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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Gebrauch der Beiwörter, wodurch die Sprache eine gewisse Sattheit
erhält, wie in dem einfach erzählenden Gang. -- Ebenso verhält es sich
mit dem Gleichniß. Im lyrischen Gedicht, auch in der Tragödie
wirkt es oft nur dem Blitz ähnlich, der plötzlich einen dunklen Zustand
erleuchtet und von der Nacht wieder verschlungen wird. Im Epos hat
es Leben in sich selbst, und ist selbst wieder ein kleines Epos. -- Was
endlich die Episode betrifft, so ist auch diese zunächst ein Abdruck der
Gleichgültigkeit des Sängers gegen seine Gegenstände, auch die haupt-
sächlichsten, der Abwesenheit der Furcht, auch die größte Verwicklung
nicht mehr zu übersehen, oder über dem Nebengegenstand den Haupt-
gegenstand aus dem Gesicht zu verlieren. Die Episode ist also ein noth-
wendiger Theil des Epos, um es zu einem vollkommenen Bild des
Lebens zu machen.

In den gewöhnlichen Theorien wird auch noch das Wunderbare
als ein nothwendiger Hebel der Epopee angeführt. Allein dieß kann
nur von der modernen Gattung gelten und hat von dem Epos über-
haupt ausgesagt eine ganz verkehrte Ansicht des alten Epos zum
Grunde. Der nordischen Barbarei haben die Götter Homers und ihre
Wirkungen nur als Wunder erscheinen können, wie ja auch die Kunst-
richter dieser Art es für absichtliches rhetorisches und poetisches Pathos
halten, wenn Homer, anstatt zu erzählen: es blitzte, sagt: Zeus habe
Blitze gesendet.

Den Griechen und dem alten Epos insbesondere ist das Wunder-
bare gänzlich fremd, denn ihre Götter sind innerhalb der Natur.

Was den eigentlichen epischen Stoff betrifft, so liegt schon in
dem, was über die Bestimmung des Epos, ein Bild des Absoluten
selbst zu seyn, gesagt worden ist, daß es einen wahrhaft univer-
sellen
Stoff fordert, und inwiefern dieser nur durch Mythologie exi-
stiren kann, daß ohne Mythologie das Epos undenkbar ist. Ja
die Identität beider ist so groß, daß die Mythologie nicht eher die
wahre Objektivität als in dem Epos selbst erlangt. Da das Epos die
objektivste und allgemeinste Dichtart ist, so fällt sie mit dem Stoff aller
Poesie am meisten in eins. Wie nun die Mythologie nur Eine ist, so

Gebrauch der Beiwörter, wodurch die Sprache eine gewiſſe Sattheit
erhält, wie in dem einfach erzählenden Gang. — Ebenſo verhält es ſich
mit dem Gleichniß. Im lyriſchen Gedicht, auch in der Tragödie
wirkt es oft nur dem Blitz ähnlich, der plötzlich einen dunklen Zuſtand
erleuchtet und von der Nacht wieder verſchlungen wird. Im Epos hat
es Leben in ſich ſelbſt, und iſt ſelbſt wieder ein kleines Epos. — Was
endlich die Epiſode betrifft, ſo iſt auch dieſe zunächſt ein Abdruck der
Gleichgültigkeit des Sängers gegen ſeine Gegenſtände, auch die haupt-
ſächlichſten, der Abweſenheit der Furcht, auch die größte Verwicklung
nicht mehr zu überſehen, oder über dem Nebengegenſtand den Haupt-
gegenſtand aus dem Geſicht zu verlieren. Die Epiſode iſt alſo ein noth-
wendiger Theil des Epos, um es zu einem vollkommenen Bild des
Lebens zu machen.

In den gewöhnlichen Theorien wird auch noch das Wunderbare
als ein nothwendiger Hebel der Epopee angeführt. Allein dieß kann
nur von der modernen Gattung gelten und hat von dem Epos über-
haupt ausgeſagt eine ganz verkehrte Anſicht des alten Epos zum
Grunde. Der nordiſchen Barbarei haben die Götter Homers und ihre
Wirkungen nur als Wunder erſcheinen können, wie ja auch die Kunſt-
richter dieſer Art es für abſichtliches rhetoriſches und poetiſches Pathos
halten, wenn Homer, anſtatt zu erzählen: es blitzte, ſagt: Zeus habe
Blitze geſendet.

