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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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nach außen, die Auflösung der Natur in ein Spiel der Atomen und des
Leeren, die er mit wahrhaft epischer Gleichgültigkeit übt, ersetzt sich
durch die sittliche Größe der Seele, die ihn selbst wieder über die
Natur erhebt. Die Nichtigkeit der Natur selbst läßt zugleich seinen
Geist sich über alle Sehnsucht in das Reich des Verstandes erschwingen.
Wahrer und vortrefflicher kann über das Fruchtlose der Sehnsucht, die
Unersättlichkeit der Begier, die Leerheit aller Furcht sowie aller Hoff-
nung im Leben nicht geredet werden, als von ihm geschieht, und wie
die Lehre des Epikurus selbst nicht von der speculativen, sondern von
der moralischen Seite groß ist, so erscheint auch Lucretius, wenn seine
Begeisterung als Priester der Natur nur subjektiv seyn kann, dagegen
als Lehrer der praktischen Weisheit objektiv und als ein Wesen höherer
Ordnung, das den gemeinen Lauf der Dinge, die Leidenschaft und die
Verwirrung des Lebens nur wie von einem höheren Standort aus be-
trachtet, an dem es selbst nicht davon erreicht wird. Man kann sich
der Bemerkung des Gegensatzes nicht enthalten, den in dieser Be-
ziehung andere Arten der Philosophie gegen die Epikurische machen,
indem sie kleinliche Gesinnungen mit Vertilgung der großmüthigen und
männlichen Tugenden im Sittlichen zum Größten machen, und dagegen
im Speculativen einen höheren Flug vorgeben. Man braucht diese Ver-
gleichung nicht weit herzuholen und nur gleich die Kantsche Philosophie
zu nehmen.

Von den Lehrgedichten der Neueren zu reden, glaube ich mich
freisprechen zu dürfen. Denn da wir billig zweifeln, ob irgend ein
Gedicht der Alten in dieser Gattung das wahre Urbild erreicht habe,
so können wir es vor den Neueren ohne Zweifel kategorisch behaupten,
daß sie überhaupt kein ächt poetisches Werk dieser Art aufzuweisen haben.
Dasjenige Lehrgedicht also, wo nicht bloß die Formen und die Hülfs-
mittel der Darstellung, sondern das Darzustellende selbst poetisch ist,
ist noch zu erwarten. Folgendes läßt sich über die Idee eines solchen
bestimmen.

Das Lehrgedicht kat exokhen kann nur ein Gedicht vom Uni-
versum oder der Natur der Dinge seyn. Es soll den Reflex des

nach außen, die Auflöſung der Natur in ein Spiel der Atomen und des
Leeren, die er mit wahrhaft epiſcher Gleichgültigkeit übt, erſetzt ſich
durch die ſittliche Größe der Seele, die ihn ſelbſt wieder über die
Natur erhebt. Die Nichtigkeit der Natur ſelbſt läßt zugleich ſeinen
Geiſt ſich über alle Sehnſucht in das Reich des Verſtandes erſchwingen.
Wahrer und vortrefflicher kann über das Fruchtloſe der Sehnſucht, die
Unerſättlichkeit der Begier, die Leerheit aller Furcht ſowie aller Hoff-
nung im Leben nicht geredet werden, als von ihm geſchieht, und wie
die Lehre des Epikurus ſelbſt nicht von der ſpeculativen, ſondern von
der moraliſchen Seite groß iſt, ſo erſcheint auch Lucretius, wenn ſeine
Begeiſterung als Prieſter der Natur nur ſubjektiv ſeyn kann, dagegen
als Lehrer der praktiſchen Weisheit objektiv und als ein Weſen höherer
Ordnung, das den gemeinen Lauf der Dinge, die Leidenſchaft und die
Verwirrung des Lebens nur wie von einem höheren Standort aus be-
trachtet, an dem es ſelbſt nicht davon erreicht wird. Man kann ſich
der Bemerkung des Gegenſatzes nicht enthalten, den in dieſer Be-
ziehung andere Arten der Philoſophie gegen die Epikuriſche machen,
indem ſie kleinliche Geſinnungen mit Vertilgung der großmüthigen und
männlichen Tugenden im Sittlichen zum Größten machen, und dagegen
im Speculativen einen höheren Flug vorgeben. Man braucht dieſe Ver-
gleichung nicht weit herzuholen und nur gleich die Kantſche Philoſophie
zu nehmen.

