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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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das entgegengesetzteste Bild des Pluto, der alt vorgestellt wird, wie
jener in ewig jugendlicher Schönheit; der eine im öden Reich der
Schatten, der leeren Dinge und des Dunkels, der andere der Gott
des Lichts, der Ideen, der lebendigen Gestalt, der, indem er in seinem
Reiche nur das Lebendige duldet, selbst dem von Alter Verwelkten mit
sanftem Pfeil den Tod schenkt, wie seine Geschoße, die dicht wie Strah-
len schießen, schaarenweise vertilgen, was ihm verhaßt ist, z. B. die
Griechen, nachdem sie seinen Priester beleidigt 1. Alle übrigen Eigen-
schaften dieses Gottes, daß er der heilende, der Erzeuger des heil-
bringenden Aeskulap, der Führer der Musen, Erleuchter der Zukunft,
wie das allsehende Auge der Welt am Himmel ist, -- alle diese Züge
stimmen zu der Bedeutung zusammen, die wir diesem Götterbild ge-
geben haben. Getrennt erblicken wir die hauptsächlichsten dieser Züge
wieder in dem Mars, der dem Vulcan auf der ideellen Seite ent-
spricht, und der Venus, welche dem formlosen Princip, dem Neptun,
als die höchste irdische Form entspricht, die selbst nach der alten
Mythologie sich als die Form zuerst dem Reich des Formlosen --
dem Ocean -- entwand, den unter den neuen Göttern Poseidon be-
herrscht.

Die Totalität der griechischen Götterwelt wäre übrigens nicht
vollkommen, wenn nur das Nothwendige, wenn nicht auch jede be-
sondere
, ja vielleicht zufällige Ansicht der Dinge in ihr wieder absolut
wäre. Ganze Massen von Erscheinungen, die vielleicht nur von einem
gewissen Gesichtspunkt als Eines erscheinen, überhaupt alle Arten von
Verhältnissen werden als das Allgemeine durch ein Individuum zu-
sammengefaßt, welches ohne Zweifel das auffallendste Beispiel der
Darstellung des Allgemeinen im Besonderen ist. So ist z. B. die
ganze Masse der Erscheinungen, welche das unterirdische Feuer erzeugt,
wieder in das Bild des Vulcans zusammengefaßt, wie die, mit welchen

1 Da die Ideenwelt in der griechischen Mythologie in die Sinnenwelt selbst
fällt, so ist die eigentliche Welt der bloß scheinbaren Realität, die Schattenwelt,
dafür im Reich der Todten, welches sich zu der Sinnenwelt wieder ebenso wie
diese nach den Lehren der Philosophie zur Intellektualwelt verhält.

das entgegengeſetzteſte Bild des Pluto, der alt vorgeſtellt wird, wie
jener in ewig jugendlicher Schönheit; der eine im öden Reich der
Schatten, der leeren Dinge und des Dunkels, der andere der Gott
des Lichts, der Ideen, der lebendigen Geſtalt, der, indem er in ſeinem
Reiche nur das Lebendige duldet, ſelbſt dem von Alter Verwelkten mit
ſanftem Pfeil den Tod ſchenkt, wie ſeine Geſchoße, die dicht wie Strah-
len ſchießen, ſchaarenweiſe vertilgen, was ihm verhaßt iſt, z. B. die
Griechen, nachdem ſie ſeinen Prieſter beleidigt 1. Alle übrigen Eigen-
ſchaften dieſes Gottes, daß er der heilende, der Erzeuger des heil-
bringenden Aeskulap, der Führer der Muſen, Erleuchter der Zukunft,
wie das allſehende Auge der Welt am Himmel iſt, — alle dieſe Züge
ſtimmen zu der Bedeutung zuſammen, die wir dieſem Götterbild ge-
geben haben. Getrennt erblicken wir die hauptſächlichſten dieſer Züge
wieder in dem Mars, der dem Vulcan auf der ideellen Seite ent-
ſpricht, und der Venus, welche dem formloſen Princip, dem Neptun,
als die höchſte irdiſche Form entſpricht, die ſelbſt nach der alten
Mythologie ſich als die Form zuerſt dem Reich des Formloſen —
dem Ocean — entwand, den unter den neuen Göttern Poſeidon be-
herrſcht.