Den Griechen und dem alten Epos insbeſondere iſt das Wunder-
bare gänzlich fremd, denn ihre Götter ſind innerhalb der Natur.

Was den eigentlichen epiſchen Stoff betrifft, ſo liegt ſchon in
dem, was über die Beſtimmung des Epos, ein Bild des Abſoluten
ſelbſt zu ſeyn, geſagt worden iſt, daß es einen wahrhaft univer-
ſellen
Stoff fordert, und inwiefern dieſer nur durch Mythologie exi-
ſtiren kann, daß ohne Mythologie das Epos undenkbar iſt. Ja
die Identität beider iſt ſo groß, daß die Mythologie nicht eher die
wahre Objektivität als in dem Epos ſelbſt erlangt. Da das Epos die
objektivſte und allgemeinſte Dichtart iſt, ſo fällt ſie mit dem Stoff aller
Poeſie am meiſten in eins. Wie nun die Mythologie nur Eine iſt, ſo

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[654/0330] Gebrauch der Beiwörter, wodurch die Sprache eine gewiſſe Sattheit erhält, wie in dem einfach erzählenden Gang. — Ebenſo verhält es ſich mit dem Gleichniß. Im lyriſchen Gedicht, auch in der Tragödie wirkt es oft nur dem Blitz ähnlich, der plötzlich einen dunklen Zuſtand erleuchtet und von der Nacht wieder verſchlungen wird. Im Epos hat es Leben in ſich ſelbſt, und iſt ſelbſt wieder ein kleines Epos. — Was endlich die Epiſode betrifft, ſo iſt auch dieſe zunächſt ein Abdruck der Gleichgültigkeit des Sängers gegen ſeine Gegenſtände, auch die haupt- ſächlichſten, der Abweſenheit der Furcht, auch die größte Verwicklung nicht mehr zu überſehen, oder über dem Nebengegenſtand den Haupt- gegenſtand aus dem Geſicht zu verlieren. Die Epiſode iſt alſo ein noth- wendiger Theil des Epos, um es zu einem vollkommenen Bild des Lebens zu machen. In den gewöhnlichen Theorien wird auch noch das Wunderbare als ein nothwendiger Hebel der Epopee angeführt. Allein dieß kann nur von der modernen Gattung gelten und hat von dem Epos über- haupt ausgeſagt eine ganz verkehrte Anſicht des alten Epos zum Grunde. Der nordiſchen Barbarei haben die Götter Homers und ihre Wirkungen nur als Wunder erſcheinen können, wie ja auch die Kunſt- richter dieſer Art es für abſichtliches rhetoriſches und poetiſches Pathos halten, wenn Homer, anſtatt zu erzählen: es blitzte, ſagt: Zeus habe Blitze geſendet. Den Griechen und dem alten Epos insbeſondere iſt das Wunder- bare gänzlich fremd, denn ihre Götter ſind innerhalb der Natur. Was den eigentlichen epiſchen Stoff betrifft, ſo liegt ſchon in dem, was über die Beſtimmung des Epos, ein Bild des Abſoluten ſelbſt zu ſeyn, geſagt worden iſt, daß es einen wahrhaft univer- ſellen Stoff fordert, und inwiefern dieſer nur durch Mythologie exi- ſtiren kann, daß ohne Mythologie das Epos undenkbar iſt. Ja die Identität beider iſt ſo groß, daß die Mythologie nicht eher die wahre Objektivität als in dem Epos ſelbſt erlangt. Da das Epos die objektivſte und allgemeinſte Dichtart iſt, ſo fällt ſie mit dem Stoff aller Poeſie am meiſten in eins. Wie nun die Mythologie nur Eine iſt, ſo

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 654. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/330>, abgerufen am 22.11.2024.