feste. Selbst die Waffen dürfen jetzt nicht mehr bloß Gegenstände des Schreckens, sondern auch des Wohlgefallens seyn, und das kunstreiche Wehrgehänge will nicht weniger bemerkt seyn, als des Schwerdtes tödtende Scheide. Nicht zufrieden, einen ästhetischen Überfluß in das Nothwendige zu bringen, reißt sich der freyere Spieltrieb endlich ganz von den Fesseln der Nothdurft los, und das Schöne wird für sich allein ein Objekt seines Strebens. Er schmükt sich. Die freye Lust wird in die Zahl seiner Bedürfnisse aufgenommen, und das Unnötige ist bald der beste Theil seiner Freuden.

Sowie sich ihm von aussen her, in seiner Wohnung, seinem Haußgeräthe, seiner Bekleidung allmählig die Form nähert, so fängt sie endlich an, von ihm selbst Besitz zu nehmen, und anfangs bloß den äussern, zuletzt auch den innern Menschen zu verwandeln. Der gesetzlose Sprung der Freude wird zum Tanz, die ungestalte Geste zu einer anmuthigen harmonischen Gebärdensprache; die verworrenen Laute der Empfindung entfalten sich, fangen an, dem Takt zu gehorchen und sich zum Gesange zu biegen. Wenn das trojanische Heer mit gellendem Geschrey gleich einem Zug von Kranichen ins Schlachtfeld heranstürmt, so nähert sich das griechische demselben still und mit edlem Schritt. Dort sehen wir bloß den Übermuth

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[118/0074] zu dem es da ist, muß es zugleich den geistreichen Verstand, der es dachte, die liebende Hand, die es ausführte, den heitern und freyen Geist, der es wählte und aufstellte, wiederscheinen. Jetzt sucht sich der alte Germanier glänzendere Thierfelle, prächtigere Geweyhe, zierlichere Trinkhörner aus, und der Kaledonier wählt die nettesten Muscheln für seine Feste. Selbst die Waffen dürfen jetzt nicht mehr bloß Gegenstände des Schreckens, sondern auch des Wohlgefallens seyn, und das kunstreiche Wehrgehänge will nicht weniger bemerkt seyn, als des Schwerdtes tödtende Scheide. Nicht zufrieden, einen ästhetischen Überfluß in das Nothwendige zu bringen, reißt sich der freyere Spieltrieb endlich ganz von den Fesseln der Nothdurft los, und das Schöne wird für sich allein ein Objekt seines Strebens. Er schmükt sich. Die freye Lust wird in die Zahl seiner Bedürfnisse aufgenommen, und das Unnötige ist bald der beste Theil seiner Freuden. Sowie sich ihm von aussen her, in seiner Wohnung, seinem Haußgeräthe, seiner Bekleidung allmählig die Form nähert, so fängt sie endlich an, von ihm selbst Besitz zu nehmen, und anfangs bloß den äussern, zuletzt auch den innern Menschen zu verwandeln. Der gesetzlose Sprung der Freude wird zum Tanz, die ungestalte Geste zu einer anmuthigen harmonischen Gebärdensprache; die verworrenen Laute der Empfindung entfalten sich, fangen an, dem Takt zu gehorchen und sich zum Gesange zu biegen. Wenn das trojanische Heer mit gellendem Geschrey gleich einem Zug von Kranichen ins Schlachtfeld heranstürmt, so nähert sich das griechische demselben still und mit edlem Schritt. Dort sehen wir bloß den Übermuth

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124, hier S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung03_1795/74>, abgerufen am 04.05.2024.