psc_182.001 vieles zusammen, z. B. die Unterscheidung von Antik und psc_182.002 Modern. Die antike Dichtung soll naiv sein; aber darf man psc_182.003 die griechische Poesie als ein Ganzes ansehen? ist es erlaubt, psc_182.004 sie bloß naiv zu nennen? Naiv ist die Dichtung der psc_182.005 Naturvölker; aber das Athen des 5. Jahrhunderts vor Chr. psc_182.006 lebt nicht im Naturzustand. Homer und Euripides gehören psc_182.007 nicht in Eine Kategorie der Dichter. Und von Homer ist psc_182.008 noch ein weiter Weg zu den Naturvölkern mit der wahrhaft psc_182.009 naiven Poesie. Schiller geht immer noch aus von den psc_182.010 Rousseauschen Urzuständen. Er glaubt noch an dieses psc_182.011 Paradies der Natur, in welches die Segnungen, aber auch psc_182.012 die Laster der Cultur noch gar nicht Eingang gefunden psc_182.013 haben. Wir wissen heute ganz genau, daß die ersten Zustände psc_182.014 der Menschen mehr den thierischen Zuständen nahe stehen. psc_182.015 Schiller begeht, wie die meisten älteren ästhetischen Betrachtungen, psc_182.016 den Fehler, die Scala der Abstufungen den von psc_182.017 vornherein ins Auge gefaßten scharfen Contrasten gegenüber psc_182.018 zu vernachlässigen. Er sucht den Gegensatz von Cultur und psc_182.019 Natur scharf hervorzubringen und macht deshalb nicht genug psc_182.020 Abtheilungen nach Zeitaltern und deren Geschmack, Bildungsgraden psc_182.021 in ihren Abstufungen zwischen Natur und Cultur. psc_182.022 Wenn diese Charakteristik Schillers ausläuft in die Contrastirung psc_182.023 von Realismus und Jdealismus, so fällt das nicht psc_182.024 mit der Scheidung von Naiv und Sentimentalisch zusammen, psc_182.025 sondern es ist ein sittlicher und ein Stilgegensatz zu gleicher psc_182.026 Zeit. Den sittlichen Gegensatz haben wir schon berührt; insofern psc_182.027 Schiller einen Stilgegensatz meint, werden wir darauf psc_182.028 beim Kapitel "Jnnere Form" zurückkommen.
psc_182.001 vieles zusammen, z. B. die Unterscheidung von Antik und psc_182.002 Modern. Die antike Dichtung soll naiv sein; aber darf man psc_182.003 die griechische Poesie als ein Ganzes ansehen? ist es erlaubt, psc_182.004 sie bloß naiv zu nennen? Naiv ist die Dichtung der psc_182.005 Naturvölker; aber das Athen des 5. Jahrhunderts vor Chr. psc_182.006 lebt nicht im Naturzustand. Homer und Euripides gehören psc_182.007 nicht in Eine Kategorie der Dichter. Und von Homer ist psc_182.008 noch ein weiter Weg zu den Naturvölkern mit der wahrhaft psc_182.009 naiven Poesie. Schiller geht immer noch aus von den psc_182.010 Rousseauschen Urzuständen. Er glaubt noch an dieses psc_182.011 Paradies der Natur, in welches die Segnungen, aber auch psc_182.012 die Laster der Cultur noch gar nicht Eingang gefunden psc_182.013 haben. Wir wissen heute ganz genau, daß die ersten Zustände psc_182.014 der Menschen mehr den thierischen Zuständen nahe stehen. psc_182.015 Schiller begeht, wie die meisten älteren ästhetischen Betrachtungen, psc_182.016 den Fehler, die Scala der Abstufungen den von psc_182.017 vornherein ins Auge gefaßten scharfen Contrasten gegenüber psc_182.018 zu vernachlässigen. Er sucht den Gegensatz von Cultur und psc_182.019 Natur scharf hervorzubringen und macht deshalb nicht genug psc_182.020 Abtheilungen nach Zeitaltern und deren Geschmack, Bildungsgraden psc_182.021 in ihren Abstufungen zwischen Natur und Cultur. psc_182.022 Wenn diese Charakteristik Schillers ausläuft in die Contrastirung psc_182.023 von Realismus und Jdealismus, so fällt das nicht psc_182.024 mit der Scheidung von Naiv und Sentimentalisch zusammen, psc_182.025 sondern es ist ein sittlicher und ein Stilgegensatz zu gleicher psc_182.026 Zeit. Den sittlichen Gegensatz haben wir schon berührt; insofern psc_182.027 Schiller einen Stilgegensatz meint, werden wir darauf psc_182.028 beim Kapitel „Jnnere Form“ zurückkommen.
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Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scherer_poetik_1888/198>, abgerufen am 16.02.2025.
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