Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen. [2. Teil; 10. bis 16. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 2. Stück. Tübingen, 1795, S. 51–94.

Bild:
<< vorherige Seite

gebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet. Der Sachtrieb, kann man sagen, ist dahin gerichtet die Einheit in der Zeit zu vervielfältigen, weil die Empfindung Succeßion von Realitäten ist; Der Formtrieb ist dahin gerichtet, die Vielheit in der Idee zu vereinigen, weil der Gedanke Übereinstimmung des Verschiedenen ist: der Spieltrieb wird also damit umgehen, die Einheit der Idee in der Zeit zu vervielfältigen; das Gesetz zum Gefühl zu machen; oder was eben soviel ist, die Vielheit in der Zeit in der Idee zu vereinigen; das Gefühl zum Gesetz zu machen.

Der Sachtrieb schließt aus seinem Subjekt alle Selbstthätigkeit und Freyheit, der Formtrieb schließt aus dem seinigen alle Abhängigkeit, alles Leiden aus. Ausschliessung der Freyheit ist aber physische, Ausschliessung des Leidens ist moralische Nothwendigkeit. Beyde Triebe nöthigen also das Gemüth, jener durch Naturgesetze, dieser durch Gesetze der Vernunft. Der Spieltrieb also, als in welchem beyde verbunden wirken, wird das Gemüth zugleich moralisch und physisch nöthigen; er wird also, weil er alle Zufälligkeit aufhebt, auch alle Nöthigung aufheben, und den Menschen, sowohl physisch als moralisch, in Freyheit setzen. Wenn wir jemand mit Leidenschaft umfassen, der unsrer Verachtung würdig ist, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Natur. Wenn wir gegen einen andern feindlich gesinnt sind, der uns Achtung abnöthigt, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Vernunft. Sobald er aber zugleich unsre Neigung intereßiert und unsere Achtung sich erworben, so verschwindet sowohl der Zwang der Empfindung als der Zwang des Gewissens, und wir fangen an, ihn zu lieben,

gebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet. Der Sachtrieb, kann man sagen, ist dahin gerichtet die Einheit in der Zeit zu vervielfältigen, weil die Empfindung Succeßion von Realitäten ist; Der Formtrieb ist dahin gerichtet, die Vielheit in der Idee zu vereinigen, weil der Gedanke Übereinstimmung des Verschiedenen ist: der Spieltrieb wird also damit umgehen, die Einheit der Idee in der Zeit zu vervielfältigen; das Gesetz zum Gefühl zu machen; oder was eben soviel ist, die Vielheit in der Zeit in der Idee zu vereinigen; das Gefühl zum Gesetz zu machen.

