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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.

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besser einer besonderen Anwendung vorbehalten. Die wenigsten psc_008.002
Menschen besitzen die ganze Sprache ihrer Nation. Jeder psc_008.003
überschaut und beherrscht nur ein geringes Gebiet, schon was psc_008.004
den Wortschatz anbelangt. Die Terminologie für Lebensmittel, psc_008.005
Küchengeräthe u. s. w. kennt jede Köchin jedenfalls genauer psc_008.006
als ich. Jch weiß nur wenig Pflanzen zu benennen u. s. w. psc_008.007
So ist jede Terminologie nur denen geläufig, welche sich mit psc_008.008
den betreffenden Gegenständen beschäftigen. Die Jäger psc_008.009
wissen eine Menge Dinge zu benennen, denen gegenüber psc_008.010
ein anderer rathlos ist. So werde ich verhältnißmäßig am psc_008.011
genauesten aus dem gesammten Gebiete der Sprache die psc_008.012
Darstellungsmittel innerhalb der Wissenschaft, welcher ich psc_008.013
diene, kennen. Wer sich viel mit litterarischen Dingen beschäftigt, psc_008.014
wird einen eigenen Wortschatz für dies specielle psc_008.015
Gebiet sich aneignen, wie z. B. bei den Franzosen Ste. Beuve psc_008.016
mit so viel Feinheit that; zu solcher Reichhaltigkeit ist die psc_008.017
Sprache der deutschen Kritik überhaupt nicht gelangt, und psc_008.018
wie arm sind gar die meisten Jllitteraten in Bezeichnungen psc_008.019
für die Eigenthümlichkeiten eines litterarischen Kunstwerks!

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Verbindet sich nun mit dem Wohnen in einem besonderen psc_008.021
Gebiet der Sprache die Gewohnheit, darüber zu sprechen psc_008.022
und zu schreiben, so werden alle Wendungen aus diesem psc_008.023
Gebiet dem Betreffenden bequemer liegen als alle Sprachmittel psc_008.024
außerhalb des Gebiets. Und je mehr er diese Mittel psc_008.025
unbedingt beherrscht, d. h. je leichter es ihm wird, mit der psc_008.026
Sprache alle die Wirkungen zu erzielen, die er erzielen psc_008.027
möchte, desto mehr wird er die Sprache kunstmäßig handhaben.

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besser einer besonderen Anwendung vorbehalten. Die wenigsten psc_008.002
Menschen besitzen die ganze Sprache ihrer Nation. Jeder psc_008.003
überschaut und beherrscht nur ein geringes Gebiet, schon was psc_008.004
den Wortschatz anbelangt. Die Terminologie für Lebensmittel, psc_008.005
Küchengeräthe u. s. w. kennt jede Köchin jedenfalls genauer psc_008.006
als ich. Jch weiß nur wenig Pflanzen zu benennen u. s. w. psc_008.007
So ist jede Terminologie nur denen geläufig, welche sich mit psc_008.008
den betreffenden Gegenständen beschäftigen. Die Jäger psc_008.009
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ein anderer rathlos ist. So werde ich verhältnißmäßig am psc_008.011
genauesten aus dem gesammten Gebiete der Sprache die psc_008.012
Darstellungsmittel innerhalb der Wissenschaft, welcher ich psc_008.013
diene, kennen. Wer sich viel mit litterarischen Dingen beschäftigt, psc_008.014
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Gebiet sich aneignen, wie z. B. bei den Franzosen Ste. Beuve psc_008.016
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Sprache der deutschen Kritik überhaupt nicht gelangt, und psc_008.018
wie arm sind gar die meisten Jllitteraten in Bezeichnungen psc_008.019
für die Eigenthümlichkeiten eines litterarischen Kunstwerks!

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Gebiet der Sprache die Gewohnheit, darüber zu sprechen psc_008.022
und zu schreiben, so werden alle Wendungen aus diesem psc_008.023
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unbedingt beherrscht, d. h. je leichter es ihm wird, mit der psc_008.026
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Zitationshilfe: Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/24>, abgerufen am 28.03.2024.