gehen zum Theil aus inneren Zuständen der Ueberlegung, der Leiden- schaften u. s. w. hervor, die, weil sie an sich subjektiv sind, nicht anders objektiv dargestellt werden können, als inwiefern das Subjekt, in dem sie vorgehen, selbst vor Augen gestellt wird. Begebenheiten lassen die inneren Zustände weniger erscheinen und berühren sie weniger, in- dem sie den Gegenstand sowohl als den Zuschauer mehr nach außen reißen.
Wir haben, wie von selbst klar ist, das Drama gleich unmittelbar als Tragödie abgeleitet; insofern also die andere Form der Komödie, wie es scheint, ausgeschlossen. Das erste war nothwendig. Denn das Drama überhaupt kann nur aus einem wahren und wirklichen Streit der Freiheit und Nothwendigkeit, der Differenz und Indifferenz hervor- gehen: es ist damit freilich nicht gesagt, auf welcher Seite die Freiheit, und auf welcher die Nothwendigkeit liegt; aber die ursprüngliche und absolute Erscheinung dieses Streits ist doch die, wo die Nothwen- digkeit das Objektive, die Freiheit das Subjektive ist; und dieß das Verhältniß der Tragödie. Diese ist also das Erste und die Komödie das andere, denn sie entspringt durch eine bloße Umkehrung der Tragödie.
Ich werde daher jetzt ferner auf gleiche Weise fortfahren, die Tragödie dem Wesen und der Form nach zu construiren. Das Meiste, was von der Form der Tragödie gilt, gilt auch von der der Komödie, und was sich daran durch die Umkehrung des Wesentlichen mit ver- ändert, wird sich nachher sehr bestimmt angeben lassen.
Von der Tragödie.
Das Wesentliche der Tragödie ist also ein wirklicher Streit der Freiheit im Subjekt und der Nothwendigkeit als objektiver, welcher Streit sich nicht damit endet, daß der eine oder der andere unterliegt, sondern daß beide siegend und besiegt zugleich in der vollkommenen Indifferenz erscheinen. Wir haben noch genauer als bisher zu be- stimmen, auf welche Weise dieß der Fall seyn könne.
gehen zum Theil aus inneren Zuſtänden der Ueberlegung, der Leiden- ſchaften u. ſ. w. hervor, die, weil ſie an ſich ſubjektiv ſind, nicht anders objektiv dargeſtellt werden können, als inwiefern das Subjekt, in dem ſie vorgehen, ſelbſt vor Augen geſtellt wird. Begebenheiten laſſen die inneren Zuſtände weniger erſcheinen und berühren ſie weniger, in- dem ſie den Gegenſtand ſowohl als den Zuſchauer mehr nach außen reißen.
Wir haben, wie von ſelbſt klar iſt, das Drama gleich unmittelbar als Tragödie abgeleitet; inſofern alſo die andere Form der Komödie, wie es ſcheint, ausgeſchloſſen. Das erſte war nothwendig. Denn das Drama überhaupt kann nur aus einem wahren und wirklichen Streit der Freiheit und Nothwendigkeit, der Differenz und Indifferenz hervor- gehen: es iſt damit freilich nicht geſagt, auf welcher Seite die Freiheit, und auf welcher die Nothwendigkeit liegt; aber die urſprüngliche und abſolute Erſcheinung dieſes Streits iſt doch die, wo die Nothwen- digkeit das Objektive, die Freiheit das Subjektive iſt; und dieß das Verhältniß der Tragödie. Dieſe iſt alſo das Erſte und die Komödie das andere, denn ſie entſpringt durch eine bloße Umkehrung der Tragödie.
Ich werde daher jetzt ferner auf gleiche Weiſe fortfahren, die Tragödie dem Weſen und der Form nach zu conſtruiren. Das Meiſte, was von der Form der Tragödie gilt, gilt auch von der der Komödie, und was ſich daran durch die Umkehrung des Weſentlichen mit ver- ändert, wird ſich nachher ſehr beſtimmt angeben laſſen.
Von der Tragödie.
