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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708.

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N. 29.)

Schweizerische
Berg-Reisen.


WEr solte meinen/ daß die von zerschmelzten Gletscheren abfliessende
Wasser die kostlichsten/ und gesündesten weren unter allen Wasse-
rendes Schweitzerlands? Eine seltsame Sach! man förchtet sich/
und nicht ohne Ursach/ in grosser Sommerhitz/ oder bey schweissendem Leibe/ vor
einem Trunk kalten Wassers/ weilen die durchdämpfung des Leibs/ so dann-
zumalen stark/ sich einsmal hemmen/ und das Geblüt in seiner Bewegung
still stehen kan. Wir selbs haben bald alle Jahr traurige Exempel von
Bergreisenden/ welche in ihrer grossen Müdigkeit/ gantz durstig/ sich bey ei-
nem Crystallauteren Brunnen nidersetzen/ etwann darbey einschlaffen/ und
aber nimmer erwachen; oder von anderen/ welche sich eine Heiserkeit an den
Hals trinken/ auf die hernach ein Schwindsucht erfolget/ oder von anderen/
denen die zugezogene unordentliche Geblüts Bewegung allerhand Fieber/
oder Seitenstich/ erweken. Wer dergleichen Exempel wil lesen/ der findet
sie bey Massinio de Gelidi Potus abusu. Anton. Persio de Potu calido cap. 12.
13. Schenk Obs. Lib. III. obs.
44. Jst ein lauterer Trunk kaltes Wassers so
gefahrlich/ so wird man sich desto mehr zu hüten haben vor dem Schnee- und
Eiswasser/ ja selbige zu fliehen/ als die Pest! Jch gestehe/ daß dise Gründe
allein mir allen Muht benehmen/ etwas von den Gletscherwasseren zuversu-
chen/ und lieber lust habe meinen durstigen Mund und Leib weiters fortzutragen/
als mich durch einen solchen Trunck in gefahr meines Lebens zustürtzen. Jn di-
sem fall lachen unsere Alpenbewohnere aller unserer Vernünftelungen/ und
trinken hertzhaft allen frembden Gästen solche Milchweisse Gletscherwasser zu/
versicheren auch auß langer Erfahrung/ das diß die gesündesten Wasser von
allen/ und man darvon trinken könne in nüchteren oder vollen Magen/ so vil
man wolle; hierdurch habe auch mich bereden lassen/ und bezeuge aus eigener
Erfahrung/ daß mit grossem Lust/ ohne einigen darauf erfolgten Schaden/
von dergleichen Wasseren getrunken eine zimliche vile/ und in meinen Berg-
Reisen die Firnwasser mir endlich vorkommen/ als so vil Kraftwasser/ von
welchen ich selten weggegangen/ ohne das meine matten Glieder dardurch er-
labet hette. Disem Paradoxo Physico habe mehrmalen nachgesinnet/ und

folgen-
N. 29.)

Schweizeriſche
Berg-Reiſen.


WEr ſolte meinen/ daß die von zerſchmelzten Gletſcheren abflieſſende
Waſſer die koſtlichſten/ und geſuͤndeſten weren unter allen Waſſe-
rendes Schweitzerlands? Eine ſeltſame Sach! man foͤrchtet ſich/
und nicht ohne Urſach/ in groſſer Som̃erhitz/ oder bey ſchweiſſendem Leibe/ vor
einem Trunk kalten Waſſers/ weilen die durchdaͤmpfung des Leibs/ ſo dann-
zumalen ſtark/ ſich einsmal hemmen/ und das Gebluͤt in ſeiner Bewegung
ſtill ſtehen kan. Wir ſelbs haben bald alle Jahr traurige Exempel von
Bergreiſenden/ welche in ihrer groſſen Muͤdigkeit/ gantz durſtig/ ſich bey ei-
nem Cryſtallauteren Brunnen niderſetzen/ etwann darbey einſchlaffen/ und
aber nimmer erwachen; oder von anderen/ welche ſich eine Heiſerkeit an den
Hals trinken/ auf die hernach ein Schwindſucht erfolget/ oder von anderen/
denen die zugezogene unordentliche Gebluͤts Bewegung allerhand Fieber/
oder Seitenſtich/ erweken. Wer dergleichen Exempel wil leſen/ der findet
ſie bey Maſſinio de Gelidi Potus abuſu. Anton. Perſio de Potu calido cap. 12.
13. Schenk Obſ. Lib. III. obſ.
44. Jſt ein lauterer Trunk kaltes Waſſers ſo
gefahrlich/ ſo wird man ſich deſto mehr zu huͤten haben vor dem Schnee- und
Eiswaſſer/ ja ſelbige zu fliehen/ als die Peſt! Jch geſtehe/ daß diſe Gruͤnde
allein mir allen Muht benehmen/ etwas von den Gletſcherwaſſeren zuverſu-
chen/ und lieber luſt habe meinen durſtigen Mund uñ Leib weiters fortzutragẽ/
als mich durch einen ſolchen Trunck in gefahr meines Lebens zuſtuͤrtzen. Jn di-
ſem fall lachen unſere Alpenbewohnere aller unſerer Vernuͤnftelungen/ und
trinken hertzhaft allen frembden Gaͤſten ſolche Milchweiſſe Gletſcherwaſſer zu/
verſicheren auch auß langer Erfahrung/ das diß die geſuͤndeſten Waſſer von
allen/ und man darvon trinken koͤnne in nuͤchteren oder vollen Magen/ ſo vil
man wolle; hierdurch habe auch mich bereden laſſen/ und bezeuge aus eigener
Erfahrung/ daß mit groſſem Luſt/ ohne einigen darauf erfolgten Schaden/
von dergleichen Waſſeren getrunken eine zimliche vile/ und in meinen Berg-
Reiſen die Firnwaſſer mir endlich vorkommen/ als ſo vil Kraftwaſſer/ von
welchen ich ſelten weggegangen/ ohne das meine matten Glieder dardurch er-
labet hette. Diſem Paradoxo Phyſico habe mehrmalen nachgeſinnet/ und

