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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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jene Objektivität der Form erreicht hat, bei welcher es näher noch als
das Rittergedicht dem eigentlichen Epos steht.

Schon durch die ausdrückliche Beschränkung, daß der Roman bloß
durch die Form der Darstellung objektiv, allgemein gültig sey, ist
angedeutet, innerhalb welcher Grenzen allein er dem Epos sich nähern
könne. Das Epos ist eine ihrer Natur nach unbeschränkte Handlung:
sie fängt eigentlich nicht an und könnte ins Endlose gehen. Der Roman
ist, wie gesagt, durch den Gegenstand beschränkt, er nähert sich dadurch
mehr dem Drama, welches eine beschränkte und in sich abgeschlossene
Handlung ist. In dieser Beziehung könnte man den Roman auch als
eine Mischung des Epos und des Drama beschreiben, so nämlich, daß
er die Eigenschaften beider Gattungen theilte. Das Ganze der neueren
Kunst zeigt sich auch darin mehr der Malerei und dem Reich der Farben
gleich, da hingegen das plastische Zeitalter oder das Reich der Gestalten
alles streng von einander sonderte.

Die moderne Kunst hat für die objektive Form der Darstellung
kein so gleichmäßiges, zwischen Entgegengesetztem schwebendes Sylbenmaß,
als der Hexameter der antiken Kunst ist; alle ihre Sylbenmaße indi-
vidualisiren gleich stärker und beschränken auf einen gewissen Ton, Farbe,
Stimmung u. s. w. Die gleichmäßigste neuere Versart ist die Stanze,
aber sie hat nicht so das Ansehen unmittelbarer Inspiration und Ab-
hängigkeit von dem Fortschreiten des Gegenstandes als der Hexameter,
schon darum, weil sie ein ungleichförmiges Versmaß ist, und sich in
Strophen absondert, und demnach auch überhaupt künstlicher und mehr
als Werk des Dichters wie als Form des Gegenstandes erscheint.
Dem Roman also, der in beschränkterem Stoff die Objektivität des
Epos in der Form erreichen will, bleibt nichts als die Prosa, welche
die höchste Indifferenz ist, aber die Prosa in ihrer größten Vollkommen-
heit, wo sie von einem leisen Rhythmus und einem geordneten Perioden-
bau begleitet ist, der dem Ohr zwar nicht so gebietet wie das rhyth-
mische Sylbenmaß, aber doch von der andern Seite auch keine Spur
der Gezwungenheit hat, und deßwegen die sorgfältigste Ausbildung
erfordert. Wer diesen Rhythmus der Prosa im Don Quixote und

jene Objektivität der Form erreicht hat, bei welcher es näher noch als
das Rittergedicht dem eigentlichen Epos ſteht.

Schon durch die ausdrückliche Beſchränkung, daß der Roman bloß
durch die Form der Darſtellung objektiv, allgemein gültig ſey, iſt
angedeutet, innerhalb welcher Grenzen allein er dem Epos ſich nähern
könne. Das Epos iſt eine ihrer Natur nach unbeſchränkte Handlung:
ſie fängt eigentlich nicht an und könnte ins Endloſe gehen. Der Roman
iſt, wie geſagt, durch den Gegenſtand beſchränkt, er nähert ſich dadurch
mehr dem Drama, welches eine beſchränkte und in ſich abgeſchloſſene
Handlung iſt. In dieſer Beziehung könnte man den Roman auch als
eine Miſchung des Epos und des Drama beſchreiben, ſo nämlich, daß
er die Eigenſchaften beider Gattungen theilte. Das Ganze der neueren
Kunſt zeigt ſich auch darin mehr der Malerei und dem Reich der Farben
gleich, da hingegen das plaſtiſche Zeitalter oder das Reich der Geſtalten
alles ſtreng von einander ſonderte.

