Was nun die Allegorie betrifft, so ist sie das Umgekehrte des Schema, also wie dieses auch eine Indifferenz des Allgemeinen und Besonderen, aber so, daß Besonderes hier das Allgemeine bedeutet oder als Allgemeines angeschaut wird. Am ehesten konnte noch diese Erklärungsart auf die Mythologie mit einigem Schein angewendet werden, und ist auch vielfach angewendet worden. Allein es tritt hier dasselbe ein, was in Ansehung des Schematismus. In der Allegorie bedeutet das Besondere nur das Allgemeine, in der Mythologie ist es zugleich selbst das Allgemeine. Aber eben deßwegen ist auch alles Symbolische sehr leicht zu allegorisiren, weil die symbolische Bedeutung die allegorische ebenso in sich schließt, wie in der Ineinsbildung des Allgemeinen und Besonderen auch die Einheit des Besonderen mit dem Allgemeinen wie die des Allgemeinen mit dem Besonderen enthalten ist. Daß nun allerdings bei Homer, so wie in den Darstellungen der bil- denden Kunst, die Mythen nicht allegorisch, sondern mit absoluter poe- tischer Unabhängigkeit, als Realität für sich gemeint seyen, konnte man sich nicht verbergen. Daher wurde in neueren Zeiten ein anderes Ex- pediens ausgedacht. Man sagte nämlich, ursprünglich seyen die Mythen allegorisch gemeint, aber Homer habe sie gleichsam episch travestirt, rein poetisch genommen und daraus diese angenehmen Kindermährchen zu- sammengesetzt, die er in der Ilias und Odyssee erzählte. Dieß ist be- kanntlich die Vorstellung, welche Heyne aufgebracht und seine Schule geltend zu machen gesucht hat. Die innere Geistlosigkeit einer solchen Vorstellung überhebt uns aller Widerlegung derselben. Es ist, möchte man sagen, die gröbste Art, das Poetische des Homeros zu zerstören. Das Gepräge einer solchen gemeinen Absichtlichkeit wird man an keiner Spur seiner Werke erkennen 1.
Der Zauber der homerischen Dichtung und der ganzen Mythologie ruht allerdings mit darauf, daß sie die allegorische Bedeutung auch als Möglichkeit enthält -- man kann auch wirklich durchweg alles alle- gorisiren. -- Darauf beruht die Unendlichkeit des Sinns in der grie-
1 Man vergl. die zweite Vorlesung der Einleitung in die Philosophie der Mythologie. D. H.
Was nun die Allegorie betrifft, ſo iſt ſie das Umgekehrte des Schema, alſo wie dieſes auch eine Indifferenz des Allgemeinen und Beſonderen, aber ſo, daß Beſonderes hier das Allgemeine bedeutet oder als Allgemeines angeſchaut wird. Am eheſten konnte noch dieſe Erklärungsart auf die Mythologie mit einigem Schein angewendet werden, und iſt auch vielfach angewendet worden. Allein es tritt hier daſſelbe ein, was in Anſehung des Schematismus. In der Allegorie bedeutet das Beſondere nur das Allgemeine, in der Mythologie iſt es zugleich ſelbſt das Allgemeine. Aber eben deßwegen iſt auch alles Symboliſche ſehr leicht zu allegoriſiren, weil die ſymboliſche Bedeutung die allegoriſche ebenſo in ſich ſchließt, wie in der Ineinsbildung des Allgemeinen und Beſonderen auch die Einheit des Beſonderen mit dem Allgemeinen wie die des Allgemeinen mit dem Beſonderen enthalten iſt. Daß nun allerdings bei Homer, ſo wie in den Darſtellungen der bil- denden Kunſt, die Mythen nicht allegoriſch, ſondern mit abſoluter poe- tiſcher Unabhängigkeit, als Realität für ſich gemeint ſeyen, konnte man ſich nicht verbergen. Daher wurde in neueren Zeiten ein anderes Ex- pediens ausgedacht. Man ſagte nämlich, urſprünglich ſeyen die Mythen allegoriſch gemeint, aber Homer habe ſie gleichſam epiſch traveſtirt, rein poetiſch genommen und daraus dieſe angenehmen Kindermährchen zu- ſammengeſetzt, die er in der Ilias und Odyſſee erzählte. Dieß iſt be- kanntlich die Vorſtellung, welche Heyne aufgebracht und ſeine Schule geltend zu machen geſucht hat. Die innere Geiſtloſigkeit einer ſolchen Vorſtellung überhebt uns aller Widerlegung derſelben. Es iſt, möchte man ſagen, die gröbſte Art, das Poetiſche des Homeros zu zerſtören. Das Gepräge einer ſolchen gemeinen Abſichtlichkeit wird man an keiner Spur ſeiner Werke erkennen 1.