folgen-
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[113/0141] N. 29.) (Den 20. Jul. 1707. Schweizeriſche Berg-Reiſen. WEr ſolte meinen/ daß die von zerſchmelzten Gletſcheren abflieſſende Waſſer die koſtlichſten/ und geſuͤndeſten weren unter allen Waſſe- rendes Schweitzerlands? Eine ſeltſame Sach! man foͤrchtet ſich/ und nicht ohne Urſach/ in groſſer Som̃erhitz/ oder bey ſchweiſſendem Leibe/ vor einem Trunk kalten Waſſers/ weilen die durchdaͤmpfung des Leibs/ ſo dann- zumalen ſtark/ ſich einsmal hemmen/ und das Gebluͤt in ſeiner Bewegung ſtill ſtehen kan. Wir ſelbs haben bald alle Jahr traurige Exempel von Bergreiſenden/ welche in ihrer groſſen Muͤdigkeit/ gantz durſtig/ ſich bey ei- nem Cryſtallauteren Brunnen niderſetzen/ etwann darbey einſchlaffen/ und aber nimmer erwachen; oder von anderen/ welche ſich eine Heiſerkeit an den Hals trinken/ auf die hernach ein Schwindſucht erfolget/ oder von anderen/ denen die zugezogene unordentliche Gebluͤts Bewegung allerhand Fieber/ oder Seitenſtich/ erweken. Wer dergleichen Exempel wil leſen/ der findet ſie bey Maſſinio de Gelidi Potus abuſu. Anton. Perſio de Potu calido cap. 12. 13. Schenk Obſ. Lib. III. obſ. 44. Jſt ein lauterer Trunk kaltes Waſſers ſo gefahrlich/ ſo wird man ſich deſto mehr zu huͤten haben vor dem Schnee- und Eiswaſſer/ ja ſelbige zu fliehen/ als die Peſt! Jch geſtehe/ daß diſe Gruͤnde allein mir allen Muht benehmen/ etwas von den Gletſcherwaſſeren zuverſu- chen/ und lieber luſt habe meinen durſtigen Mund uñ Leib weiters fortzutragẽ/ als mich durch einen ſolchen Trunck in gefahr meines Lebens zuſtuͤrtzen. Jn di- ſem fall lachen unſere Alpenbewohnere aller unſerer Vernuͤnftelungen/ und trinken hertzhaft allen frembden Gaͤſten ſolche Milchweiſſe Gletſcherwaſſer zu/ verſicheren auch auß langer Erfahrung/ das diß die geſuͤndeſten Waſſer von allen/ und man darvon trinken koͤnne in nuͤchteren oder vollen Magen/ ſo vil man wolle; hierdurch habe auch mich bereden laſſen/ und bezeuge aus eigener Erfahrung/ daß mit groſſem Luſt/ ohne einigen darauf erfolgten Schaden/ von dergleichen Waſſeren getrunken eine zimliche vile/ und in meinen Berg- Reiſen die Firnwaſſer mir endlich vorkommen/ als ſo vil Kraftwaſſer/ von welchen ich ſelten weggegangen/ ohne das meine matten Glieder dardurch er- labet hette. Diſem Paradoxo Phyſico habe mehrmalen nachgeſinnet/ und folgen-

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweitzerlands. Bd. 3. Zürich, 1708, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten03_1708/141>, abgerufen am 21.11.2024.