karakter hervorrufen, der in der Einzelnheit zerfallen ist und immer mehr zerfällt. Es ist gewiß, daß ein kleines, friedliches, zu keinen großen Bestimmungen berufenes Völklein auch keiner großen Motive bedarf; für dieses scheint es hinreichend, daß es leidlich zu essen und zu trinken habe und der Industrie sich ergebe. Selbst in größeren Staaten zwingt die Un¬ verhältnißmäßigkeit der Mittel, die ein ar¬ mer Boden darreicht, zu den Zwecken, die Regierungen selbst, sich mit diesem Nützlich¬ keitsgeist zu befreunden und alle Künste und Wissenschaften einzig auf das Streben darnach anzuweisen. Es leidet keinen Zweifel, daß solchen Staaten die Philosophie nichts nützen kann, und wenn die Fürsten anfangen, immer mehr populär zu werden, die Könige selbst sich schämen, Könige zu seyn und nur die er¬ sten Bürger seyn wollen, auch die Philoso¬ phie nur anfangen kann, sich in eine bür¬ gerliche Moral umzuwandeln und von ihren hohen Regionen in das gemeine Leben herab¬ zusteigen.
karakter hervorrufen, der in der Einzelnheit zerfallen iſt und immer mehr zerfaͤllt. Es iſt gewiß, daß ein kleines, friedliches, zu keinen großen Beſtimmungen berufenes Voͤlklein auch keiner großen Motive bedarf; fuͤr dieſes ſcheint es hinreichend, daß es leidlich zu eſſen und zu trinken habe und der Induſtrie ſich ergebe. Selbſt in groͤßeren Staaten zwingt die Un¬ verhaͤltnißmaͤßigkeit der Mittel, die ein ar¬ mer Boden darreicht, zu den Zwecken, die Regierungen ſelbſt, ſich mit dieſem Nuͤtzlich¬ keitsgeiſt zu befreunden und alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften einzig auf das Streben darnach anzuweiſen. Es leidet keinen Zweifel, daß ſolchen Staaten die Philoſophie nichts nuͤtzen kann, und wenn die Fuͤrſten anfangen, immer mehr populaͤr zu werden, die Koͤnige ſelbſt ſich ſchaͤmen, Koͤnige zu ſeyn und nur die er¬ ſten Buͤrger ſeyn wollen, auch die Philoſo¬ phie nur anfangen kann, ſich in eine buͤr¬ gerliche Moral umzuwandeln und von ihren hohen Regionen in das gemeine Leben herab¬ zuſteigen.
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karakter hervorrufen, der in der Einzelnheit
zerfallen iſt und immer mehr zerfaͤllt. Es iſt
gewiß, daß ein kleines, friedliches, zu keinen
großen Beſtimmungen berufenes Voͤlklein auch
keiner großen Motive bedarf; fuͤr dieſes ſcheint
es hinreichend, daß es leidlich zu eſſen und
zu trinken habe und der Induſtrie ſich ergebe.
Selbſt in groͤßeren Staaten zwingt die Un¬
verhaͤltnißmaͤßigkeit der Mittel, die ein ar¬
mer Boden darreicht, zu den Zwecken, die
Regierungen ſelbſt, ſich mit dieſem Nuͤtzlich¬
keitsgeiſt zu befreunden und alle Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften einzig auf das Streben darnach
anzuweiſen. Es leidet keinen Zweifel, daß
ſolchen Staaten die Philoſophie nichts nuͤtzen
kann, und wenn die Fuͤrſten anfangen, immer
mehr populaͤr zu werden, die Koͤnige ſelbſt
ſich ſchaͤmen, Koͤnige zu ſeyn und nur die er¬
ſten Buͤrger ſeyn wollen, auch die Philoſo¬
phie nur anfangen kann, ſich in eine buͤr¬
gerliche Moral umzuwandeln und von ihren
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium. Tübingen, 1803, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_methode_1803/118>, abgerufen am 25.11.2024.
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