Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 2. Zürich, 1707.bekanten/ Erdengürtel/ da die Sonn denen Bewohneren auf dem ganzen und
bekanten/ Erdenguͤrtel/ da die Sonn denen Bewohneren auf dem ganzen und
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bekanten/ Erdenguͤrtel/ da die Sonn denen Bewohneren auf dem ganzen
Horizont umher/ aber ſo nider gehet/ daß keine ſo gar empfindliche Waͤrme
in der Luft kan verſpuͤr et werden/ und deßwegen nach Goͤttlicher Vorſehung
die Monatlich- und halbjaͤhrige Laͤnge der Tagen muß erſetzen den Mangel
der Sonnenhoͤhe/ ſo finden wir widerum ein elendes Leben bey Menſchen
und Vieh; das Gebluͤt wird langſam in ſeinem Kreißlauff fortgebracht/
und leidet auch ſeine ſo genante innere Bewegung/ weilen die Theile deſ-
ſelben nicht wol auß einander gezogen/ oder von einander zertheilt werden/
ſondern under ſich behangen bleiben/ folglich die Geiſter auch nicht koͤnnen
ſubtil herauß kommen/ und uͤber diß die durchdaͤmpfung theils von der Kaͤl-
te/ theils von ſchwer aufligender Luft merklich verhinderet wird/ alſo daß ſich
nicht zu verwunderen/ wann daſige Voͤlker/ oder die dahin reiſen/ vil auß-
ſtehen muͤſſen von der Gefroͤrne/ kaltem Brand/ Bauchgrimmen/ Schlag-
fluß/ Scharbock/ und allerhand Haut-Schaͤden/ ſo ſich in Geſtalt hitziger
Brennblaͤtterlein aufwerffen. Was von ſolcher Leuthen Verſtand/ und
Wiſſenſchaften zu halten ſeye/ iſt leicht auß jeztgemachter Beſchreibung ab-
zunemmen/ wann die ſubtilen Geiſter under den groben in einem Hirnkerker
gefangen ſitzen/ und oft von Kaͤlte gleichſam erſtarꝛen/ ſo kan nichts ſonder-
lichs zum Nutzen der Gelehrten Welt/ oder auch der Menſchlichen Geſell-
ſchaft außgebrutet werden. Und bezeuget auch die Erfahrung/ daß ſolcher
Leuthen Verſtand ſich weiter nicht erſtrecket/ als ihre nakende Haut mit
Beltzwerk vor der Kaͤlte zu bewahren/ und ihr Leben mit Fiſchen zu erhalten/
uͤbrigens in einer freyen Sclaverey unter dem Gewalt benachbarter Fuͤr-
ſten zuleben. Gluͤklicher als jezt beſchribene warme/ und kalte Erdenſtrich/
iſt der zwiſchen ligende Theil/ ſo Europa/ und andere in uͤbrigen Weltthei-
len ligende Laͤnder in ſich begreift/ namlich von dem 23. grad der Polus hoͤhe
bis zu dem Polarzirkel/ wiewol diſer ſo genante temperierte, oder mittelmaͤſ-
ſige/ Gürtelſtrich widerum ſeine groſſe Verſchiedenheiten hat/ welche wir
kuͤrzlich durchgehen wollen/ und alſo um unſer Schweizerland her eine Phi-
loſophiſche Reiſe anſtellen. Gegen Mittag haben wir Jtalien/ ein Land/
in welchem die Geiſter ſubtil/ und nach dem Willen ihrer Fuͤhreren zu gu-
tem/ und boͤſem/ ſehr tauglich ſeyn. Animus omnium rerum capax. Neque
pingui impetu, & tantùm ad Naturæ Imperium, ſed erudité, & cum arti-
ficio virtutes aut vitia ſequuntur. Barclaj. Icon. Animor. cap. 6. Daher
auf diſe Nation, welche ein Mittelgattung iſt zwiſchen den leichtſinnigen
Franzoſen/ und gravitetiſchen Spanieren/ und in Anſehung des Tempera-
ments uͤberein komt mit der Engliſchen/ ſich reimet jenes Spruͤchlein:
Ubi bonus, nemo melior, ubi malus, nemo pejor. Es veranlaſet ſie aber
die Beſchaffenheit des Lands/ und darinn wachſender koſtlicher Pflanzen/
und
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Zitationshilfe: | Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 2. Zürich, 1707, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten02_1706/204>, abgerufen am 16.02.2025. |