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Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746.

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Eilftes Buch.
"Noch etwas Königinn! dem Blick in das Gemach
"Denck ich noch immerfort, nicht unentsezet, nach.
"Jch weiß nicht, ob mich nur ein Schattenwerck verführte;
360"Ob mich was wirckliches, doch mit Verblenden, rührte:
"Jch öffnete die Thür; ich stuzt', ich schwieg, ich stand,
"Weil ich Verwundrungs-voll dort einen Priester fand;
"Er kniete vor dem Kreuz, als ihn mein Aug erblickte;
"Gleich stund er auf, daß ich darüber mich entzückte.
365"Er sprach kein Wort, er gieng, und als er mich verließ,
"So merckt' ich, daß er sich fromm, hold und freundlich wies;
"Zuvor noch mit der Hand des Kreuzes Zeichen machte,
"Mein Herz in Wanckelmuth, mein Aug in Wunder brachte;
"Weil er aus dem Gemach, ich weiß nicht wie, verschwand,
370"Daß ich ihn nirgends mehr als in den Sinnen fand.
"Wie ward ich nicht erschreckt? mein Herz fieng an zu schlagen,
"Und wollte mir von nichts, als von Entsezung sagen.
"Zu gleicher Zeit geschah die schon erzählte Sach.
"Nun forsch' ich der so wohl, als diesem Priester nach.
375"Allein was kann mein Geist bey solchem Fall gedencken?
"Jch mag desselben Kraft dort oder dahin lencken,
"So bin ich doch erstaunt. Jch hab ein Bild erblickt,
"Das mir erst neuen Wahn in meine Sinnen drückt.
"Es hangt in dem Gemach. Wann ich recht wahr genommen,
380"So zeigt es die Gestallt, die mir ist vorgekommen:
"Das
S s 2
Eilftes Buch.
„Noch etwas Koͤniginn! dem Blick in das Gemach
„Denck ich noch immerfort, nicht unentſezet, nach.
„Jch weiß nicht, ob mich nur ein Schattenwerck verfuͤhrte;
360„Ob mich was wirckliches, doch mit Verblenden, ruͤhrte:
„Jch oͤffnete die Thuͤr; ich ſtuzt’, ich ſchwieg, ich ſtand,
„Weil ich Verwundrungs-voll dort einen Prieſter fand;
„Er kniete vor dem Kreuz, als ihn mein Aug erblickte;
„Gleich ſtund er auf, daß ich daruͤber mich entzuͤckte.
365„Er ſprach kein Wort, er gieng, und als er mich verließ,
„So merckt’ ich, daß er ſich fromm, hold und freundlich wies;
„Zuvor noch mit der Hand des Kreuzes Zeichen machte,
„Mein Herz in Wanckelmuth, mein Aug in Wunder brachte;
„Weil er aus dem Gemach, ich weiß nicht wie, verſchwand,
370„Daß ich ihn nirgends mehr als in den Sinnen fand.
„Wie ward ich nicht erſchreckt? mein Herz fieng an zu ſchlagen,
„Und wollte mir von nichts, als von Entſezung ſagen.
„Zu gleicher Zeit geſchah die ſchon erzaͤhlte Sach.
„Nun forſch’ ich der ſo wohl, als dieſem Prieſter nach.
375„Allein was kann mein Geiſt bey ſolchem Fall gedencken?
„Jch mag deſſelben Kraft dort oder dahin lencken,
„So bin ich doch erſtaunt. Jch hab ein Bild erblickt,
„Das mir erſt neuen Wahn in meine Sinnen druͤckt.
„Es hangt in dem Gemach. Wann ich recht wahr genommen,
380„So zeigt es die Geſtallt, die mir iſt vorgekommen:
„Das
S s 2
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[0133] Eilftes Buch. „Noch etwas Koͤniginn! dem Blick in das Gemach „Denck ich noch immerfort, nicht unentſezet, nach. „Jch weiß nicht, ob mich nur ein Schattenwerck verfuͤhrte; „Ob mich was wirckliches, doch mit Verblenden, ruͤhrte: „Jch oͤffnete die Thuͤr; ich ſtuzt’, ich ſchwieg, ich ſtand, „Weil ich Verwundrungs-voll dort einen Prieſter fand; „Er kniete vor dem Kreuz, als ihn mein Aug erblickte; „Gleich ſtund er auf, daß ich daruͤber mich entzuͤckte. „Er ſprach kein Wort, er gieng, und als er mich verließ, „So merckt’ ich, daß er ſich fromm, hold und freundlich wies; „Zuvor noch mit der Hand des Kreuzes Zeichen machte, „Mein Herz in Wanckelmuth, mein Aug in Wunder brachte; „Weil er aus dem Gemach, ich weiß nicht wie, verſchwand, „Daß ich ihn nirgends mehr als in den Sinnen fand. „Wie ward ich nicht erſchreckt? mein Herz fieng an zu ſchlagen, „Und wollte mir von nichts, als von Entſezung ſagen. „Zu gleicher Zeit geſchah die ſchon erzaͤhlte Sach. „Nun forſch’ ich der ſo wohl, als dieſem Prieſter nach. „Allein was kann mein Geiſt bey ſolchem Fall gedencken? „Jch mag deſſelben Kraft dort oder dahin lencken, „So bin ich doch erſtaunt. Jch hab ein Bild erblickt, „Das mir erſt neuen Wahn in meine Sinnen druͤckt. „Es hangt in dem Gemach. Wann ich recht wahr genommen, „So zeigt es die Geſtallt, die mir iſt vorgekommen: „Das S s 2

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Zitationshilfe: Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 2. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade02_1746/133>, abgerufen am 28.04.2024.