Sie fühlen sich nämlich bey dem Lernen mehr angestrengt als eigentlich thätig, und weil die Thätigkeit der natürlichere Zustand ist, hal¬ ten sie jede Art derselben für eine höhere Aeu¬ ßerung des angebohrnen Vermögens, wenn auch die Leichtigkeit, welche das eigne Denken und Entwerfen für sie hat, seinen Grund mehr in der Unkenntniß der wahren Gegenstände und eigentlichen Aufgaben des Wissens, als in einer ächten Fülle des productiven Triebs haben soll¬ te. Im Lernen, selbst wo es durch lebendigen Vortrag geleitet wird, findet wenigstens keine Wahl statt: man muß durch alles, durch das Schwere wie das Leichte, durch das Anziehende wie das minder Anziehende hindurch; die Auf¬ gaben werden hier nicht willkührlich, nach Ideenassociation oder Neigung genommen, sondern mit Nothwendigkeit. In dem Gedankenspiel, bey mittelmäßig reger Ein¬ bildungskraft, die mit geringer Kenntniß der wissenschaftlichen Foderungen verbunden ist, nimmt man heraus, was gefällt, und läßt lie¬ gen, was nicht gefällt oder was auch im Erfin¬
Sie fuͤhlen ſich naͤmlich bey dem Lernen mehr angeſtrengt als eigentlich thaͤtig, und weil die Thaͤtigkeit der natuͤrlichere Zuſtand iſt, hal¬ ten ſie jede Art derſelben fuͤr eine hoͤhere Aeu¬ ßerung des angebohrnen Vermoͤgens, wenn auch die Leichtigkeit, welche das eigne Denken und Entwerfen fuͤr ſie hat, ſeinen Grund mehr in der Unkenntniß der wahren Gegenſtaͤnde und eigentlichen Aufgaben des Wiſſens, als in einer aͤchten Fuͤlle des productiven Triebs haben ſoll¬ te. Im Lernen, ſelbſt wo es durch lebendigen Vortrag geleitet wird, findet wenigſtens keine Wahl ſtatt: man muß durch alles, durch das Schwere wie das Leichte, durch das Anziehende wie das minder Anziehende hindurch; die Auf¬ gaben werden hier nicht willkuͤhrlich, nach Ideenaſſociation oder Neigung genommen, ſondern mit Nothwendigkeit. In dem Gedankenſpiel, bey mittelmaͤßig reger Ein¬ bildungskraft, die mit geringer Kenntniß der wiſſenſchaftlichen Foderungen verbunden iſt, nimmt man heraus, was gefaͤllt, und laͤßt lie¬ gen, was nicht gefaͤllt oder was auch im Erfin¬
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Sie fuͤhlen ſich naͤmlich bey dem Lernen
mehr angeſtrengt als eigentlich thaͤtig, und weil
die Thaͤtigkeit der natuͤrlichere Zuſtand iſt, hal¬
ten ſie jede Art derſelben fuͤr eine hoͤhere Aeu¬
ßerung des angebohrnen Vermoͤgens, wenn
auch die Leichtigkeit, welche das eigne Denken
und Entwerfen fuͤr ſie hat, ſeinen Grund mehr
in der Unkenntniß der wahren Gegenſtaͤnde und
eigentlichen Aufgaben des Wiſſens, als in einer
aͤchten Fuͤlle des productiven Triebs haben ſoll¬
te. Im Lernen, ſelbſt wo es durch lebendigen
Vortrag geleitet wird, findet wenigſtens keine
Wahl ſtatt: man muß durch alles, durch das
Schwere wie das Leichte, durch das Anziehende
wie das minder Anziehende hindurch; die Auf¬
gaben werden hier nicht willkuͤhrlich, nach
Ideenaſſociation oder Neigung genommen,
ſondern mit Nothwendigkeit. In dem
Gedankenſpiel, bey mittelmaͤßig reger Ein¬
bildungskraft, die mit geringer Kenntniß der
wiſſenſchaftlichen Foderungen verbunden iſt,
nimmt man heraus, was gefaͤllt, und laͤßt lie¬
gen, was nicht gefaͤllt oder was auch im Erfin¬
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/71>, abgerufen am 24.11.2024.
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