Den Macbeth lockt ein höllisches Gaukelspiel zum Mord, aber es liegt keine objektive Nothwendigkeit der That darin. Banquo läßt sich durch die Stimme der Hexen nicht bethören, wohl aber Macbeth. Es ist also der Charakter, der entscheidet.
Die kindische Thorheit eines alten Mannes zeigt sich in Lear wie ein delphisches, verwirrendes Orakel, und die sanfte Desdemona mußte der düsteren Farbe, die mit Eifersucht gepaart ist, unterliegen.
Shakespeare hat aus dem gleichen Grunde, weil er die Nothwen- digkeit des Verbrechens in den Charakter legen mußte, den von Aristoteles nicht angenommenen Fall des Verbrechers, der aus Glück in Unglück stürzt, mit einer furchtbaren Gültigkeit behandeln müssen. Statt des eigentlichen Schicksals hat er die Nemesis, diese aber in allen Gestalten, wo Gräuel von Gräueln überwältigt werden, eine blutige Welle die andere treibt, und der Fluch der Verfluchten stets in Erfüllung geht, wie vorzüglich in der englischen Geschichte im Kampf der rothen und weißen Rose. Er muß sich dann als Barbar zeigen, weil er die höchste Barbarei darzustellen unternimmt, gleichsam das rohe Schlachten der Familien untereinander, wo alle Kunst ein Ende zu haben scheint und eine rohe Naturkraft eintritt, wie es im Lear heißt: "Wenn die Tiger des Waldes oder die Ungeheuer der See aus der Dumpfheit herausträten, so würden sie auf solche Weise wirken." Doch sind hier Züge zu finden, wo er unter die Furien, die nur nicht persönlich auftreten, die Anmuth der Kunst gesendet hat. So ist Margarethens Liebesklage über dem Haupt des unrechtmäßigen und strafbaren Geliebten und ihr Abschied von ihm.
Shakespeare endet die Reihe mit Richard III., den er mit unge- heurer Energie sein Ziel verfolgen und erreichen läßt, bis er vom Gipfel desselben in die Enge der Verzweiflung getrieben wird und im Getümmel der Schlacht, die ihm verloren geht, rettungslos ausruft: Ein Pferd, ein Pferd, ganz England für ein Pferd.
Im Macbeth dringt die Rache Schritt vor Schritt und so, daß er durch höllische Täuschungen verführt sie immer noch entfernt glaubt, auf den edleren Verbrecher ein, den die Ehrsucht mißleitete.
Schelling, sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 46
Den Macbeth lockt ein hölliſches Gaukelſpiel zum Mord, aber es liegt keine objektive Nothwendigkeit der That darin. Banquo läßt ſich durch die Stimme der Hexen nicht bethören, wohl aber Macbeth. Es iſt alſo der Charakter, der entſcheidet.
Die kindiſche Thorheit eines alten Mannes zeigt ſich in Lear wie ein delphiſches, verwirrendes Orakel, und die ſanfte Desdemona mußte der düſteren Farbe, die mit Eiferſucht gepaart iſt, unterliegen.
Shakeſpeare hat aus dem gleichen Grunde, weil er die Nothwen- digkeit des Verbrechens in den Charakter legen mußte, den von Ariſtoteles nicht angenommenen Fall des Verbrechers, der aus Glück in Unglück ſtürzt, mit einer furchtbaren Gültigkeit behandeln müſſen. Statt des eigentlichen Schickſals hat er die Nemeſis, dieſe aber in allen Geſtalten, wo Gräuel von Gräueln überwältigt werden, eine blutige Welle die andere treibt, und der Fluch der Verfluchten ſtets in Erfüllung geht, wie vorzüglich in der engliſchen Geſchichte im Kampf der rothen und weißen Roſe. Er muß ſich dann als Barbar zeigen, weil er die höchſte Barbarei darzuſtellen unternimmt, gleichſam das rohe Schlachten der Familien untereinander, wo alle Kunſt ein Ende zu haben ſcheint und eine rohe Naturkraft eintritt, wie es im Lear heißt: „Wenn die Tiger des Waldes oder die Ungeheuer der See aus der Dumpfheit herausträten, ſo würden ſie auf ſolche Weiſe wirken.“ Doch ſind hier Züge zu finden, wo er unter die Furien, die nur nicht perſönlich auftreten, die Anmuth der Kunſt geſendet hat. So iſt Margarethens Liebesklage über dem Haupt des unrechtmäßigen und ſtrafbaren Geliebten und ihr Abſchied von ihm.
Shakeſpeare endet die Reihe mit Richard III., den er mit unge- heurer Energie ſein Ziel verfolgen und erreichen läßt, bis er vom Gipfel deſſelben in die Enge der Verzweiflung getrieben wird und im Getümmel der Schlacht, die ihm verloren geht, rettungslos ausruft: Ein Pferd, ein Pferd, ganz England für ein Pferd.
Im Macbeth dringt die Rache Schritt vor Schritt und ſo, daß er durch hölliſche Täuſchungen verführt ſie immer noch entfernt glaubt, auf den edleren Verbrecher ein, den die Ehrſucht mißleitete.
Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 46
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iſt alſo der Charakter, der entſcheidet.
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ein delphiſches, verwirrendes Orakel, und die ſanfte Desdemona mußte
der düſteren Farbe, die mit Eiferſucht gepaart iſt, unterliegen.
Shakeſpeare hat aus dem gleichen Grunde, weil er die Nothwen-
digkeit des Verbrechens in den Charakter legen mußte, den von
Ariſtoteles nicht angenommenen Fall des Verbrechers, der aus Glück
in Unglück ſtürzt, mit einer furchtbaren Gültigkeit behandeln müſſen.
Statt des eigentlichen Schickſals hat er die Nemeſis, dieſe aber in
allen Geſtalten, wo Gräuel von Gräueln überwältigt werden, eine
blutige Welle die andere treibt, und der Fluch der Verfluchten ſtets in
Erfüllung geht, wie vorzüglich in der engliſchen Geſchichte im Kampf
der rothen und weißen Roſe. Er muß ſich dann als Barbar zeigen,
weil er die höchſte Barbarei darzuſtellen unternimmt, gleichſam das
rohe Schlachten der Familien untereinander, wo alle Kunſt ein Ende
zu haben ſcheint und eine rohe Naturkraft eintritt, wie es im Lear
heißt: „Wenn die Tiger des Waldes oder die Ungeheuer der See
aus der Dumpfheit herausträten, ſo würden ſie auf ſolche Weiſe
wirken.“ Doch ſind hier Züge zu finden, wo er unter die Furien,
die nur nicht perſönlich auftreten, die Anmuth der Kunſt geſendet hat.
So iſt Margarethens Liebesklage über dem Haupt des unrechtmäßigen
und ſtrafbaren Geliebten und ihr Abſchied von ihm.
Shakeſpeare endet die Reihe mit Richard III., den er mit unge-
heurer Energie ſein Ziel verfolgen und erreichen läßt, bis er vom
Gipfel deſſelben in die Enge der Verzweiflung getrieben wird und im
Getümmel der Schlacht, die ihm verloren geht, rettungslos ausruft:
Ein Pferd, ein Pferd, ganz England für ein Pferd.
Im Macbeth dringt die Rache Schritt vor Schritt und ſo, daß
er durch hölliſche Täuſchungen verführt ſie immer noch entfernt glaubt,
auf den edleren Verbrecher ein, den die Ehrſucht mißleitete.
Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 46
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 721. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/397>, abgerufen am 22.11.2024.
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