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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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der das Ewige nicht in der Begrenzung, sondern im Unbegrenzten auf-
faßt, zu ausgedehnt ist in der Universalität. Die Alten hatten eine
concentrirte Universalität, die Allheit nicht in der Vielheit, sondern in
der Einheit.

Es ist nichts im Menschen, das Shakespeare nicht berührte,
aber er berührt dieß einzeln, da die Griechen es in der Totalität
berühren. Die Elemente der menschlichen Natur von den höchsten bis
zu den niedrigeren liegen zerstreut in ihm: er kennt alles, jede Lei-
denschaft, jedes Gemüth, die Jugend und das Alter, den König und
den Hirten. Aus der Reihe seiner Werke würde man die verloren
gegangene Erde wieder schaffen können. Allein jene alte Lyra lockte
aus vier Tönen die ganze Welt: das neue Instrument ist tausendsaitig,
es zerspaltet die Harmonie des Universums, um sie zu erschaffen, und
darum ist es stets weniger besänftigend für die Seele. Die strenge,
alles lindernde Schönheit kann nur mit Einfachheit bestehen.

Der Natur des romantischen Princips gemäß stellt die moderne
Komödie die Handlung als Handlung nicht rein, isolirt und in der
plastischen Beschränkung des alten Drama dar, sondern sie gibt zugleich
ihre ganze Begleitung. Allein Shakespeare hat dafür seiner Tragödie
die gedrungenste Fülle und Prägnanz in allen Theilen, auch nach der
Richtung der Breite, gegeben, doch ohne willkührlichen Ueberfluß, son-
dern so, daß er als der Reichthum der Natur selbst erscheint, mit
künstlerischer Nothwendigkeit aufgefaßt. Die Intention des Ganzen
bleibt klar und geht dann wieder in eine unerschöpfliche Tiefe, in die
alle Ansichten sich versenken können.

Es folgt von selbst, daß Shakespeare bei dieser Art der Univer-
salität keine beschränkte Welt hat, auch -- inwiefern die idealische Welt
selbst eine begrenzte, geschlossene Welt ist -- keine idealische Welt, da-
gegen aber auch nicht die direkt entgegengesetzte Welt der idealischen,
wodurch der elende Geschmack der Franzosen die idealische Welt ersetzt,
-- die conventionelle.

Shakespeare stellt also nie weder eine idealische noch eine conven-
tionelle, sondern stets die wirkliche Welt dar. Das Idealische beruht

der das Ewige nicht in der Begrenzung, ſondern im Unbegrenzten auf-
faßt, zu ausgedehnt iſt in der Univerſalität. Die Alten hatten eine
concentrirte Univerſalität, die Allheit nicht in der Vielheit, ſondern in
der Einheit.

Es iſt nichts im Menſchen, das Shakeſpeare nicht berührte,
aber er berührt dieß einzeln, da die Griechen es in der Totalität
berühren. Die Elemente der menſchlichen Natur von den höchſten bis
zu den niedrigeren liegen zerſtreut in ihm: er kennt alles, jede Lei-
denſchaft, jedes Gemüth, die Jugend und das Alter, den König und
den Hirten. Aus der Reihe ſeiner Werke würde man die verloren
gegangene Erde wieder ſchaffen können. Allein jene alte Lyra lockte
aus vier Tönen die ganze Welt: das neue Inſtrument iſt tauſendſaitig,
es zerſpaltet die Harmonie des Univerſums, um ſie zu erſchaffen, und
darum iſt es ſtets weniger beſänftigend für die Seele. Die ſtrenge,
alles lindernde Schönheit kann nur mit Einfachheit beſtehen.

