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Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 2. Zürich, 1707.

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-- -- -- Natura certe
Multa tegit Sacra involucra, nec ullis
Fas est scire quidem mortalibus omnia.

Es muß einmahl eine neue Naturwissenschaft/ auf ein ganz neues/ uns
bis dahin unbekantes/ Fundament gebauet werden/ wann man wil der Na-
tur dises Würffel werk zu schreiben. Da mag nicht langen der grosse Aristo-
teles
mit allen seinen Formis, Qualitatibus, Affectionibus, Facultatibus, For-
men/ Kräften/ und Eigenschaften/ wie sie immer mögen Nammen haben.
Der weise Plato, sein Lehrmeister/ komt auch zu kurz mit seinen Ideis, oder
Vorbildlein aller Dingen/ welche annoch jezt nach einicher neuen Semi Plato-
nicorum
Meynung in der Welt umherfliegen. Der klügste Epicurus wird
eher erleben/ daß seine ohngefahr zusamenstossende Stäublein des Homeri
Buch/ Ilias genant/ außmachen werden/ als einen einigen Baderwürffel
gestalten. Der Weltberühmte Erneuerer der Epicureischen Weltweißheit
Gassendus, mit dem ganzen Schwarm seiner Nachfolgeren findet nichts/
daß hieher diene/ wann sich schon zu ihnen gesellen alle heutigen Mathematici,
welche nach Mechanischen Gesätzen die Begegnissen der Natur außlegen.
Der kühne/ und glükliche außfinder Cartesius, wird eher in dem einbildischen
Weltraum/ da er jezund sich sol aufhalten/ nach seinen Grundsätzen eine neue
Welt bauen/ als ein halbes dotzet Baderwürffel machen. Wahr ists/ daß
unsere Helvetische Lande so voll sein von allerhand Naturwunderen/ daß es
scheinet/ die Natur habe disen obersten Gipfel Europae zu ihrem Thron/ und
Herrschaft Sitz erwehlet/ aber auch haben wir bis dahin ihro mehr zugeschrie-
ben/ als ihr gebürt/ wie zum Beyspiel dienen kan der Pilatus See/ desse wet-
ter macherische Wirkungen man vor etlich 100. Jahren zu Lucern/ und in
übriger Eidgnoßschaft eben so wenig hette in Zweifel zeuhen dörffen/ als ie-
zund zu Baden die Würffelmachende Naturkraft. Wann jemand die Hel-
veti
sche Natur in hohen Ehren haltet/ und sich bedenket ihro etwas abzuspre-
chen/ so bin ichs/ und aber habe mich bis jezo nicht bereden können/ daß dise
Baderwürffel natürlich/ oder also in der Erden gewachsen/ und gestaltet wor-
den. Die Gründe/ welche mich hierzu bewegen/ werde in möglichster kürze
darlegen/ und dann dem Wahrheit liebenden Leser überlassen sein Ja/
oder Nein/ anzuhenken. Erstlich dann behaubte ich/ daß das Würffelspiel/
und deren Bezeugung eine erfindung seye eines/ und zwar/ Menschlichen
Verstands. Oder es muß ein Naturverständiger daher kommen/ und an-
zeigen/ wie dann die Würffel in denen Geheim-Zimmeren/ und verborgenen
Werkstätten der Natur/ zu was End/ und mit was vor Jnstrumenten auß-
gearbeitet werden? warum die Pünctlein allezeit also den Würffel-Flächen
eingegraben, das zwey einander entgegenstehende seiten die sibende Zahl auß-

machen/
— — — Natura certé
Multa tegit Sacra involucra, nec ullis
Fas eſt ſcire quidem mortalibus omnia.

Es muß einmahl eine neue Naturwiſſenſchaft/ auf ein ganz neues/ uns
bis dahin unbekantes/ Fundament gebauet werden/ wann man wil der Na-
tur diſes Wuͤrffel werk zu ſchreiben. Da mag nicht langen der groſſe Ariſto-
teles
mit allen ſeinen Formis, Qualitatibus, Affectionibus, Facultatibus, For-
men/ Kraͤften/ und Eigenſchaften/ wie ſie immer moͤgen Nammen haben.
Der weiſe Plato, ſein Lehrmeiſter/ komt auch zu kurz mit ſeinen Ideis, oder
Vorbildlein aller Dingen/ welche annoch jezt nach einicher neuen Semi Plato-
nicorum
Meynung in der Welt umherfliegen. Der kluͤgſte Epicurus wird
eher erleben/ daß ſeine ohngefahr zuſamenſtoſſende Staͤublein des Homeri
Buch/ Ilias genant/ außmachen werden/ als einen einigen Baderwuͤrffel
geſtalten. Der Weltberuͤhmte Erneuerer der Epicureiſchen Weltweißheit
Gaſſendus, mit dem ganzen Schwarm ſeiner Nachfolgeren findet nichts/
daß hieher diene/ wann ſich ſchon zu ihnen geſellen alle heutigen Mathematici,
welche nach Mechaniſchen Geſaͤtzen die Begegniſſen der Natur außlegen.
Der kuͤhne/ und gluͤkliche außfinder Carteſius, wird eher in dem einbildiſchen
Weltraum/ da er jezund ſich ſol aufhalten/ nach ſeinen Grundſaͤtzen eine neue
Welt bauen/ als ein halbes dotzet Baderwuͤrffel machen. Wahr iſts/ daß
unſere Helvetiſche Lande ſo voll ſein von allerhand Naturwunderen/ daß es
ſcheinet/ die Natur habe diſen oberſten Gipfel Europæ zu ihrem Thron/ und
Herꝛſchaft Sitz erwehlet/ aber auch haben wir bis dahin ihro mehr zugeſchrie-
ben/ als ihr gebuͤrt/ wie zum Beyſpiel dienen kan der Pilatus See/ deſſe wet-
ter macheriſche Wirkungen man vor etlich 100. Jahren zu Lucern/ und in
uͤbriger Eidgnoßſchaft eben ſo wenig hette in Zweifel zeuhen doͤrffen/ als ie-
zund zu Baden die Wuͤrffelmachende Naturkraft. Wann jemand die Hel-
veti
ſche Natur in hohen Ehren haltet/ und ſich bedenket ihro etwas abzuſpre-
chen/ ſo bin ichs/ und aber habe mich bis jezo nicht bereden koͤnnen/ daß diſe
Baderwuͤrffel natuͤrlich/ oder alſo in der Erden gewachſen/ und geſtaltet wor-
den. Die Gruͤnde/ welche mich hierzu bewegen/ werde in moͤglichſter kuͤrze
darlegen/ und dann dem Wahrheit liebenden Leſer uͤberlaſſen ſein Ja/
oder Nein/ anzuhenken. Erſtlich dann behaubte ich/ daß das Wuͤrffelſpiel/
und deren Bezeugung eine erfindung ſeye eines/ und zwar/ Menſchlichen
Verſtands. Oder es muß ein Naturverſtaͤndiger daher kommen/ und an-
zeigen/ wie dann die Wuͤrffel in denen Geheim-Zimmeren/ und verborgenen
Werkſtaͤtten der Natur/ zu was End/ und mit was vor Jnſtrumenten auß-
gearbeitet werden? warum die Pünctlein allezeit alſo den Wuͤrffel-Flaͤchen
eingegraben, das zwey einander entgegenſtehende ſeiten die ſibende Zahl auß-

