Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746.Theresiade 245Die Mahlerin vernahm fast mit Beleidigung Den schnellen Gegensaz, den sie zwar in sich schlung; Hier aber trat sie vor, den Streit zu unterbrechen: "Erlaubet ", sagte sie, mir auch ein Wort zu sprechen! "Der Künste Ziel beruht auf Wahrheit und auf Lust. 250"Die baut auf eine Flutt, der dieses nicht bewußt. "Wie weit erreichet ihr durch Säulen und durch Mauern; "Wann auch dieselbigen die Felsen überdauern; "Wie weit erreichet ihr durch eure Kunst den Saz? "Nicht weit. So gebet mir und meiner Arbeit Plaz. 255"Jch weise durch die Farb und durch des Pensels Spize, "Daß ich die Fähigkeit zu diesem Werck besize. "Die Wahrheit ist mein Ziel; die Luft begleitet mich; "So schmücket ihre Kraft fast jeden Pensel-Strich. "Was heisset Erz und Stein? was wird darein gegraben? 260"Was vor Lebhaftigkeit kann beydes in sich haben? "Füß', Hände, Kleidungen, ein starres Gips-Gesicht, "Dieß ist, was euer Stahl in stummen Marmel sticht. "Belohnet das die Müh? hingegen nach zu äffen, "Was die Natur erzeugt, und es genau zu treffen, 265"Jst meiner Farben Werck. Luft, Wolcken, Berg' und Thal, "Geschichten, Schlachten, Thier und Mensch ist, was ich mahl. "Jch kann durch meine Kunst, Leib, Ansehn, Geist und Leben, "Auch dem, der in der Welt nicht mehr zu sehn ist, geben. "Zorn
Thereſiade 245Die Mahlerin vernahm faſt mit Beleidigung Den ſchnellen Gegenſaz, den ſie zwar in ſich ſchlung; Hier aber trat ſie vor, den Streit zu unterbrechen: „Erlaubet „, ſagte ſie, mir auch ein Wort zu ſprechen! „Der Kuͤnſte Ziel beruht auf Wahrheit und auf Luſt. 250„Die baut auf eine Flutt, der dieſes nicht bewußt. „Wie weit erreichet ihr durch Saͤulen und durch Mauern; „Wann auch dieſelbigen die Felſen uͤberdauern; „Wie weit erreichet ihr durch eure Kunſt den Saz? „Nicht weit. So gebet mir und meiner Arbeit Plaz. 255„Jch weiſe durch die Farb und durch des Penſels Spize, „Daß ich die Faͤhigkeit zu dieſem Werck beſize. „Die Wahrheit iſt mein Ziel; die Luft begleitet mich; „So ſchmuͤcket ihre Kraft faſt jeden Penſel-Strich. „Was heiſſet Erz und Stein? was wird darein gegraben? 260„Was vor Lebhaftigkeit kann beydes in ſich haben? „Fuͤß’, Haͤnde, Kleidungen, ein ſtarres Gips-Geſicht, „Dieß iſt, was euer Stahl in ſtummen Marmel ſticht. „Belohnet das die Muͤh? hingegen nach zu aͤffen, „Was die Natur erzeugt, und es genau zu treffen, 265„Jſt meiner Farben Werck. Luft, Wolcken, Berg’ und Thal, „Geſchichten, Schlachten, Thier und Menſch iſt, was ich mahl. „Jch kann durch meine Kunſt, Leib, Anſehn, Geiſt und Leben, „Auch dem, der in der Welt nicht mehr zu ſehn iſt, geben. „Zorn
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Thereſiade
Die Mahlerin vernahm faſt mit Beleidigung
Den ſchnellen Gegenſaz, den ſie zwar in ſich ſchlung;
Hier aber trat ſie vor, den Streit zu unterbrechen:
„Erlaubet „, ſagte ſie, mir auch ein Wort zu ſprechen!
„Der Kuͤnſte Ziel beruht auf Wahrheit und auf Luſt.
„Die baut auf eine Flutt, der dieſes nicht bewußt.
„Wie weit erreichet ihr durch Saͤulen und durch Mauern;
„Wann auch dieſelbigen die Felſen uͤberdauern;
„Wie weit erreichet ihr durch eure Kunſt den Saz?
„Nicht weit. So gebet mir und meiner Arbeit Plaz.
„Jch weiſe durch die Farb und durch des Penſels Spize,
„Daß ich die Faͤhigkeit zu dieſem Werck beſize.
„Die Wahrheit iſt mein Ziel; die Luft begleitet mich;
„So ſchmuͤcket ihre Kraft faſt jeden Penſel-Strich.
„Was heiſſet Erz und Stein? was wird darein gegraben?
„Was vor Lebhaftigkeit kann beydes in ſich haben?
„Fuͤß’, Haͤnde, Kleidungen, ein ſtarres Gips-Geſicht,
„Dieß iſt, was euer Stahl in ſtummen Marmel ſticht.
„Belohnet das die Muͤh? hingegen nach zu aͤffen,
„Was die Natur erzeugt, und es genau zu treffen,
„Jſt meiner Farben Werck. Luft, Wolcken, Berg’ und Thal,
„Geſchichten, Schlachten, Thier und Menſch iſt, was ich mahl.
„Jch kann durch meine Kunſt, Leib, Anſehn, Geiſt und Leben,
„Auch dem, der in der Welt nicht mehr zu ſehn iſt, geben.
„Zorn
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