Der Sachtrieb schließt aus seinem Subjekt alle Selbstthätigkeit und Freyheit, der Formtrieb schließt aus dem seinigen alle Abhängigkeit, alles Leiden aus. Ausschliessung der Freyheit ist aber physische, Ausschliessung des Leidens ist moralische Nothwendigkeit. Beyde Triebe nöthigen also das Gemüth, jener durch Naturgesetze, dieser durch Gesetze der Vernunft. Der Spieltrieb also, als in welchem beyde verbunden wirken, wird das Gemüth zugleich moralisch und physisch nöthigen; er wird also, weil er alle Zufälligkeit aufhebt, auch alle Nöthigung aufheben, und den Menschen, sowohl physisch als moralisch, in Freyheit setzen. Wenn wir jemand mit Leidenschaft umfassen, der unsrer Verachtung würdig ist, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Natur. Wenn wir gegen einen andern feindlich gesinnt sind, der uns Achtung abnöthigt, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Vernunft. Sobald er aber zugleich unsre Neigung intereßiert und unsere Achtung sich erworben, so verschwindet sowohl der Zwang der Empfindung als der Zwang des Gewissens, und wir fangen an, ihn zu lieben,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0030" n="80"/>
gebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet. Der Sachtrieb, kann man sagen, ist dahin gerichtet die Einheit in der Zeit zu vervielfältigen, weil die Empfindung Succeßion von Realitäten ist; Der Formtrieb ist dahin gerichtet, die Vielheit in der Idee zu vereinigen, weil der Gedanke Übereinstimmung des Verschiedenen ist: der Spieltrieb wird also damit umgehen, die Einheit der Idee in der Zeit zu vervielfältigen; das Gesetz zum Gefühl zu machen; oder was eben soviel ist, die Vielheit in der Zeit in der Idee zu vereinigen; das Gefühl zum Gesetz zu machen.</p>
          <p>Der Sachtrieb schließt aus seinem Subjekt alle Selbstthätigkeit und Freyheit, der Formtrieb schließt aus dem seinigen alle Abhängigkeit, alles Leiden aus. Ausschliessung der Freyheit ist aber physische, Ausschliessung des Leidens ist moralische Nothwendigkeit. Beyde Triebe nöthigen also das Gemüth, jener durch Naturgesetze, dieser durch Gesetze der Vernunft. Der Spieltrieb also, als in welchem beyde verbunden wirken, wird das Gemüth zugleich moralisch und physisch nöthigen; er wird also, weil er alle Zufälligkeit aufhebt, auch alle Nöthigung aufheben, und den Menschen, sowohl physisch als moralisch, in Freyheit setzen. Wenn wir jemand mit Leidenschaft umfassen, der unsrer Verachtung würdig ist, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Natur. Wenn wir gegen einen andern feindlich gesinnt sind, der uns Achtung abnöthigt, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Vernunft. Sobald er aber zugleich unsre Neigung intereßiert und unsere Achtung sich erworben, so verschwindet sowohl der Zwang der Empfindung als der Zwang des Gewissens, und wir fangen an, ihn zu lieben,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0030] gebracht hätte, und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen trachtet. Der Sachtrieb, kann man sagen, ist dahin gerichtet die Einheit in der Zeit zu vervielfältigen, weil die Empfindung Succeßion von Realitäten ist; Der Formtrieb ist dahin gerichtet, die Vielheit in der Idee zu vereinigen, weil der Gedanke Übereinstimmung des Verschiedenen ist: der Spieltrieb wird also damit umgehen, die Einheit der Idee in der Zeit zu vervielfältigen; das Gesetz zum Gefühl zu machen; oder was eben soviel ist, die Vielheit in der Zeit in der Idee zu vereinigen; das Gefühl zum Gesetz zu machen. Der Sachtrieb schließt aus seinem Subjekt alle Selbstthätigkeit und Freyheit, der Formtrieb schließt aus dem seinigen alle Abhängigkeit, alles Leiden aus. Ausschliessung der Freyheit ist aber physische, Ausschliessung des Leidens ist moralische Nothwendigkeit. Beyde Triebe nöthigen also das Gemüth, jener durch Naturgesetze, dieser durch Gesetze der Vernunft. Der Spieltrieb also, als in welchem beyde verbunden wirken, wird das Gemüth zugleich moralisch und physisch nöthigen; er wird also, weil er alle Zufälligkeit aufhebt, auch alle Nöthigung aufheben, und den Menschen, sowohl physisch als moralisch, in Freyheit setzen. Wenn wir jemand mit Leidenschaft umfassen, der unsrer Verachtung würdig ist, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Natur. Wenn wir gegen einen andern feindlich gesinnt sind, der uns Achtung abnöthigt, so empfinden wir peinlich die Nöthigung der Vernunft. Sobald er aber zugleich unsre Neigung intereßiert und unsere Achtung sich erworben, so verschwindet sowohl der Zwang der Empfindung als der Zwang des Gewissens, und wir fangen an, ihn zu lieben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Friedrich Schiller Archiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-25T14:19:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-11-25T14:19:32Z)
Universitätsbibliothek Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-11-25T14:19:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet
  • i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung02_1795/30
Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen. [2. Teil; 10. bis 16. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 2. Stück. Tübingen, 1795, S. 51–94, hier S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung02_1795/30>, abgerufen am 18.12.2024.