Die Totalität der griechiſchen Götterwelt wäre übrigens nicht
vollkommen, wenn nur das Nothwendige, wenn nicht auch jede be-
ſondere
, ja vielleicht zufällige Anſicht der Dinge in ihr wieder abſolut
wäre. Ganze Maſſen von Erſcheinungen, die vielleicht nur von einem
gewiſſen Geſichtspunkt als Eines erſcheinen, überhaupt alle Arten von
Verhältniſſen werden als das Allgemeine durch ein Individuum zu-
ſammengefaßt, welches ohne Zweifel das auffallendſte Beiſpiel der
Darſtellung des Allgemeinen im Beſonderen iſt. So iſt z. B. die
ganze Maſſe der Erſcheinungen, welche das unterirdiſche Feuer erzeugt,
wieder in das Bild des Vulcans zuſammengefaßt, wie die, mit welchen

1 Da die Ideenwelt in der griechiſchen Mythologie in die Sinnenwelt ſelbſt
fällt, ſo iſt die eigentliche Welt der bloß ſcheinbaren Realität, die Schattenwelt,
dafür im Reich der Todten, welches ſich zu der Sinnenwelt wieder ebenſo wie
dieſe nach den Lehren der Philoſophie zur Intellektualwelt verhält.
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[403/0079] das entgegengeſetzteſte Bild des Pluto, der alt vorgeſtellt wird, wie jener in ewig jugendlicher Schönheit; der eine im öden Reich der Schatten, der leeren Dinge und des Dunkels, der andere der Gott des Lichts, der Ideen, der lebendigen Geſtalt, der, indem er in ſeinem Reiche nur das Lebendige duldet, ſelbſt dem von Alter Verwelkten mit ſanftem Pfeil den Tod ſchenkt, wie ſeine Geſchoße, die dicht wie Strah- len ſchießen, ſchaarenweiſe vertilgen, was ihm verhaßt iſt, z. B. die Griechen, nachdem ſie ſeinen Prieſter beleidigt 1. Alle übrigen Eigen- ſchaften dieſes Gottes, daß er der heilende, der Erzeuger des heil- bringenden Aeskulap, der Führer der Muſen, Erleuchter der Zukunft, wie das allſehende Auge der Welt am Himmel iſt, — alle dieſe Züge ſtimmen zu der Bedeutung zuſammen, die wir dieſem Götterbild ge- geben haben. Getrennt erblicken wir die hauptſächlichſten dieſer Züge wieder in dem Mars, der dem Vulcan auf der ideellen Seite ent- ſpricht, und der Venus, welche dem formloſen Princip, dem Neptun, als die höchſte irdiſche Form entſpricht, die ſelbſt nach der alten Mythologie ſich als die Form zuerſt dem Reich des Formloſen — dem Ocean — entwand, den unter den neuen Göttern Poſeidon be- herrſcht. Die Totalität der griechiſchen Götterwelt wäre übrigens nicht vollkommen, wenn nur das Nothwendige, wenn nicht auch jede be- ſondere, ja vielleicht zufällige Anſicht der Dinge in ihr wieder abſolut wäre. Ganze Maſſen von Erſcheinungen, die vielleicht nur von einem gewiſſen Geſichtspunkt als Eines erſcheinen, überhaupt alle Arten von Verhältniſſen werden als das Allgemeine durch ein Individuum zu- ſammengefaßt, welches ohne Zweifel das auffallendſte Beiſpiel der Darſtellung des Allgemeinen im Beſonderen iſt. So iſt z. B. die ganze Maſſe der Erſcheinungen, welche das unterirdiſche Feuer erzeugt, wieder in das Bild des Vulcans zuſammengefaßt, wie die, mit welchen 1 Da die Ideenwelt in der griechiſchen Mythologie in die Sinnenwelt ſelbſt fällt, ſo iſt die eigentliche Welt der bloß ſcheinbaren Realität, die Schattenwelt, dafür im Reich der Todten, welches ſich zu der Sinnenwelt wieder ebenſo wie dieſe nach den Lehren der Philoſophie zur Intellektualwelt verhält.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/79>, abgerufen am 25.11.2024.