bewegt er sich gleichsam außerhalb der gemeinen Gesetzmäßigkeit, ver- wegen und doch sicher und leicht. Es ist nur ein Vorurtheil, daß die Poesie in keiner andern Sprache zu reden habe, als welche auch in der Prosa gebräuchlich ist (Gottsched, Wieland).
Die Prosa überhaupt, um diese Erklärung hier einzuschalten, ist die von dem Verstand in Besitz genommene und nach seinen Zwecken geformte Sprache. In der Poesie ist alles Begrenzung, strenge Abson- derung der Formen. Die Prosa ist insofern wieder die Indifferenz und ihr vorzüglichster Fehler der, daraus heraustreten zu wollen, woher die Aftergeburt der poetischen Prosa entsteht. Die Poesie unterscheidet sich von ihr nicht allein durch Rhythmus, sondern auch durch theils einfältigere theils schönere Sprache. Es ist damit nicht ein wildes, in der leeren Ueberspanntheit der Sprache sich ausdrückendes Feuer gemeint, welches die Alten Parenthyrsos genannt haben. Zwar es gibt Kunstrichter, die sogar von dem wilden Feuer des Homer reden.
Die Einfalt ist auch in der Poesie wie in der bildenden Kunst das Höchste, und Dionys von Halikarnaß, der trefflichste Kunstrichter unter den Alten, zeigt ausdrücklich an einer Stelle der Odyssee, die, wie er sagt, in den gemeinsten Ausdrücken abgefaßt ist, der sich etwa ein Bauer oder Handwerker bedienen würde, das Verdienst der poeti- schen Synthesis.
Verschieden in diesem Betracht von der epischen Diktion ist aller- dings die lyrische und die dramatische, sofern sie einem großen Theile nach lyrisch ist. Aber auch hier drückt sich die Begeisterung mehr durch die kühnen Absprünge von der logischen oder mechanischen Gedankenfolge, als durch Schwulst der Worte aus. Die Sprache wird zu einem höheren Organ, es sind ihr kürzere Wendungen, ungewöhnlichere Worte, eigen- thümliche Biegungen der Worte erlaubt, aber alles in den Grenzen der wahren Begeisterung.
Man pflegt in den poetischen Kunstlehren sonst auch von Meta- phern, Tropen und den übrigen Zierathen der Rede zu sprechen, dergleichen die Epitheta sind, die Vergleichungen und die Gleichnisse. Was die Metaphern betrifft, so gehören sie mehr der Rhetorik an.
bewegt er ſich gleichſam außerhalb der gemeinen Geſetzmäßigkeit, ver- wegen und doch ſicher und leicht. Es iſt nur ein Vorurtheil, daß die Poeſie in keiner andern Sprache zu reden habe, als welche auch in der Proſa gebräuchlich iſt (Gottſched, Wieland).
Die Proſa überhaupt, um dieſe Erklärung hier einzuſchalten, iſt die von dem Verſtand in Beſitz genommene und nach ſeinen Zwecken geformte Sprache. In der Poeſie iſt alles Begrenzung, ſtrenge Abſon- derung der Formen. Die Proſa iſt inſofern wieder die Indifferenz und ihr vorzüglichſter Fehler der, daraus heraustreten zu wollen, woher die Aftergeburt der poetiſchen Proſa entſteht. Die Poeſie unterſcheidet ſich von ihr nicht allein durch Rhythmus, ſondern auch durch theils einfältigere theils ſchönere Sprache. Es iſt damit nicht ein wildes, in der leeren Ueberſpanntheit der Sprache ſich ausdrückendes Feuer gemeint, welches die Alten Parenthyrſos genannt haben. Zwar es gibt Kunſtrichter, die ſogar von dem wilden Feuer des Homer reden.
