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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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selbst auf Scaliger. Ein Verzeichniß deutscher Poetiken in psc_052.002
Goedekes Grundriß der deutschen Dichtung 2, 438.

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Scaligers Poetik vereinigt jene Materien, die antike Poetik, psc_052.004
Rhetorik und Metrik und fügt freilich noch allerlei anderen psc_052.005
Stoff hinzu, namentlich litterarhistorischen und antiquarischen. psc_052.006
Eine wahrhafte Fortbildung der Erkenntniß ist auf diesem psc_052.007
Wege nicht erreicht worden, nur ein Fortleiten der antiken psc_052.008
Tradition. Diese Theoretiker sind nicht tiefer eingedrungen psc_052.009
in das Wesen und die Erscheinungsformen der Poesie. Sind psc_052.010
doch alle diese Poetiken in einer Zeit geschrieben worden, wo psc_052.011
die lateinischen Dichter als unbedingtes Vorbild galten. Gemäß psc_052.012
diesem antiken Jdeal sind auch die Poetiken nicht wesentlich psc_052.013
über das herausgekommen, was schon die antike Theorie psc_052.014
vorgetragen hat.

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Jn dieser ganzen Tradition steht das Vorbild des Aristoteles psc_052.016
als eigentliches Muster.

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Wir haben aus der Reihe der antiken Theoretiker Aristoteles psc_052.018
und Horaz herausgegriffen. Aristoteles und alles was psc_052.019
an ihm hängt ist erledigt, von Horatius noch zu handeln.

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Horaz gehört in weiterm Sinn selbst zur Schule des psc_052.021
Aristoteles; die aristotelischen Grundsätze von Nachahmung, psc_052.022
Handlung, Führerrolle der Tragödie u. s. w. finden sich bei psc_052.023
ihm wieder. Aber er hat doch eine besondere Strömung begründet: psc_052.024
das Lehrgedicht über die Poesie hat er eingeführt. psc_052.025
Den Brief an die Pisonen, Epist. 2, 3 (bei Batteux-Ramler psc_052.026
dritte Aufl. 3, 221 f. übersetzt und erläutert), nennt schon Quintilian psc_052.027
Ars poetica; und damit that man eigentlich wohl Horaz psc_052.028
Unrecht, denn er hat gewiß nicht die Absicht gehabt, hiermit

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selbst auf Scaliger. Ein Verzeichniß deutscher Poetiken in psc_052.002
Goedekes Grundriß der deutschen Dichtung 2, 438.

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  Scaligers Poetik vereinigt jene Materien, die antike Poetik, psc_052.004
Rhetorik und Metrik und fügt freilich noch allerlei anderen psc_052.005
Stoff hinzu, namentlich litterarhistorischen und antiquarischen. psc_052.006
Eine wahrhafte Fortbildung der Erkenntniß ist auf diesem psc_052.007
Wege nicht erreicht worden, nur ein Fortleiten der antiken psc_052.008
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die lateinischen Dichter als unbedingtes Vorbild galten. Gemäß psc_052.012
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über das herausgekommen, was schon die antike Theorie psc_052.014
vorgetragen hat.

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  Jn dieser ganzen Tradition steht das Vorbild des Aristoteles psc_052.016
als eigentliches Muster.

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und Horaz herausgegriffen. Aristoteles und alles was psc_052.019
an ihm hängt ist erledigt, von Horatius noch zu handeln.

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Aristoteles; die aristotelischen Grundsätze von Nachahmung, psc_052.022
Handlung, Führerrolle der Tragödie u. s. w. finden sich bei psc_052.023
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/68>, abgerufen am 30.04.2024.