Scherer, Wilhelm: Poetik. Hrsg. v. Richard M. Meyer. Berlin, 1888.psc_104.001 So wirkt die Tragödie als Aufhebung des geringeren psc_104.008 psc_104.010 Aber das Unglück, mit dem die Tragödie uns bedroht, psc_104.011 d) Das Leiden, das wir vor uns sehen, das unsere psc_104.013 e) Wie es im Leben so große körperliche und moralische psc_104.023 psc_104.001 So wirkt die Tragödie als Aufhebung des geringeren psc_104.008 psc_104.010 Aber das Unglück, mit dem die Tragödie uns bedroht, psc_104.011 d) Das Leiden, das wir vor uns sehen, das unsere psc_104.013 e) Wie es im Leben so große körperliche und moralische psc_104.023 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0120" n="104"/><lb n="psc_104.001"/> neben Weltschicksalen verschwinden die kleinen Leiden des Lebens; <lb n="psc_104.002"/> wir haben einen Werthmaßstab zur Schätzung der <lb n="psc_104.003"/> Dinge; was uns drückt, erscheint klein den ungeheuren Schicksalen <lb n="psc_104.004"/> gegenüber. Droht uns ein großes Unglück, sind wir <lb n="psc_104.005"/> gefaßt darauf Alles zu verlieren, so läßt die Erinnerung <lb n="psc_104.006"/> daran uns lange Zeit Geringeres verschmerzen.</p> <lb n="psc_104.007"/> <p> So wirkt die Tragödie als Aufhebung des geringeren <lb n="psc_104.008"/> Schmerzes: und das ist gewiß ein starkes Motiv des Vergnügens.</p> <lb n="psc_104.009"/> <lb n="psc_104.010"/> <p> Aber das Unglück, mit dem die Tragödie uns bedroht, <lb n="psc_104.011"/> trifft uns doch schließlich nicht:</p> <lb n="psc_104.012"/> <p> <hi rendition="#aq">d</hi>) Das Leiden, das wir vor uns sehen, das unsere <lb n="psc_104.013"/> Phantasie gefangen nimmt, ist doch schließlich nicht unser <lb n="psc_104.014"/> Leiden. Wie wir uns bei glücklichen, erwünschten Ereignissen <lb n="psc_104.015"/> den Trägern substituiren, so unterscheiden wir uns von ihnen <lb n="psc_104.016"/> in unerwünschten Begebenheiten — bis zu einem gewissen <lb n="psc_104.017"/> Grade; wir sind uns bewußt, daß nicht wir es sind, die da <lb n="psc_104.018"/> leiden, und das ist ein großes Milderungsmotiv. Bricht das <lb n="psc_104.019"/> Unglück über uns selbst hinein, hört der Werthmaßstab für <lb n="psc_104.020"/> Freude und Schmerz auf, so hört auch die ästhetische Wirkung <lb n="psc_104.021"/> auf; die Tragik ist dann zu gräßlich.</p> <lb n="psc_104.022"/> <p> <hi rendition="#aq">e</hi>) Wie es im Leben so große körperliche und moralische <lb n="psc_104.023"/> Schmerzen giebt, daß der Leidende für sich und seine Theilnehmenden <lb n="psc_104.024"/> für ihn den Tod herbeiwünschen, so kann auch <lb n="psc_104.025"/> in der Poesie der Tod als ein Erlöser zu tröstlichem Abschluß <lb n="psc_104.026"/> erscheinen; der noch größere Schmerz des Lebens läßt <lb n="psc_104.027"/> den Tod als den geringeren erscheinen. Dann also erscheint <lb n="psc_104.028"/> der Tod nicht mehr als Unangenehmes, sondern als Erlösung. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0120]
psc_104.001
neben Weltschicksalen verschwinden die kleinen Leiden des Lebens; psc_104.002
wir haben einen Werthmaßstab zur Schätzung der psc_104.003
Dinge; was uns drückt, erscheint klein den ungeheuren Schicksalen psc_104.004
gegenüber. Droht uns ein großes Unglück, sind wir psc_104.005
gefaßt darauf Alles zu verlieren, so läßt die Erinnerung psc_104.006
daran uns lange Zeit Geringeres verschmerzen.
psc_104.007
So wirkt die Tragödie als Aufhebung des geringeren psc_104.008
Schmerzes: und das ist gewiß ein starkes Motiv des Vergnügens.
psc_104.009
psc_104.010
Aber das Unglück, mit dem die Tragödie uns bedroht, psc_104.011
trifft uns doch schließlich nicht:
psc_104.012
d) Das Leiden, das wir vor uns sehen, das unsere psc_104.013
Phantasie gefangen nimmt, ist doch schließlich nicht unser psc_104.014
Leiden. Wie wir uns bei glücklichen, erwünschten Ereignissen psc_104.015
den Trägern substituiren, so unterscheiden wir uns von ihnen psc_104.016
in unerwünschten Begebenheiten — bis zu einem gewissen psc_104.017
Grade; wir sind uns bewußt, daß nicht wir es sind, die da psc_104.018
leiden, und das ist ein großes Milderungsmotiv. Bricht das psc_104.019
Unglück über uns selbst hinein, hört der Werthmaßstab für psc_104.020
Freude und Schmerz auf, so hört auch die ästhetische Wirkung psc_104.021
auf; die Tragik ist dann zu gräßlich.
psc_104.022
e) Wie es im Leben so große körperliche und moralische psc_104.023
Schmerzen giebt, daß der Leidende für sich und seine Theilnehmenden psc_104.024
für ihn den Tod herbeiwünschen, so kann auch psc_104.025
in der Poesie der Tod als ein Erlöser zu tröstlichem Abschluß psc_104.026
erscheinen; der noch größere Schmerz des Lebens läßt psc_104.027
den Tod als den geringeren erscheinen. Dann also erscheint psc_104.028
der Tod nicht mehr als Unangenehmes, sondern als Erlösung.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |