Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

psc_248.001
16. Jahrhunderts; zu den kleinen prosaischen die prosaischen psc_248.002
Novellen und Schwänke.

psc_248.003

Zu den großen: das große Epos. Aus kleineren psc_248.004
epischen Liedern entwickelt sich fast regelmäßig die volksthümliche psc_248.005
Epopöe; dabei wird wohl immer nur Ein Vortrag psc_248.006
auf einmal recitirt, weil das Publicum nicht den des Ganzen psc_248.007
auf einmal auszudauern vermag. -- Neben dem volksthümlichen psc_248.008
Epos stehen die Kunstepopöen. -- Die Epopöe in psc_248.009
Prosa ergiebt den Roman.

psc_248.010

Es kommen zur kleinen Erzählung hinzu: das Märchen, psc_248.011
denn dies ist nichts anderes als Novelle; die Jdylle; die psc_248.012
Allegorie als erzählende Dichtungsart; die Fabel und Parabel psc_248.013
-- beides Erzählungen mit starker Beimischung von Didaktik. psc_248.014
Die Parabel braucht nicht unbedingt episch zu sein; aber sie psc_248.015
ist es in der Regel.

psc_248.016

Zu den kleinen Erzählungen gehören aber auch: Balladen psc_248.017
und Romanzen, was man wohl als episch=lyrisch bezeichnet -- psc_248.018
durchaus nichts anderes als kleine Erzählung, nur sangbar, psc_248.019
in gebundener Rede, oft in Strophen.

psc_248.020

Und nun ist es für diese Dichtungsart ganz gleichgiltig, psc_248.021
ob der Dichter von Andern oder von sich erzählt. Erzählt psc_248.022
er von sich, von einer Begebenheit, die er selbst erlebte, so psc_248.023
ist es ganz gleich, ob von einer Begegnung mit der Geliebten, psc_248.024
Besuch und Abschied, oder sonst einer Liebesepisode, psc_248.025
oder vielleicht von einer Reise: es bleibt immer eine kleine psc_248.026
Erzählung und ist ins epische Fach einzureihen. Nur daß psc_248.027
das Persönliche dabei leicht einen größeren Raum gewinnt, psc_248.028
daß sich eine Reflexion, eine Schilderung des Zustandes aus

psc_248.001
16. Jahrhunderts; zu den kleinen prosaischen die prosaischen psc_248.002
Novellen und Schwänke.

psc_248.003

  Zu den großen: das große Epos. Aus kleineren psc_248.004
epischen Liedern entwickelt sich fast regelmäßig die volksthümliche psc_248.005
Epopöe; dabei wird wohl immer nur Ein Vortrag psc_248.006
auf einmal recitirt, weil das Publicum nicht den des Ganzen psc_248.007
auf einmal auszudauern vermag. — Neben dem volksthümlichen psc_248.008
Epos stehen die Kunstepopöen. — Die Epopöe in psc_248.009
Prosa ergiebt den Roman.

psc_248.010

  Es kommen zur kleinen Erzählung hinzu: das Märchen, psc_248.011
denn dies ist nichts anderes als Novelle; die Jdylle; die psc_248.012
Allegorie als erzählende Dichtungsart; die Fabel und Parabel psc_248.013
— beides Erzählungen mit starker Beimischung von Didaktik. psc_248.014
Die Parabel braucht nicht unbedingt episch zu sein; aber sie psc_248.015
ist es in der Regel.

psc_248.016

  Zu den kleinen Erzählungen gehören aber auch: Balladen psc_248.017
und Romanzen, was man wohl als episch=lyrisch bezeichnet — psc_248.018
durchaus nichts anderes als kleine Erzählung, nur sangbar, psc_248.019
in gebundener Rede, oft in Strophen.

