Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück. Tübingen, 1795, S. 7–48.schen Menschen, der Konflikt blinder Triebe, fürs erste beruhigt seyn, und die grobe Entgegensetzung muß in ihm aufgehört haben, ehe man es wagen darf, die Mannichfaltigkeit zu begünstigen. Auf der andern Seite muß die Selbstständigkeit seines Charakters gesichert seyn, und die Unterwürfigkeit unter fremde despotische Formen einer anständigen Freyheit Platz gemacht haben, ehe man die Mannichfaltigkeit in ihm der Einheit des Ideals unterwerfen darf. Wo der Naturmensch seine Willkühr noch so gesetzlos mißbraucht, da darf man ihm seine Freyheit kaum zeigen; wo der künstliche Mensch seine Freyheit noch so wenig gebraucht, da darf man ihm seine Willkühr nicht nehmen. Das Geschenk liberaler Grundsätze wird Verrätherey an dem Ganzen, wenn es sich zu einer noch gährenden Kraft gesellt, und einer schon übermächtigen Natur Verstärkung zusendet; das Gesetz der Uebereinstimmung wird Tyranney gegen das Individuum, wenn es sich mit einer schon herrschenden Schwäche und physischen Beschränkung verknüpft, und so den letzten glimmenden Funken von Selbstthätigkeit und Eigenthümlichkeit auslöscht. Der Charakter der Zeit muß sich also von seiner tiefen Entwürdigung erst aufrichten, dort der blinden Gewalt der Natur sich entziehen, und hier zu ihrer Einfalt, Wahrheit und Fülle zurückkehren; eine Aufgabe für mehr als Ein Jahrhundert. Unterdessen gebe ich gerne zu, kann mancher Versuch im Einzelnen gelingen, aber am Ganzen wird dadurch nichts gebessert seyn, und der Widerspruch des Betragens wird stets gegen die Einheit der Maximen beweisen. Man wird in andern Welttheilen in dem Neger die Menschheit ehren, und in Europa sie in schen Menschen, der Konflikt blinder Triebe, fürs erste beruhigt seyn, und die grobe Entgegensetzung muß in ihm aufgehört haben, ehe man es wagen darf, die Mannichfaltigkeit zu begünstigen. Auf der andern Seite muß die Selbstständigkeit seines Charakters gesichert seyn, und die Unterwürfigkeit unter fremde despotische Formen einer anständigen Freyheit Platz gemacht haben, ehe man die Mannichfaltigkeit in ihm der Einheit des Ideals unterwerfen darf. Wo der Naturmensch seine Willkühr noch so gesetzlos mißbraucht, da darf man ihm seine Freyheit kaum zeigen; wo der künstliche Mensch seine Freyheit noch so wenig gebraucht, da darf man ihm seine Willkühr nicht nehmen. Das Geschenk liberaler Grundsätze wird Verrätherey an dem Ganzen, wenn es sich zu einer noch gährenden Kraft gesellt, und einer schon übermächtigen Natur Verstärkung zusendet; das Gesetz der Uebereinstimmung wird Tyranney gegen das Individuum, wenn es sich mit einer schon herrschenden Schwäche und physischen Beschränkung verknüpft, und so den letzten glimmenden Funken von Selbstthätigkeit und Eigenthümlichkeit auslöscht. Der Charakter der Zeit muß sich also von seiner tiefen Entwürdigung erst aufrichten, dort der blinden Gewalt der Natur sich entziehen, und hier zu ihrer Einfalt, Wahrheit und Fülle zurückkehren; eine Aufgabe für mehr als Ein Jahrhundert. Unterdessen gebe ich gerne zu, kann mancher Versuch im Einzelnen gelingen, aber am Ganzen wird dadurch nichts gebessert seyn, und der Widerspruch des Betragens wird stets gegen die Einheit der Maximen beweisen. 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Das Geschenk liberaler Grundsätze wird Verrätherey an dem Ganzen, wenn es sich zu einer noch gährenden Kraft gesellt, und einer schon übermächtigen Natur Verstärkung zusendet; das Gesetz der Uebereinstimmung wird Tyranney gegen das Individuum, wenn es sich mit einer schon herrschenden Schwäche und physischen Beschränkung verknüpft, und so den letzten glimmenden Funken von Selbstthätigkeit und Eigenthümlichkeit auslöscht.</p> <p>Der Charakter der Zeit muß sich also von seiner tiefen Entwürdigung erst aufrichten, dort der blinden Gewalt der Natur sich entziehen, und hier zu ihrer Einfalt, Wahrheit und Fülle zurückkehren; eine Aufgabe für mehr als Ein Jahrhundert. Unterdessen gebe ich gerne zu, kann mancher Versuch im Einzelnen gelingen, aber am Ganzen wird dadurch nichts gebessert seyn, und der Widerspruch des Betragens wird stets gegen die Einheit der Maximen beweisen. 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schen Menschen, der Konflikt blinder Triebe, fürs erste beruhigt seyn, und die grobe Entgegensetzung muß in ihm aufgehört haben, ehe man es wagen darf, die Mannichfaltigkeit zu begünstigen. Auf der andern Seite muß die Selbstständigkeit seines Charakters gesichert seyn, und die Unterwürfigkeit unter fremde despotische Formen einer anständigen Freyheit Platz gemacht haben, ehe man die Mannichfaltigkeit in ihm der Einheit des Ideals unterwerfen darf. Wo der Naturmensch seine Willkühr noch so gesetzlos mißbraucht, da darf man ihm seine Freyheit kaum zeigen; wo der künstliche Mensch seine Freyheit noch so wenig gebraucht, da darf man ihm seine Willkühr nicht nehmen. Das Geschenk liberaler Grundsätze wird Verrätherey an dem Ganzen, wenn es sich zu einer noch gährenden Kraft gesellt, und einer schon übermächtigen Natur Verstärkung zusendet; das Gesetz der Uebereinstimmung wird Tyranney gegen das Individuum, wenn es sich mit einer schon herrschenden Schwäche und physischen Beschränkung verknüpft, und so den letzten glimmenden Funken von Selbstthätigkeit und Eigenthümlichkeit auslöscht.
Der Charakter der Zeit muß sich also von seiner tiefen Entwürdigung erst aufrichten, dort der blinden Gewalt der Natur sich entziehen, und hier zu ihrer Einfalt, Wahrheit und Fülle zurückkehren; eine Aufgabe für mehr als Ein Jahrhundert. Unterdessen gebe ich gerne zu, kann mancher Versuch im Einzelnen gelingen, aber am Ganzen wird dadurch nichts gebessert seyn, und der Widerspruch des Betragens wird stets gegen die Einheit der Maximen beweisen. Man wird in andern Welttheilen in dem Neger die Menschheit ehren, und in Europa sie in
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Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück. Tübingen, 1795, S. 7–48, hier S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung01_1795/31>, abgerufen am 16.02.2025. |