Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück. Tübingen, 1795, S. 7–48.der Abstraktionsgeist das Feuer, an dem das Herz sich hätte wärmen, und die Phantasie sich entzünden sollen. Diese Zerrüttung, welche Kunst und Gelehrsamkeit in dem innern Menschen anfiengen, machte der neue Geist der Regierung vollkommen und allgemein. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die einfache Organisation der ersten Republiken die Einfalt der ersten Sitten und Verhältnisse überlebte, aber anstatt zu einem höhern animalischen Leben zu steigen, sank sie zu einer gemeinen und groben Mechanik herab. Jene Polypennatur der griechischen Staaten, wo jedes Individuum eines unabhängigen Lebens genoß, und wenn es Noth that, zum Ganzen werden konnte, machte jetzt einem kunstreichen Uhrwerke Platz, wo aus der Zusammenstückelung unendlich vieler, aber lebloser, Theile ein mechanisches Leben im Ganzen sich bildet. Auseinandergerissen wurden jetzt der Staat und die Kirche, die Gesetze und die Sitten; der Genuß wurde von der Arbeit, das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft. Aber selbst der karge fragmentarische Antheil, der die einzelnen Glieder noch an das Ganze knüpft, hängt nicht von Formen ab, die sie sich selbstthätig geben, (denn wie dürfte man ihrer Freyheit ein so künstliches und lichtscheues Uhrwerk ver- der Abstraktionsgeist das Feuer, an dem das Herz sich hätte wärmen, und die Phantasie sich entzünden sollen. Diese Zerrüttung, welche Kunst und Gelehrsamkeit in dem innern Menschen anfiengen, machte der neue Geist der Regierung vollkommen und allgemein. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die einfache Organisation der ersten Republiken die Einfalt der ersten Sitten und Verhältnisse überlebte, aber anstatt zu einem höhern animalischen Leben zu steigen, sank sie zu einer gemeinen und groben Mechanik herab. Jene Polypennatur der griechischen Staaten, wo jedes Individuum eines unabhängigen Lebens genoß, und wenn es Noth that, zum Ganzen werden konnte, machte jetzt einem kunstreichen Uhrwerke Platz, wo aus der Zusammenstückelung unendlich vieler, aber lebloser, Theile ein mechanisches Leben im Ganzen sich bildet. Auseinandergerissen wurden jetzt der Staat und die Kirche, die Gesetze und die Sitten; der Genuß wurde von der Arbeit, das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft. Aber selbst der karge fragmentarische Antheil, der die einzelnen Glieder noch an das Ganze knüpft, hängt nicht von Formen ab, die sie sich selbstthätig geben, (denn wie dürfte man ihrer Freyheit ein so künstliches und lichtscheues Uhrwerk ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0022" n="28"/> der Abstraktionsgeist das Feuer, an dem das Herz sich hätte wärmen, und die Phantasie sich entzünden sollen.</p> <p>Diese Zerrüttung, welche Kunst und Gelehrsamkeit in dem innern Menschen anfiengen, machte der neue Geist der Regierung vollkommen und allgemein. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die einfache Organisation der ersten Republiken die Einfalt der ersten Sitten und Verhältnisse überlebte, aber anstatt zu einem höhern animalischen Leben zu steigen, sank sie zu einer gemeinen und groben Mechanik herab. Jene Polypennatur der griechischen Staaten, wo jedes Individuum eines unabhängigen Lebens genoß, und wenn es Noth that, zum Ganzen werden konnte, machte jetzt einem kunstreichen Uhrwerke Platz, wo aus der Zusammenstückelung unendlich vieler, aber lebloser, Theile ein mechanisches Leben im Ganzen sich bildet. Auseinandergerissen wurden jetzt der Staat und die Kirche, die Gesetze und die Sitten; der Genuß wurde von der Arbeit, das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft. Aber selbst der karge fragmentarische Antheil, der die einzelnen Glieder noch an das Ganze knüpft, hängt nicht von Formen ab, die sie sich selbstthätig geben, (denn wie dürfte man ihrer Freyheit ein so künstliches und lichtscheues Uhrwerk ver- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [28/0022]
der Abstraktionsgeist das Feuer, an dem das Herz sich hätte wärmen, und die Phantasie sich entzünden sollen.
Diese Zerrüttung, welche Kunst und Gelehrsamkeit in dem innern Menschen anfiengen, machte der neue Geist der Regierung vollkommen und allgemein. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die einfache Organisation der ersten Republiken die Einfalt der ersten Sitten und Verhältnisse überlebte, aber anstatt zu einem höhern animalischen Leben zu steigen, sank sie zu einer gemeinen und groben Mechanik herab. Jene Polypennatur der griechischen Staaten, wo jedes Individuum eines unabhängigen Lebens genoß, und wenn es Noth that, zum Ganzen werden konnte, machte jetzt einem kunstreichen Uhrwerke Platz, wo aus der Zusammenstückelung unendlich vieler, aber lebloser, Theile ein mechanisches Leben im Ganzen sich bildet. Auseinandergerissen wurden jetzt der Staat und die Kirche, die Gesetze und die Sitten; der Genuß wurde von der Arbeit, das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft. Aber selbst der karge fragmentarische Antheil, der die einzelnen Glieder noch an das Ganze knüpft, hängt nicht von Formen ab, die sie sich selbstthätig geben, (denn wie dürfte man ihrer Freyheit ein so künstliches und lichtscheues Uhrwerk ver-
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Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reyhe von Briefen. [1. Teil; 1. bis 9. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 1. Stück. Tübingen, 1795, S. 7–48, hier S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung01_1795/22>, abgerufen am 16.02.2025. |