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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Ge-
schrei, wie Virgil seinen Laokoon beschreibt; die Oeffnung des Mun-
des läßt dieß nicht zu, es ist nur ein ängstliches und beklemmtes
Seufzen. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind
durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Größe ausgetheilet und
gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles
Philoktetes; sein Elend gehet uns bis an die Seele, aber wir wünschten,
wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können." Diese Beschrei-
bung reicht hin einzusehen, daß dieser Ausdruck der Seele nichts mehr
ist, das aus der Erfahrung genommen, daß es eine über die Natur sich
erhebende Idee ist, die der Künstler in sich selbst haben mußte, um sie
dem Marmor einzuprägen. Ein gleiches Bild ist das der Niobe mit
ihren Töchtern. Diese, auf welche Diana die tödtlichen Pfeile richtet,
sind in der unbeschreiblichen Angst mit übertäubter Empfindung geschil-
dert, wo die Erstarrung selbst die Ruhe und jene hohe Gleichgültigkeit
zurückbringt, die sich mit der Schönheit am meisten verträgt und keine
Züge der Gestalt und der Bildung ändert.

Wir können nach diesen Betrachtungen alle Erfordernisse des Ge-
mäldes im symbolischen Styl wieder auf das einzige zurückbringen, daß
alles der Schönheit untergeordnet sey, denn diese ist immer symbolisch.
Der bildende Künstler ist in Ansehung seiner Gegenstände ganz an die
Gestalt gewiesen, da er diese allein ausdrücken kann. Der Dichter,
welcher nicht Gestalten für die Anschauung aufstellt, beleidigt die
Schönheit nicht nothwendig, wenn er auch in der Leidenschaft zum
Heftigeren geht, der bildende Künstler aber, nur an die Anschauung
gewiesen, ist in dem Fall, die Schönheit nothwendig zu beleidigen,
wenn er sich nicht auf einen gewissen Grad des Ausdrucks der Leiden-
schaften einschränkt: allerdings der plastische Künstler noch mehr als der
malende, theils weil diesem viele Mittel der Milderung durch Licht und
Schatten zu Gebot stehen, die jenem nicht, theils weil von der andern
Seite alles Plastische eine größere Gewalt der Wirklichkeit war. Die
Einschränkung jener strengen Forderungen, welche an die Plastik gemacht
werden müssen, in Bezug auf Malerei ergeben sich übrigens auch schon

Geſichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein ſchreckliches Ge-
ſchrei, wie Virgil ſeinen Laokoon beſchreibt; die Oeffnung des Mun-
des läßt dieß nicht zu, es iſt nur ein ängſtliches und beklemmtes
Seufzen. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele ſind
durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Größe ausgetheilet und
gleichſam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles
Philoktetes; ſein Elend gehet uns bis an die Seele, aber wir wünſchten,
wie dieſer große Mann das Elend ertragen zu können.“ Dieſe Beſchrei-
bung reicht hin einzuſehen, daß dieſer Ausdruck der Seele nichts mehr
iſt, das aus der Erfahrung genommen, daß es eine über die Natur ſich
erhebende Idee iſt, die der Künſtler in ſich ſelbſt haben mußte, um ſie
dem Marmor einzuprägen. Ein gleiches Bild iſt das der Niobe mit
ihren Töchtern. Dieſe, auf welche Diana die tödtlichen Pfeile richtet,
ſind in der unbeſchreiblichen Angſt mit übertäubter Empfindung geſchil-
dert, wo die Erſtarrung ſelbſt die Ruhe und jene hohe Gleichgültigkeit
zurückbringt, die ſich mit der Schönheit am meiſten verträgt und keine
Züge der Geſtalt und der Bildung ändert.