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[154/0167] — — — Natura certé Multa tegit Sacra involucra, nec ullis Fas eſt ſcire quidem mortalibus omnia. Es muß einmahl eine neue Naturwiſſenſchaft/ auf ein ganz neues/ uns bis dahin unbekantes/ Fundament gebauet werden/ wann man wil der Na- tur diſes Wuͤrffel werk zu ſchreiben. Da mag nicht langen der groſſe Ariſto- teles mit allen ſeinen Formis, Qualitatibus, Affectionibus, Facultatibus, For- men/ Kraͤften/ und Eigenſchaften/ wie ſie immer moͤgen Nammen haben. Der weiſe Plato, ſein Lehrmeiſter/ komt auch zu kurz mit ſeinen Ideis, oder Vorbildlein aller Dingen/ welche annoch jezt nach einicher neuen Semi Plato- nicorum Meynung in der Welt umherfliegen. Der kluͤgſte Epicurus wird eher erleben/ daß ſeine ohngefahr zuſamenſtoſſende Staͤublein des Homeri Buch/ Ilias genant/ außmachen werden/ als einen einigen Baderwuͤrffel geſtalten. Der Weltberuͤhmte Erneuerer der Epicureiſchen Weltweißheit Gaſſendus, mit dem ganzen Schwarm ſeiner Nachfolgeren findet nichts/ daß hieher diene/ wann ſich ſchon zu ihnen geſellen alle heutigen Mathematici, welche nach Mechaniſchen Geſaͤtzen die Begegniſſen der Natur außlegen. Der kuͤhne/ und gluͤkliche außfinder Carteſius, wird eher in dem einbildiſchen Weltraum/ da er jezund ſich ſol aufhalten/ nach ſeinen Grundſaͤtzen eine neue Welt bauen/ als ein halbes dotzet Baderwuͤrffel machen. Wahr iſts/ daß unſere Helvetiſche Lande ſo voll ſein von allerhand Naturwunderen/ daß es ſcheinet/ die Natur habe diſen oberſten Gipfel Europæ zu ihrem Thron/ und Herꝛſchaft Sitz erwehlet/ aber auch haben wir bis dahin ihro mehr zugeſchrie- ben/ als ihr gebuͤrt/ wie zum Beyſpiel dienen kan der Pilatus See/ deſſe wet- ter macheriſche Wirkungen man vor etlich 100. Jahren zu Lucern/ und in uͤbriger Eidgnoßſchaft eben ſo wenig hette in Zweifel zeuhen doͤrffen/ als ie- zund zu Baden die Wuͤrffelmachende Naturkraft. Wann jemand die Hel- vetiſche Natur in hohen Ehren haltet/ und ſich bedenket ihro etwas abzuſpre- chen/ ſo bin ichs/ und aber habe mich bis jezo nicht bereden koͤnnen/ daß diſe Baderwuͤrffel natuͤrlich/ oder alſo in der Erden gewachſen/ und geſtaltet wor- den. Die Gruͤnde/ welche mich hierzu bewegen/ werde in moͤglichſter kuͤrze darlegen/ und dann dem Wahrheit liebenden Leſer uͤberlaſſen ſein Ja/ oder Nein/ anzuhenken. Erſtlich dann behaubte ich/ daß das Wuͤrffelſpiel/ und deren Bezeugung eine erfindung ſeye eines/ und zwar/ Menſchlichen Verſtands. Oder es muß ein Naturverſtaͤndiger daher kommen/ und an- zeigen/ wie dann die Wuͤrffel in denen Geheim-Zimmeren/ und verborgenen Werkſtaͤtten der Natur/ zu was End/ und mit was vor Jnſtrumenten auß- gearbeitet werden? warum die Pünctlein allezeit alſo den Wuͤrffel-Flaͤchen eingegraben, das zwey einander entgegenſtehende ſeiten die ſibende Zahl auß- machen/

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Zitationshilfe: Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung Der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 2. Zürich, 1707, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten02_1706/167>, abgerufen am 23.11.2024.