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Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124.

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Und nicht bloß die Schranken, welche der specifische Charakter seiner Kunstgattung mit sich bringt, auch diejenigen, welche dem besondern Stoffe, den er bearbeytet, anhängig sind, muß der Künstler durch die Behandlung überwinden. In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles thun; denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Innhalt hingegen nur auf einzelne Kräfte gewirkt. Der Innhalt, wie erhaben und weitumfassend er auch sey, wirkt also jederzeit einschränkend auf den Geist, und nur von der Form ist wahre ästhetische Freyheit zu erwarten. Darinn also besteht das eigentliche Kunstgeheimniß des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt; und je imposanter, anmaßender, verführerischer der Stoff an sich selbst ist, je eigenmächtiger derselbe mit seiner Wirkung sich vordrängt, oder je mehr der Betrachter geneigt ist, sich unmittelbar mit dem Stoff einzulassen, desto triumphirender ist die Kunst, welche jenen zurückzwingt und über diesen die Herrschaft behauptet. Das Gemüth des Zuschauers und Zuhörers muß völlig frey und unverletzt bleiben, es muß aus dem Zauberkreis des Künstlers rein und vollkommen, wie aus den Händen des Schöpfers gehen. Der frivolste Gegenstand muß so behandelt werden, daß wir aufgelegt bleiben, unmittelbar von demselben zu dem strengsten Ernst überzugehen. Der ernsteste Stoff muß so behandelt werden, daß wir die Fähigkeit behalten, ihn unmittelbar mit dem leichtesten Spiele zu vertauschen. Künste des Affekts, dergleichen die Tragödie ist, sind kein Einwurf: denn erstlich sind es keine ganz freyen Künste, da sie unter der Dienstbarkeit eines besondern Zweckes (des Pathetischen) stehen,

Und nicht bloß die Schranken, welche der specifische Charakter seiner Kunstgattung mit sich bringt, auch diejenigen, welche dem besondern Stoffe, den er bearbeytet, anhängig sind, muß der Künstler durch die Behandlung überwinden. In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles thun; denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Innhalt hingegen nur auf einzelne Kräfte gewirkt. Der Innhalt, wie erhaben und weitumfassend er auch sey, wirkt also jederzeit einschränkend auf den Geist, und nur von der Form ist wahre ästhetische Freyheit zu erwarten. Darinn also besteht das eigentliche Kunstgeheimniß des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt; und je imposanter, anmaßender, verführerischer der Stoff an sich selbst ist, je eigenmächtiger derselbe mit seiner Wirkung sich vordrängt, oder je mehr der Betrachter geneigt ist, sich unmittelbar mit dem Stoff einzulassen, desto triumphirender ist die Kunst, welche jenen zurückzwingt und über diesen die Herrschaft behauptet. Das Gemüth des Zuschauers und Zuhörers muß völlig frey und unverletzt bleiben, es muß aus dem Zauberkreis des Künstlers rein und vollkommen, wie aus den Händen des Schöpfers gehen. Der frivolste Gegenstand muß so behandelt werden, daß wir aufgelegt bleiben, unmittelbar von demselben zu dem strengsten Ernst überzugehen. Der ernsteste Stoff muß so behandelt werden, daß wir die Fähigkeit behalten, ihn unmittelbar mit dem leichtesten Spiele zu vertauschen. Künste des Affekts, dergleichen die Tragödie ist, sind kein Einwurf: denn erstlich sind es keine ganz freyen Künste, da sie unter der Dienstbarkeit eines besondern Zweckes (des Pathetischen) stehen,

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[75/0031] Und nicht bloß die Schranken, welche der specifische Charakter seiner Kunstgattung mit sich bringt, auch diejenigen, welche dem besondern Stoffe, den er bearbeytet, anhängig sind, muß der Künstler durch die Behandlung überwinden. In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles thun; denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Innhalt hingegen nur auf einzelne Kräfte gewirkt. Der Innhalt, wie erhaben und weitumfassend er auch sey, wirkt also jederzeit einschränkend auf den Geist, und nur von der Form ist wahre ästhetische Freyheit zu erwarten. Darinn also besteht das eigentliche Kunstgeheimniß des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt; und je imposanter, anmaßender, verführerischer der Stoff an sich selbst ist, je eigenmächtiger derselbe mit seiner Wirkung sich vordrängt, oder je mehr der Betrachter geneigt ist, sich unmittelbar mit dem Stoff einzulassen, desto triumphirender ist die Kunst, welche jenen zurückzwingt und über diesen die Herrschaft behauptet. Das Gemüth des Zuschauers und Zuhörers muß völlig frey und unverletzt bleiben, es muß aus dem Zauberkreis des Künstlers rein und vollkommen, wie aus den Händen des Schöpfers gehen. Der frivolste Gegenstand muß so behandelt werden, daß wir aufgelegt bleiben, unmittelbar von demselben zu dem strengsten Ernst überzugehen. Der ernsteste Stoff muß so behandelt werden, daß wir die Fähigkeit behalten, ihn unmittelbar mit dem leichtesten Spiele zu vertauschen. Künste des Affekts, dergleichen die Tragödie ist, sind kein Einwurf: denn erstlich sind es keine ganz freyen Künste, da sie unter der Dienstbarkeit eines besondern Zweckes (des Pathetischen) stehen,

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Die schmelzende Schönheit. Fortsetzung der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. [3. Teil; 17. bis 27. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 2, 6. Stück. Tübingen, 1795, S. 45–124, hier S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung03_1795/31>, abgerufen am 22.11.2024.