Wir können nach dieſen Betrachtungen alle Erforderniſſe des Ge-
mäldes im ſymboliſchen Styl wieder auf das einzige zurückbringen, daß
alles der Schönheit untergeordnet ſey, denn dieſe iſt immer ſymboliſch.
Der bildende Künſtler iſt in Anſehung ſeiner Gegenſtände ganz an die
Geſtalt gewieſen, da er dieſe allein ausdrücken kann. Der Dichter,
welcher nicht Geſtalten für die Anſchauung aufſtellt, beleidigt die
Schönheit nicht nothwendig, wenn er auch in der Leidenſchaft zum
Heftigeren geht, der bildende Künſtler aber, nur an die Anſchauung
gewieſen, iſt in dem Fall, die Schönheit nothwendig zu beleidigen,
wenn er ſich nicht auf einen gewiſſen Grad des Ausdrucks der Leiden-
ſchaften einſchränkt: allerdings der plaſtiſche Künſtler noch mehr als der
malende, theils weil dieſem viele Mittel der Milderung durch Licht und
Schatten zu Gebot ſtehen, die jenem nicht, theils weil von der andern
Seite alles Plaſtiſche eine größere Gewalt der Wirklichkeit war. Die
Einſchränkung jener ſtrengen Forderungen, welche an die Plaſtik gemacht
werden müſſen, in Bezug auf Malerei ergeben ſich übrigens auch ſchon

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[558/0234] Geſichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein ſchreckliches Ge- ſchrei, wie Virgil ſeinen Laokoon beſchreibt; die Oeffnung des Mun- des läßt dieß nicht zu, es iſt nur ein ängſtliches und beklemmtes Seufzen. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele ſind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Größe ausgetheilet und gleichſam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktetes; ſein Elend gehet uns bis an die Seele, aber wir wünſchten, wie dieſer große Mann das Elend ertragen zu können.“ Dieſe Beſchrei- bung reicht hin einzuſehen, daß dieſer Ausdruck der Seele nichts mehr iſt, das aus der Erfahrung genommen, daß es eine über die Natur ſich erhebende Idee iſt, die der Künſtler in ſich ſelbſt haben mußte, um ſie dem Marmor einzuprägen. Ein gleiches Bild iſt das der Niobe mit ihren Töchtern. Dieſe, auf welche Diana die tödtlichen Pfeile richtet, ſind in der unbeſchreiblichen Angſt mit übertäubter Empfindung geſchil- dert, wo die Erſtarrung ſelbſt die Ruhe und jene hohe Gleichgültigkeit zurückbringt, die ſich mit der Schönheit am meiſten verträgt und keine Züge der Geſtalt und der Bildung ändert. Wir können nach dieſen Betrachtungen alle Erforderniſſe des Ge- mäldes im ſymboliſchen Styl wieder auf das einzige zurückbringen, daß alles der Schönheit untergeordnet ſey, denn dieſe iſt immer ſymboliſch. Der bildende Künſtler iſt in Anſehung ſeiner Gegenſtände ganz an die Geſtalt gewieſen, da er dieſe allein ausdrücken kann. Der Dichter, welcher nicht Geſtalten für die Anſchauung aufſtellt, beleidigt die Schönheit nicht nothwendig, wenn er auch in der Leidenſchaft zum Heftigeren geht, der bildende Künſtler aber, nur an die Anſchauung gewieſen, iſt in dem Fall, die Schönheit nothwendig zu beleidigen, wenn er ſich nicht auf einen gewiſſen Grad des Ausdrucks der Leiden- ſchaften einſchränkt: allerdings der plaſtiſche Künſtler noch mehr als der malende, theils weil dieſem viele Mittel der Milderung durch Licht und Schatten zu Gebot ſtehen, die jenem nicht, theils weil von der andern Seite alles Plaſtiſche eine größere Gewalt der Wirklichkeit war. Die Einſchränkung jener ſtrengen Forderungen, welche an die Plaſtik gemacht werden müſſen, in Bezug auf Malerei ergeben ſich übrigens auch ſchon

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/234>, abgerufen am 22.11.2024.