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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Luft öffentlicher Freiheit. Mit der neuen Welt verschwand das öffent-
liche Leben; der Staat wurde durch die Kirche, wie überhaupt das
Reale durch das Ideale verdrungen. Nur in dieser war noch ein allge-
meines Leben; nur aus ihr, ihren Gebräuchen, Feierlichkeiten, öffent-
lichen Handlungen, wie aus ihrer Mythologie konnte die Komödie sich
entwickeln. Die ersten Komödien waren daher Vorstellungen der bib-
lischen Geschichte, worin der Teufel gewöhnlich die lustige Person spielte,
die in Spanien, wahrscheinlich ihrem ersten Vaterlande, und wo sie
sich bis in das vergangene Jahrhundert erhielten, Autos sacramen-
tales
genannt wurden. Auf diese Art der Komödie gründete sich die
Muse des Calderon, der in der Komödie so groß als in der Tragödie
ist, und fast einzig in diesem Stoff gelebt hat. Eine zweite Gattung
bildete sich aus dem ersten, die Komödien der Heiligen, es sind wenige,
die nicht auf die Bühne gebracht worden wären. Auch in dieser Gat-
tung ist Calderon Meister. -- Den ersten Uebergang von dieser idealen
Welt in die gemeine und wirkliche machten in Spanien die Schäfer-
spiele, und Shakespeare, kann man sagen, dem Geburt und Zeitalter
jenen höheren Boden versagte, erschuf sich für das Lustspiel eine ganz
eigne, romantische Welt, gewissermaßen auch eine Schäferwelt, aber
von viel höherer Farbe, Kraft und Fülle. Auch hier mußte das Indi-
viduum ins Mittel treten, und die Welt, die ihm nicht gegeben war,
sich erschaffen. Was kann eigener und vom Conventionellen entfernter
seyn, als die Welt in Wie es euch gefällt, in Was ihr wollt
u. s. w. In Einem Werk, der Komödie der Irrungen, hat Shakespeare
einen alten Stoff, aber noch potenzirt und mit Vervielfachung der
Verwirrung behandelt. Auch Calderon hat, wo er den Stoff seiner
Komödie ganz auf Erfindung gründet, wie Shakespeare zugleich eine
romantische Welt als Boden angenommen, nur daß er vor Shakespeare
die Nation und die Wirklichkeit voraus hatte, da in Spanien im Zeit-
alter des Calderon noch eine Art von öffentlichem Leben -- wenigstens
im Romantischen -- war, und seine Helden, so romantisch ihr Aus-
sehen scheinen mag, doch zugleich die Sitten der Zeit und das Leben
der damaligen Welt zum Hintergrund hatten.

Luft öffentlicher Freiheit. Mit der neuen Welt verſchwand das öffent-
liche Leben; der Staat wurde durch die Kirche, wie überhaupt das
Reale durch das Ideale verdrungen. Nur in dieſer war noch ein allge-
meines Leben; nur aus ihr, ihren Gebräuchen, Feierlichkeiten, öffent-
lichen Handlungen, wie aus ihrer Mythologie konnte die Komödie ſich
entwickeln. Die erſten Komödien waren daher Vorſtellungen der bib-
liſchen Geſchichte, worin der Teufel gewöhnlich die luſtige Perſon ſpielte,
die in Spanien, wahrſcheinlich ihrem erſten Vaterlande, und wo ſie
ſich bis in das vergangene Jahrhundert erhielten, Autos sacramen-
tales
genannt wurden. Auf dieſe Art der Komödie gründete ſich die
Muſe des Calderon, der in der Komödie ſo groß als in der Tragödie
iſt, und faſt einzig in dieſem Stoff gelebt hat. Eine zweite Gattung
bildete ſich aus dem erſten, die Komödien der Heiligen, es ſind wenige,
die nicht auf die Bühne gebracht worden wären. Auch in dieſer Gat-
tung iſt Calderon Meiſter. — Den erſten Uebergang von dieſer idealen
Welt in die gemeine und wirkliche machten in Spanien die Schäfer-
ſpiele, und Shakeſpeare, kann man ſagen, dem Geburt und Zeitalter