Die moderne Kunſt hat für die objektive Form der Darſtellung
kein ſo gleichmäßiges, zwiſchen Entgegengeſetztem ſchwebendes Sylbenmaß,
als der Hexameter der antiken Kunſt iſt; alle ihre Sylbenmaße indi-
vidualiſiren gleich ſtärker und beſchränken auf einen gewiſſen Ton, Farbe,
Stimmung u. ſ. w. Die gleichmäßigſte neuere Versart iſt die Stanze,
aber ſie hat nicht ſo das Anſehen unmittelbarer Inſpiration und Ab-
hängigkeit von dem Fortſchreiten des Gegenſtandes als der Hexameter,
ſchon darum, weil ſie ein ungleichförmiges Versmaß iſt, und ſich in
Strophen abſondert, und demnach auch überhaupt künſtlicher und mehr
als Werk des Dichters wie als Form des Gegenſtandes erſcheint.
Dem Roman alſo, der in beſchränkterem Stoff die Objektivität des
Epos in der Form erreichen will, bleibt nichts als die Proſa, welche
die höchſte Indifferenz iſt, aber die Proſa in ihrer größten Vollkommen-
heit, wo ſie von einem leiſen Rhythmus und einem geordneten Perioden-
bau begleitet iſt, der dem Ohr zwar nicht ſo gebietet wie das rhyth-
miſche Sylbenmaß, aber doch von der andern Seite auch keine Spur
der Gezwungenheit hat, und deßwegen die ſorgfältigſte Ausbildung
erfordert. Wer dieſen Rhythmus der Proſa im Don Quixote und

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[674/0350] jene Objektivität der Form erreicht hat, bei welcher es näher noch als das Rittergedicht dem eigentlichen Epos ſteht. Schon durch die ausdrückliche Beſchränkung, daß der Roman bloß durch die Form der Darſtellung objektiv, allgemein gültig ſey, iſt angedeutet, innerhalb welcher Grenzen allein er dem Epos ſich nähern könne. Das Epos iſt eine ihrer Natur nach unbeſchränkte Handlung: ſie fängt eigentlich nicht an und könnte ins Endloſe gehen. Der Roman iſt, wie geſagt, durch den Gegenſtand beſchränkt, er nähert ſich dadurch mehr dem Drama, welches eine beſchränkte und in ſich abgeſchloſſene Handlung iſt. In dieſer Beziehung könnte man den Roman auch als eine Miſchung des Epos und des Drama beſchreiben, ſo nämlich, daß er die Eigenſchaften beider Gattungen theilte. Das Ganze der neueren Kunſt zeigt ſich auch darin mehr der Malerei und dem Reich der Farben gleich, da hingegen das plaſtiſche Zeitalter oder das Reich der Geſtalten alles ſtreng von einander ſonderte. Die moderne Kunſt hat für die objektive Form der Darſtellung kein ſo gleichmäßiges, zwiſchen Entgegengeſetztem ſchwebendes Sylbenmaß, als der Hexameter der antiken Kunſt iſt; alle ihre Sylbenmaße indi- vidualiſiren gleich ſtärker und beſchränken auf einen gewiſſen Ton, Farbe, Stimmung u. ſ. w. Die gleichmäßigſte neuere Versart iſt die Stanze, aber ſie hat nicht ſo das Anſehen unmittelbarer Inſpiration und Ab- hängigkeit von dem Fortſchreiten des Gegenſtandes als der Hexameter, ſchon darum, weil ſie ein ungleichförmiges Versmaß iſt, und ſich in Strophen abſondert, und demnach auch überhaupt künſtlicher und mehr als Werk des Dichters wie als Form des Gegenſtandes erſcheint. Dem Roman alſo, der in beſchränkterem Stoff die Objektivität des Epos in der Form erreichen will, bleibt nichts als die Proſa, welche die höchſte Indifferenz iſt, aber die Proſa in ihrer größten Vollkommen- heit, wo ſie von einem leiſen Rhythmus und einem geordneten Perioden- bau begleitet iſt, der dem Ohr zwar nicht ſo gebietet wie das rhyth- miſche Sylbenmaß, aber doch von der andern Seite auch keine Spur der Gezwungenheit hat, und deßwegen die ſorgfältigſte Ausbildung erfordert. Wer dieſen Rhythmus der Proſa im Don Quixote und

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/350>, abgerufen am 16.05.2024.