Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_139.001 Wie haben die Dichter überhaupt sich zu dieser Frage psc_139.017 1) einige wollten direct sittlich veredelnd wirken; psc_139.0212) einige indirect; psc_139.0223) einige gar nicht. psc_139.023 Nun ist es möglich, daß die Natur der Dinge stärker psc_139.024 psc_139.001 Wie haben die Dichter überhaupt sich zu dieser Frage psc_139.017 1) einige wollten direct sittlich veredelnd wirken; psc_139.0212) einige indirect; psc_139.0223) einige gar nicht. psc_139.023 Nun ist es möglich, daß die Natur der Dinge stärker psc_139.024 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0155" n="139"/><lb n="psc_139.001"/> daß Goethe und die anderen Dichter, die diese Ansicht <lb n="psc_139.002"/> aufstellten, bewußt oder unbewußt unter dem Einfluß <lb n="psc_139.003"/> der aristotelischen Theorie standen, welche die nachahmende <lb n="psc_139.004"/> Darstellung für den einzigen Zweck erklärt. Wenn das <lb n="psc_139.005"/> allein der Zweck, dann ist die sittliche Wirkung gleichgiltig. <lb n="psc_139.006"/> Es wird dann eine Scala nur in der Darstellung selbst, <lb n="psc_139.007"/> nicht etwa in den behandelten Gegenständen nach ihrer sittlichen <lb n="psc_139.008"/> Bedeutung den Werth ausmachen. Jn der That hat <lb n="psc_139.009"/> Goethe bei seinen vielen Untersuchungen über die Wirkung <lb n="psc_139.010"/> des Stoffes immer nur die Fruchtbarkeit im Auge gehabt. <lb n="psc_139.011"/> Es wird aber trotzdem Jeder zugeben, daß Goethe selbst ein <lb n="psc_139.012"/> großer sittlicher Bildner war, der Tiefen des sittlichen Lebens <lb n="psc_139.013"/> aufschloß, und daß er immer das Wesen der Sittlichkeit, die <lb n="psc_139.014"/> Aufopferung, als „Wurzel aller Tugenden“ in seinen Werken <lb n="psc_139.015"/> empfahl.</p> <lb n="psc_139.016"/> <p> Wie haben die Dichter überhaupt sich zu dieser Frage <lb n="psc_139.017"/> verhalten? Man kann vielleicht folgende Standpuncte unterscheiden, <lb n="psc_139.018"/> welche zu verschiedenen Zeiten verschiedene Dichter <lb n="psc_139.019"/> eingenommen haben:</p> <lb n="psc_139.020"/> <p> <hi rendition="#et">1) einige wollten direct sittlich veredelnd wirken;</hi> </p> <lb n="psc_139.021"/> <p> <hi rendition="#et">2) einige indirect;</hi> </p> <lb n="psc_139.022"/> <p> <hi rendition="#et">3) einige gar nicht.</hi> </p> <lb n="psc_139.023"/> <p> Nun ist es möglich, daß die Natur der Dinge stärker <lb n="psc_139.024"/> ist als der Wille: der Dichter kann z. B. den Grundsatz <lb n="psc_139.025"/> aufstellen, nicht sittlich veredelnd wirken zu wollen, und kann <lb n="psc_139.026"/> dennoch so wirken. Das scheint mir z. B. der Fall zu sein <lb n="psc_139.027"/> bei Goethe. Deshalb ist die praktische Frage viel wichtiger </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0155]
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daß Goethe und die anderen Dichter, die diese Ansicht psc_139.002
aufstellten, bewußt oder unbewußt unter dem Einfluß psc_139.003
der aristotelischen Theorie standen, welche die nachahmende psc_139.004
Darstellung für den einzigen Zweck erklärt. Wenn das psc_139.005
allein der Zweck, dann ist die sittliche Wirkung gleichgiltig. psc_139.006
Es wird dann eine Scala nur in der Darstellung selbst, psc_139.007
nicht etwa in den behandelten Gegenständen nach ihrer sittlichen psc_139.008
Bedeutung den Werth ausmachen. Jn der That hat psc_139.009
Goethe bei seinen vielen Untersuchungen über die Wirkung psc_139.010
des Stoffes immer nur die Fruchtbarkeit im Auge gehabt. psc_139.011
Es wird aber trotzdem Jeder zugeben, daß Goethe selbst ein psc_139.012
großer sittlicher Bildner war, der Tiefen des sittlichen Lebens psc_139.013
aufschloß, und daß er immer das Wesen der Sittlichkeit, die psc_139.014
Aufopferung, als „Wurzel aller Tugenden“ in seinen Werken psc_139.015
empfahl.
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Wie haben die Dichter überhaupt sich zu dieser Frage psc_139.017
verhalten? Man kann vielleicht folgende Standpuncte unterscheiden, psc_139.018
welche zu verschiedenen Zeiten verschiedene Dichter psc_139.019
eingenommen haben:
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1) einige wollten direct sittlich veredelnd wirken;
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2) einige indirect;
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3) einige gar nicht.
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Nun ist es möglich, daß die Natur der Dinge stärker psc_139.024
ist als der Wille: der Dichter kann z. B. den Grundsatz psc_139.025
aufstellen, nicht sittlich veredelnd wirken zu wollen, und kann psc_139.026
dennoch so wirken. Das scheint mir z. B. der Fall zu sein psc_139.027
bei Goethe. Deshalb ist die praktische Frage viel wichtiger
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