jenen höheren Boden verſagte, erſchuf ſich für das Luſtſpiel eine ganz
eigne, romantiſche Welt, gewiſſermaßen auch eine Schäferwelt, aber
von viel höherer Farbe, Kraft und Fülle. Auch hier mußte das Indi-
viduum ins Mittel treten, und die Welt, die ihm nicht gegeben war,
ſich erſchaffen. Was kann eigener und vom Conventionellen entfernter
ſeyn, als die Welt in Wie es euch gefällt, in Was ihr wollt
u. ſ. w. In Einem Werk, der Komödie der Irrungen, hat Shakeſpeare
einen alten Stoff, aber noch potenzirt und mit Vervielfachung der
Verwirrung behandelt. Auch Calderon hat, wo er den Stoff ſeiner
Komödie ganz auf Erfindung gründet, wie Shakeſpeare zugleich eine
romantiſche Welt als Boden angenommen, nur daß er vor Shakeſpeare
die Nation und die Wirklichkeit voraus hatte, da in Spanien im Zeit-
alter des Calderon noch eine Art von öffentlichem Leben — wenigſtens
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ſehen ſcheinen mag, doch zugleich die Sitten der Zeit und das Leben
der damaligen Welt zum Hintergrund hatten.

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[734/0410] Luft öffentlicher Freiheit. Mit der neuen Welt verſchwand das öffent- liche Leben; der Staat wurde durch die Kirche, wie überhaupt das Reale durch das Ideale verdrungen. Nur in dieſer war noch ein allge- meines Leben; nur aus ihr, ihren Gebräuchen, Feierlichkeiten, öffent- lichen Handlungen, wie aus ihrer Mythologie konnte die Komödie ſich entwickeln. Die erſten Komödien waren daher Vorſtellungen der bib- liſchen Geſchichte, worin der Teufel gewöhnlich die luſtige Perſon ſpielte, die in Spanien, wahrſcheinlich ihrem erſten Vaterlande, und wo ſie ſich bis in das vergangene Jahrhundert erhielten, Autos sacramen- tales genannt wurden. Auf dieſe Art der Komödie gründete ſich die Muſe des Calderon, der in der Komödie ſo groß als in der Tragödie iſt, und faſt einzig in dieſem Stoff gelebt hat. Eine zweite Gattung bildete ſich aus dem erſten, die Komödien der Heiligen, es ſind wenige, die nicht auf die Bühne gebracht worden wären. Auch in dieſer Gat- tung iſt Calderon Meiſter. — Den erſten Uebergang von dieſer idealen Welt in die gemeine und wirkliche machten in Spanien die Schäfer- ſpiele, und Shakeſpeare, kann man ſagen, dem Geburt und Zeitalter jenen höheren Boden verſagte, erſchuf ſich für das Luſtſpiel eine ganz eigne, romantiſche Welt, gewiſſermaßen auch eine Schäferwelt, aber von viel höherer Farbe, Kraft und Fülle. Auch hier mußte das Indi- viduum ins Mittel treten, und die Welt, die ihm nicht gegeben war, ſich erſchaffen. Was kann eigener und vom Conventionellen entfernter ſeyn, als die Welt in Wie es euch gefällt, in Was ihr wollt u. ſ. w. In Einem Werk, der Komödie der Irrungen, hat Shakeſpeare einen alten Stoff, aber noch potenzirt und mit Vervielfachung der Verwirrung behandelt. Auch Calderon hat, wo er den Stoff ſeiner Komödie ganz auf Erfindung gründet, wie Shakeſpeare zugleich eine romantiſche Welt als Boden angenommen, nur daß er vor Shakeſpeare die Nation und die Wirklichkeit voraus hatte, da in Spanien im Zeit- alter des Calderon noch eine Art von öffentlichem Leben — wenigſtens im Romantiſchen — war, und ſeine Helden, ſo romantiſch ihr Aus- ſehen ſcheinen mag, doch zugleich die Sitten der Zeit und das Leben der damaligen Welt zum Hintergrund hatten.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 734. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/410>, abgerufen am 24.11.2024.