Das Weſentliche der Tragödie iſt alſo ein wirklicher Streit der Freiheit im Subjekt und der Nothwendigkeit als objektiver, welcher Streit ſich nicht damit endet, daß der eine oder der andere unterliegt, ſondern daß beide ſiegend und beſiegt zugleich in der vollkommenen Indifferenz erſcheinen. Wir haben noch genauer als bisher zu be- ſtimmen, auf welche Weiſe dieß der Fall ſeyn könne.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0369"n="693"/>
gehen zum Theil aus inneren Zuſtänden der Ueberlegung, der Leiden-<lb/>ſchaften u. ſ. w. hervor, die, weil ſie an ſich ſubjektiv ſind, nicht anders<lb/>
objektiv dargeſtellt werden können, als inwiefern das Subjekt, in dem<lb/>ſie vorgehen, ſelbſt vor Augen geſtellt wird. Begebenheiten laſſen die<lb/>
inneren Zuſtände weniger erſcheinen und berühren ſie weniger, in-<lb/>
dem ſie den Gegenſtand ſowohl als den Zuſchauer mehr nach außen<lb/>
reißen.</p><lb/><p>Wir haben, wie von ſelbſt klar iſt, das Drama gleich unmittelbar<lb/>
als Tragödie abgeleitet; inſofern alſo die andere Form der Komödie,<lb/>
wie es ſcheint, ausgeſchloſſen. Das erſte war nothwendig. Denn das<lb/>
Drama überhaupt kann nur aus einem wahren und wirklichen Streit<lb/>
der Freiheit und Nothwendigkeit, der Differenz und Indifferenz hervor-<lb/>
gehen: es iſt damit freilich nicht geſagt, <hirendition="#g">auf welcher Seite</hi> die<lb/>
Freiheit, und auf welcher die Nothwendigkeit liegt; aber die urſprüngliche<lb/>
und abſolute Erſcheinung dieſes Streits iſt doch die, wo die Nothwen-<lb/>
digkeit das Objektive, die Freiheit das Subjektive iſt; und dieß das<lb/>
Verhältniß der Tragödie. Dieſe iſt alſo das Erſte und die Komödie<lb/>
das andere, denn ſie entſpringt durch eine bloße Umkehrung der<lb/>
Tragödie.</p><lb/><p>Ich werde daher jetzt ferner auf gleiche Weiſe fortfahren, die<lb/>
Tragödie dem Weſen und der Form nach zu conſtruiren. Das Meiſte,<lb/>
was von der Form der Tragödie gilt, gilt auch von der der Komödie,<lb/>
und was ſich daran durch die Umkehrung des Weſentlichen mit ver-<lb/>
ändert, wird ſich nachher ſehr beſtimmt angeben laſſen.</p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#g">Von der Tragödie</hi>.</head><lb/><p>Das Weſentliche der <hirendition="#g">Tragödie</hi> iſt alſo ein wirklicher Streit<lb/>
der Freiheit im Subjekt und der Nothwendigkeit als objektiver, welcher<lb/>
Streit ſich nicht damit endet, daß der eine oder der andere unterliegt,<lb/>ſondern daß beide ſiegend und beſiegt zugleich in der vollkommenen<lb/>
Indifferenz erſcheinen. Wir haben noch genauer als bisher zu be-<lb/>ſtimmen, auf welche Weiſe dieß der Fall ſeyn könne.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[693/0369]
gehen zum Theil aus inneren Zuſtänden der Ueberlegung, der Leiden-
ſchaften u. ſ. w. hervor, die, weil ſie an ſich ſubjektiv ſind, nicht anders
objektiv dargeſtellt werden können, als inwiefern das Subjekt, in dem
ſie vorgehen, ſelbſt vor Augen geſtellt wird. Begebenheiten laſſen die
inneren Zuſtände weniger erſcheinen und berühren ſie weniger, in-
dem ſie den Gegenſtand ſowohl als den Zuſchauer mehr nach außen
reißen.
Wir haben, wie von ſelbſt klar iſt, das Drama gleich unmittelbar
als Tragödie abgeleitet; inſofern alſo die andere Form der Komödie,
wie es ſcheint, ausgeſchloſſen. Das erſte war nothwendig. Denn das
Drama überhaupt kann nur aus einem wahren und wirklichen Streit
der Freiheit und Nothwendigkeit, der Differenz und Indifferenz hervor-
gehen: es iſt damit freilich nicht geſagt, auf welcher Seite die
Freiheit, und auf welcher die Nothwendigkeit liegt; aber die urſprüngliche
und abſolute Erſcheinung dieſes Streits iſt doch die, wo die Nothwen-
digkeit das Objektive, die Freiheit das Subjektive iſt; und dieß das
Verhältniß der Tragödie. Dieſe iſt alſo das Erſte und die Komödie
das andere, denn ſie entſpringt durch eine bloße Umkehrung der
Tragödie.
Ich werde daher jetzt ferner auf gleiche Weiſe fortfahren, die
Tragödie dem Weſen und der Form nach zu conſtruiren. Das Meiſte,
was von der Form der Tragödie gilt, gilt auch von der der Komödie,
und was ſich daran durch die Umkehrung des Weſentlichen mit ver-
ändert, wird ſich nachher ſehr beſtimmt angeben laſſen.
Von der Tragödie.
Das Weſentliche der Tragödie iſt alſo ein wirklicher Streit
der Freiheit im Subjekt und der Nothwendigkeit als objektiver, welcher
Streit ſich nicht damit endet, daß der eine oder der andere unterliegt,
ſondern daß beide ſiegend und beſiegt zugleich in der vollkommenen
Indifferenz erſcheinen. Wir haben noch genauer als bisher zu be-
ſtimmen, auf welche Weiſe dieß der Fall ſeyn könne.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/369>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.