Von den Lehrgedichten der Neueren zu reden, glaube ich mich
freiſprechen zu dürfen. Denn da wir billig zweifeln, ob irgend ein
Gedicht der Alten in dieſer Gattung das wahre Urbild erreicht habe,
ſo können wir es vor den Neueren ohne Zweifel kategoriſch behaupten,
daß ſie überhaupt kein ächt poetiſches Werk dieſer Art aufzuweiſen haben.
Dasjenige Lehrgedicht alſo, wo nicht bloß die Formen und die Hülfs-
mittel der Darſtellung, ſondern das Darzuſtellende ſelbſt poetiſch iſt,
iſt noch zu erwarten. Folgendes läßt ſich über die Idee eines ſolchen
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verſum oder der Natur der Dinge ſeyn. Es ſoll den Reflex des

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[666/0342] nach außen, die Auflöſung der Natur in ein Spiel der Atomen und des Leeren, die er mit wahrhaft epiſcher Gleichgültigkeit übt, erſetzt ſich durch die ſittliche Größe der Seele, die ihn ſelbſt wieder über die Natur erhebt. Die Nichtigkeit der Natur ſelbſt läßt zugleich ſeinen Geiſt ſich über alle Sehnſucht in das Reich des Verſtandes erſchwingen. Wahrer und vortrefflicher kann über das Fruchtloſe der Sehnſucht, die Unerſättlichkeit der Begier, die Leerheit aller Furcht ſowie aller Hoff- nung im Leben nicht geredet werden, als von ihm geſchieht, und wie die Lehre des Epikurus ſelbſt nicht von der ſpeculativen, ſondern von der moraliſchen Seite groß iſt, ſo erſcheint auch Lucretius, wenn ſeine Begeiſterung als Prieſter der Natur nur ſubjektiv ſeyn kann, dagegen als Lehrer der praktiſchen Weisheit objektiv und als ein Weſen höherer Ordnung, das den gemeinen Lauf der Dinge, die Leidenſchaft und die Verwirrung des Lebens nur wie von einem höheren Standort aus be- trachtet, an dem es ſelbſt nicht davon erreicht wird. Man kann ſich der Bemerkung des Gegenſatzes nicht enthalten, den in dieſer Be- ziehung andere Arten der Philoſophie gegen die Epikuriſche machen, indem ſie kleinliche Geſinnungen mit Vertilgung der großmüthigen und männlichen Tugenden im Sittlichen zum Größten machen, und dagegen im Speculativen einen höheren Flug vorgeben. Man braucht dieſe Ver- gleichung nicht weit herzuholen und nur gleich die Kantſche Philoſophie zu nehmen. Von den Lehrgedichten der Neueren zu reden, glaube ich mich freiſprechen zu dürfen. Denn da wir billig zweifeln, ob irgend ein Gedicht der Alten in dieſer Gattung das wahre Urbild erreicht habe, ſo können wir es vor den Neueren ohne Zweifel kategoriſch behaupten, daß ſie überhaupt kein ächt poetiſches Werk dieſer Art aufzuweiſen haben. Dasjenige Lehrgedicht alſo, wo nicht bloß die Formen und die Hülfs- mittel der Darſtellung, ſondern das Darzuſtellende ſelbſt poetiſch iſt, iſt noch zu erwarten. Folgendes läßt ſich über die Idee eines ſolchen beſtimmen. Das Lehrgedicht κατ̕ ἐξοχήν kann nur ein Gedicht vom Uni- verſum oder der Natur der Dinge ſeyn. Es ſoll den Reflex des

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/342>, abgerufen am 22.11.2024.