Der Natur des romantiſchen Princips gemäß ſtellt die moderne
Komödie die Handlung als Handlung nicht rein, iſolirt und in der
plaſtiſchen Beſchränkung des alten Drama dar, ſondern ſie gibt zugleich
ihre ganze Begleitung. Allein Shakeſpeare hat dafür ſeiner Tragödie
die gedrungenſte Fülle und Prägnanz in allen Theilen, auch nach der
Richtung der Breite, gegeben, doch ohne willkührlichen Ueberfluß, ſon-
dern ſo, daß er als der Reichthum der Natur ſelbſt erſcheint, mit
künſtleriſcher Nothwendigkeit aufgefaßt. Die Intention des Ganzen
bleibt klar und geht dann wieder in eine unerſchöpfliche Tiefe, in die
alle Anſichten ſich verſenken können.

Es folgt von ſelbſt, daß Shakeſpeare bei dieſer Art der Univer-
ſalität keine beſchränkte Welt hat, auch — inwiefern die idealiſche Welt
ſelbſt eine begrenzte, geſchloſſene Welt iſt — keine idealiſche Welt, da-
gegen aber auch nicht die direkt entgegengeſetzte Welt der idealiſchen,
wodurch der elende Geſchmack der Franzoſen die idealiſche Welt erſetzt,
— die conventionelle.

Shakeſpeare ſtellt alſo nie weder eine idealiſche noch eine conven-
tionelle, ſondern ſtets die wirkliche Welt dar. Das Idealiſche beruht

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[723/0399] der das Ewige nicht in der Begrenzung, ſondern im Unbegrenzten auf- faßt, zu ausgedehnt iſt in der Univerſalität. Die Alten hatten eine concentrirte Univerſalität, die Allheit nicht in der Vielheit, ſondern in der Einheit. Es iſt nichts im Menſchen, das Shakeſpeare nicht berührte, aber er berührt dieß einzeln, da die Griechen es in der Totalität berühren. Die Elemente der menſchlichen Natur von den höchſten bis zu den niedrigeren liegen zerſtreut in ihm: er kennt alles, jede Lei- denſchaft, jedes Gemüth, die Jugend und das Alter, den König und den Hirten. Aus der Reihe ſeiner Werke würde man die verloren gegangene Erde wieder ſchaffen können. Allein jene alte Lyra lockte aus vier Tönen die ganze Welt: das neue Inſtrument iſt tauſendſaitig, es zerſpaltet die Harmonie des Univerſums, um ſie zu erſchaffen, und darum iſt es ſtets weniger beſänftigend für die Seele. Die ſtrenge, alles lindernde Schönheit kann nur mit Einfachheit beſtehen. Der Natur des romantiſchen Princips gemäß ſtellt die moderne Komödie die Handlung als Handlung nicht rein, iſolirt und in der plaſtiſchen Beſchränkung des alten Drama dar, ſondern ſie gibt zugleich ihre ganze Begleitung. Allein Shakeſpeare hat dafür ſeiner Tragödie die gedrungenſte Fülle und Prägnanz in allen Theilen, auch nach der Richtung der Breite, gegeben, doch ohne willkührlichen Ueberfluß, ſon- dern ſo, daß er als der Reichthum der Natur ſelbſt erſcheint, mit künſtleriſcher Nothwendigkeit aufgefaßt. Die Intention des Ganzen bleibt klar und geht dann wieder in eine unerſchöpfliche Tiefe, in die alle Anſichten ſich verſenken können. Es folgt von ſelbſt, daß Shakeſpeare bei dieſer Art der Univer- ſalität keine beſchränkte Welt hat, auch — inwiefern die idealiſche Welt ſelbſt eine begrenzte, geſchloſſene Welt iſt — keine idealiſche Welt, da- gegen aber auch nicht die direkt entgegengeſetzte Welt der idealiſchen, wodurch der elende Geſchmack der Franzoſen die idealiſche Welt erſetzt, — die conventionelle. Shakeſpeare ſtellt alſo nie weder eine idealiſche noch eine conven- tionelle, ſondern ſtets die wirkliche Welt dar. Das Idealiſche beruht

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/399>, abgerufen am 22.11.2024.