psc_248.020

  Und nun ist es für diese Dichtungsart ganz gleichgiltig, psc_248.021
ob der Dichter von Andern oder von sich erzählt. Erzählt psc_248.022
er von sich, von einer Begebenheit, die er selbst erlebte, so psc_248.023
ist es ganz gleich, ob von einer Begegnung mit der Geliebten, psc_248.024
Besuch und Abschied, oder sonst einer Liebesepisode, psc_248.025
oder vielleicht von einer Reise: es bleibt immer eine kleine psc_248.026
Erzählung und ist ins epische Fach einzureihen. Nur daß psc_248.027
das Persönliche dabei leicht einen größeren Raum gewinnt, psc_248.028
daß sich eine Reflexion, eine Schilderung des Zustandes aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="248"/><lb n="psc_248.001"/>
16. Jahrhunderts; zu den kleinen prosaischen die prosaischen <lb n="psc_248.002"/>
Novellen und Schwänke.</p>
          <lb n="psc_248.003"/>
          <p>  Zu den großen: das große Epos. Aus kleineren <lb n="psc_248.004"/>
epischen Liedern entwickelt sich fast regelmäßig die volksthümliche <lb n="psc_248.005"/>
Epopöe; dabei wird wohl immer nur Ein Vortrag <lb n="psc_248.006"/>
auf einmal recitirt, weil das Publicum nicht den des Ganzen <lb n="psc_248.007"/>
auf einmal auszudauern vermag. &#x2014; Neben dem volksthümlichen <lb n="psc_248.008"/>
Epos stehen die Kunstepopöen. &#x2014; Die Epopöe in <lb n="psc_248.009"/>
Prosa ergiebt den Roman.</p>
          <lb n="psc_248.010"/>
          <p>  Es kommen zur kleinen Erzählung hinzu: das Märchen, <lb n="psc_248.011"/>
denn dies ist nichts anderes als Novelle; die Jdylle; die <lb n="psc_248.012"/>
Allegorie als erzählende Dichtungsart; die Fabel und Parabel <lb n="psc_248.013"/>
&#x2014; beides Erzählungen mit starker Beimischung von Didaktik. <lb n="psc_248.014"/>
Die Parabel braucht nicht unbedingt episch zu sein; aber sie <lb n="psc_248.015"/>
ist es in der Regel.</p>
          <lb n="psc_248.016"/>
          <p>  Zu den kleinen Erzählungen gehören aber auch: Balladen <lb n="psc_248.017"/>
und Romanzen, was man wohl als episch=lyrisch bezeichnet &#x2014; <lb n="psc_248.018"/>
durchaus nichts anderes als kleine Erzählung, nur sangbar, <lb n="psc_248.019"/>
in gebundener Rede, oft in Strophen.</p>
          <lb n="psc_248.020"/>
          <p>  Und nun ist es für diese Dichtungsart ganz gleichgiltig, <lb n="psc_248.021"/>
ob der Dichter von Andern oder von sich erzählt. Erzählt <lb n="psc_248.022"/>
er von sich, von einer Begebenheit, die er selbst erlebte, so <lb n="psc_248.023"/>
ist es ganz gleich, ob von einer Begegnung mit der Geliebten, <lb n="psc_248.024"/>
Besuch und Abschied, oder sonst einer Liebesepisode, <lb n="psc_248.025"/>
oder vielleicht von einer Reise: es bleibt immer eine kleine <lb n="psc_248.026"/>
Erzählung und ist ins epische Fach einzureihen. Nur daß <lb n="psc_248.027"/>
das Persönliche dabei leicht einen größeren Raum gewinnt, <lb n="psc_248.028"/>
daß sich eine Reflexion, eine Schilderung des Zustandes aus
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0264] psc_248.001 16. Jahrhunderts; zu den kleinen prosaischen die prosaischen psc_248.002 Novellen und Schwänke. psc_248.003   Zu den großen: das große Epos. Aus kleineren psc_248.004 epischen Liedern entwickelt sich fast regelmäßig die volksthümliche psc_248.005 Epopöe; dabei wird wohl immer nur Ein Vortrag psc_248.006 auf einmal recitirt, weil das Publicum nicht den des Ganzen psc_248.007 auf einmal auszudauern vermag. — Neben dem volksthümlichen psc_248.008 Epos stehen die Kunstepopöen. — Die Epopöe in psc_248.009 Prosa ergiebt den Roman. psc_248.010   Es kommen zur kleinen Erzählung hinzu: das Märchen, psc_248.011 denn dies ist nichts anderes als Novelle; die Jdylle; die psc_248.012 Allegorie als erzählende Dichtungsart; die Fabel und Parabel psc_248.013 — beides Erzählungen mit starker Beimischung von Didaktik. psc_248.014 Die Parabel braucht nicht unbedingt episch zu sein; aber sie psc_248.015 ist es in der Regel. psc_248.016   Zu den kleinen Erzählungen gehören aber auch: Balladen psc_248.017 und Romanzen, was man wohl als episch=lyrisch bezeichnet — psc_248.018 durchaus nichts anderes als kleine Erzählung, nur sangbar, psc_248.019 in gebundener Rede, oft in Strophen. psc_248.020   Und nun ist es für diese Dichtungsart ganz gleichgiltig, psc_248.021 ob der Dichter von Andern oder von sich erzählt. Erzählt psc_248.022 er von sich, von einer Begebenheit, die er selbst erlebte, so psc_248.023 ist es ganz gleich, ob von einer Begegnung mit der Geliebten, psc_248.024 Besuch und Abschied, oder sonst einer Liebesepisode, psc_248.025 oder vielleicht von einer Reise: es bleibt immer eine kleine psc_248.026 Erzählung und ist ins epische Fach einzureihen. Nur daß psc_248.027 das Persönliche dabei leicht einen größeren Raum gewinnt, psc_248.028 daß sich eine Reflexion, eine Schilderung des Zustandes aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/264
Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/264>, abgerufen am 25.11.2024.