Der Zauber der homeriſchen Dichtung und der ganzen Mythologie ruht allerdings mit darauf, daß ſie die allegoriſche Bedeutung auch als Möglichkeit enthält — man kann auch wirklich durchweg alles alle- goriſiren. — Darauf beruht die Unendlichkeit des Sinns in der grie-
1 Man vergl. die zweite Vorleſung der Einleitung in die Philoſophie der Mythologie. D. H.
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Was nun die Allegorie betrifft, ſo iſt ſie das Umgekehrte des
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oder als Allgemeines angeſchaut wird. Am eheſten konnte noch dieſe
Erklärungsart auf die Mythologie mit einigem Schein angewendet
werden, und iſt auch vielfach angewendet worden. Allein es tritt hier
daſſelbe ein, was in Anſehung des Schematismus. In der Allegorie
bedeutet das Beſondere nur das Allgemeine, in der Mythologie iſt
es zugleich ſelbſt das Allgemeine. Aber eben deßwegen iſt auch alles
Symboliſche ſehr leicht zu allegoriſiren, weil die ſymboliſche Bedeutung
die allegoriſche ebenſo in ſich ſchließt, wie in der Ineinsbildung des
Allgemeinen und Beſonderen auch die Einheit des Beſonderen mit dem
Allgemeinen wie die des Allgemeinen mit dem Beſonderen enthalten iſt.
Daß nun allerdings bei Homer, ſo wie in den Darſtellungen der bil-
denden Kunſt, die Mythen nicht allegoriſch, ſondern mit abſoluter poe-
tiſcher Unabhängigkeit, als Realität für ſich gemeint ſeyen, konnte man
ſich nicht verbergen. Daher wurde in neueren Zeiten ein anderes Ex-
pediens ausgedacht. Man ſagte nämlich, urſprünglich ſeyen die Mythen
allegoriſch gemeint, aber Homer habe ſie gleichſam epiſch traveſtirt, rein
poetiſch genommen und daraus dieſe angenehmen Kindermährchen zu-
ſammengeſetzt, die er in der Ilias und Odyſſee erzählte. Dieß iſt be-
kanntlich die Vorſtellung, welche Heyne aufgebracht und ſeine Schule
geltend zu machen geſucht hat. Die innere Geiſtloſigkeit einer ſolchen
Vorſtellung überhebt uns aller Widerlegung derſelben. Es iſt, möchte
man ſagen, die gröbſte Art, das Poetiſche des Homeros zu zerſtören.
Das Gepräge einer ſolchen gemeinen Abſichtlichkeit wird man an keiner
Spur ſeiner Werke erkennen 1.
Der Zauber der homeriſchen Dichtung und der ganzen Mythologie
ruht allerdings mit darauf, daß ſie die allegoriſche Bedeutung auch als
Möglichkeit enthält — man kann auch wirklich durchweg alles alle-
goriſiren. — Darauf beruht die Unendlichkeit des Sinns in der grie-
1 Man vergl. die zweite Vorleſung der Einleitung in die Philoſophie der
Mythologie. D. H.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/85>, abgerufen am 24.11.2024.
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