Die Einfalt iſt auch in der Poeſie wie in der bildenden Kunſt das Höchſte, und Dionys von Halikarnaß, der trefflichſte Kunſtrichter unter den Alten, zeigt ausdrücklich an einer Stelle der Odyſſee, die, wie er ſagt, in den gemeinſten Ausdrücken abgefaßt iſt, der ſich etwa ein Bauer oder Handwerker bedienen würde, das Verdienſt der poeti- ſchen Syntheſis.
Verſchieden in dieſem Betracht von der epiſchen Diktion iſt aller- dings die lyriſche und die dramatiſche, ſofern ſie einem großen Theile nach lyriſch iſt. Aber auch hier drückt ſich die Begeiſterung mehr durch die kühnen Abſprünge von der logiſchen oder mechaniſchen Gedankenfolge, als durch Schwulſt der Worte aus. Die Sprache wird zu einem höheren Organ, es ſind ihr kürzere Wendungen, ungewöhnlichere Worte, eigen- thümliche Biegungen der Worte erlaubt, aber alles in den Grenzen der wahren Begeiſterung.
Man pflegt in den poetiſchen Kunſtlehren ſonſt auch von Meta- phern, Tropen und den übrigen Zierathen der Rede zu ſprechen, dergleichen die Epitheta ſind, die Vergleichungen und die Gleichniſſe. Was die Metaphern betrifft, ſo gehören ſie mehr der Rhetorik an.
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bewegt er ſich gleichſam außerhalb der gemeinen Geſetzmäßigkeit, ver-
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Poeſie in keiner andern Sprache zu reden habe, als welche auch in
der Proſa gebräuchlich iſt (Gottſched, Wieland).
Die Proſa überhaupt, um dieſe Erklärung hier einzuſchalten, iſt
die von dem Verſtand in Beſitz genommene und nach ſeinen Zwecken
geformte Sprache. In der Poeſie iſt alles Begrenzung, ſtrenge Abſon-
derung der Formen. Die Proſa iſt inſofern wieder die Indifferenz
und ihr vorzüglichſter Fehler der, daraus heraustreten zu wollen, woher
die Aftergeburt der poetiſchen Proſa entſteht. Die Poeſie unterſcheidet
ſich von ihr nicht allein durch Rhythmus, ſondern auch durch theils
einfältigere theils ſchönere Sprache. Es iſt damit nicht ein wildes,
in der leeren Ueberſpanntheit der Sprache ſich ausdrückendes Feuer
gemeint, welches die Alten Parenthyrſos genannt haben. Zwar es gibt
Kunſtrichter, die ſogar von dem wilden Feuer des Homer reden.
Die Einfalt iſt auch in der Poeſie wie in der bildenden Kunſt
das Höchſte, und Dionys von Halikarnaß, der trefflichſte Kunſtrichter
unter den Alten, zeigt ausdrücklich an einer Stelle der Odyſſee, die,
wie er ſagt, in den gemeinſten Ausdrücken abgefaßt iſt, der ſich etwa
ein Bauer oder Handwerker bedienen würde, das Verdienſt der poeti-
ſchen Syntheſis.
Verſchieden in dieſem Betracht von der epiſchen Diktion iſt aller-
dings die lyriſche und die dramatiſche, ſofern ſie einem großen Theile nach
lyriſch iſt. Aber auch hier drückt ſich die Begeiſterung mehr durch die
kühnen Abſprünge von der logiſchen oder mechaniſchen Gedankenfolge,
als durch Schwulſt der Worte aus. Die Sprache wird zu einem höheren
Organ, es ſind ihr kürzere Wendungen, ungewöhnlichere Worte, eigen-
thümliche Biegungen der Worte erlaubt, aber alles in den Grenzen der
wahren Begeiſterung.
Man pflegt in den poetiſchen Kunſtlehren ſonſt auch von Meta-
phern, Tropen und den übrigen Zierathen der Rede zu ſprechen,
dergleichen die Epitheta ſind, die Vergleichungen und die Gleichniſſe.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/314>, abgerufen am 25.11.2024.
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