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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Hellung des Gegenstandes selbst vernichtet. Ein allgemeines Gesetz
auch des natürlichen Helldunkels ist, daß helle und dunkle Farben nicht
unberührt und ohne Wirkung aufeinander nebeneinander stehen, daß
eins das andere wirklich erhöht und mäßiget -- vergrößert sogar
(expandirt und contrahirt). Die am meisten magische Wirkung des
Helldunkels entsteht durch die Reflexe, indem der Schatten, welcher im
Reflex eines hellen Körpers liegt, weder ganz Schatten noch wahrhaft
erleuchtet ist, und hinwiederum ein durch seine Localfarbe heller Körper
durch den Schatten, den ein anderer auf ihn wirft, wiederum ganz
verschieden afficirt wird; z. B. er sey weiß oder gelb, nun fällt ein
Schatten auf ihn, aber jetzt ist er weder das eine noch das andere.

Einer der vornehmsten Theile des Helldunkels ist die Luftper-
spektive
. Sie unterscheidet sich von der Linienperspektive dadurch, daß
diese bloß lehrt, wie ein Bild sich aus einem angenommenen Stand-
punkt darstellt, jene aber den Grad der Lichter in Proportion der Ent-
fernung. Je entfernter ein Körper ist, desto mehr verliert seine Farbe
an Lebhaftigkeit; die kleineren Abstufungen der Tinten und Schatten
in ihm selbst verlieren sich, so daß er nicht nur einfärbig, sondern,
weil alle sichtbare Erhabenheit auf dem Helldunkel beruht, flach wird
(alles Relief verliert sich); in der letzten Entfernung aber verliert sich
seine natürliche Farbe ganz, und alle noch so verschiedenfarbigen Gegen-
stände nehmen die allgemeine Luftfarbe an. Die Verminderung des
Helldunkels mit der Entfernung geschieht nach bestimmten Gesetzen.
Wenn z. B. unter mehreren perspektivisch gestellten Figuren von der
ersten zur zweiten ein Grad des Unterschieds ist, so wird dieser schon
von der zweiten zur dritten geringer seyn, wie die Verminderung der
Größe auch in der Linienperspektive in immer geringerem Verhältniß
geschieht mit der größeren Entfernung. Ein Gegenstand, der mir nahe
ist, ist in der Stärke des Helldunkels allerdings sehr verschieden von
einem, der etwa eine oder mehrere Stunden weit entfernt ist. Wenn
ich aber einen dritten Gegenstand, der noch eine oder mehrere Stunden
entfernter ist als der zweite, mit diesem vergleiche, so wird der Un-
terschied in Ansehung dieser beiden fast unmerklich seyn, so daß also

Hellung des Gegenſtandes ſelbſt vernichtet. Ein allgemeines Geſetz
auch des natürlichen Helldunkels iſt, daß helle und dunkle Farben nicht
unberührt und ohne Wirkung aufeinander nebeneinander ſtehen, daß
eins das andere wirklich erhöht und mäßiget — vergrößert ſogar
(expandirt und contrahirt). Die am meiſten magiſche Wirkung des
Helldunkels entſteht durch die Reflexe, indem der Schatten, welcher im
Reflex eines hellen Körpers liegt, weder ganz Schatten noch wahrhaft
erleuchtet iſt, und hinwiederum ein durch ſeine Localfarbe heller Körper
durch den Schatten, den ein anderer auf ihn wirft, wiederum ganz
verſchieden afficirt wird; z. B. er ſey weiß oder gelb, nun fällt ein
Schatten auf ihn, aber jetzt iſt er weder das eine noch das andere.

Einer der vornehmſten Theile des Helldunkels iſt die Luftper-
ſpektive
. Sie unterſcheidet ſich von der Linienperſpektive dadurch, daß
dieſe bloß lehrt, wie ein Bild ſich aus einem angenommenen Stand-
punkt darſtellt, jene aber den Grad der Lichter in Proportion der Ent-
fernung. Je entfernter ein Körper iſt, deſto mehr verliert ſeine Farbe
an Lebhaftigkeit; die kleineren Abſtufungen der Tinten und Schatten
in ihm ſelbſt verlieren ſich, ſo daß er nicht nur einfärbig, ſondern,
weil alle ſichtbare Erhabenheit auf dem Helldunkel beruht, flach wird
(alles Relief verliert ſich); in der letzten Entfernung aber verliert ſich
ſeine natürliche Farbe ganz, und alle noch ſo verſchiedenfarbigen Gegen-
ſtände nehmen die allgemeine Luftfarbe an. Die Verminderung des
Helldunkels mit der Entfernung geſchieht nach beſtimmten Geſetzen.
Wenn z. B. unter mehreren perſpektiviſch geſtellten Figuren von der
erſten zur zweiten ein Grad des Unterſchieds iſt, ſo wird dieſer ſchon
von der zweiten zur dritten geringer ſeyn, wie die Verminderung der
Größe auch in der Linienperſpektive in immer geringerem Verhältniß
geſchieht mit der größeren Entfernung. Ein Gegenſtand, der mir nahe
iſt, iſt in der Stärke des Helldunkels allerdings ſehr verſchieden von
einem, der etwa eine oder mehrere Stunden weit entfernt iſt. Wenn
ich aber einen dritten Gegenſtand, der noch eine oder mehrere Stunden
entfernter iſt als der zweite, mit dieſem vergleiche, ſo wird der Un-
terſchied in Anſehung dieſer beiden faſt unmerklich ſeyn, ſo daß alſo

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[532/0208] Hellung des Gegenſtandes ſelbſt vernichtet. Ein allgemeines Geſetz auch des natürlichen Helldunkels iſt, daß helle und dunkle Farben nicht unberührt und ohne Wirkung aufeinander nebeneinander ſtehen, daß eins das andere wirklich erhöht und mäßiget — vergrößert ſogar (expandirt und contrahirt). Die am meiſten magiſche Wirkung des Helldunkels entſteht durch die Reflexe, indem der Schatten, welcher im Reflex eines hellen Körpers liegt, weder ganz Schatten noch wahrhaft erleuchtet iſt, und hinwiederum ein durch ſeine Localfarbe heller Körper durch den Schatten, den ein anderer auf ihn wirft, wiederum ganz verſchieden afficirt wird; z. B. er ſey weiß oder gelb, nun fällt ein Schatten auf ihn, aber jetzt iſt er weder das eine noch das andere. Einer der vornehmſten Theile des Helldunkels iſt die Luftper- ſpektive. Sie unterſcheidet ſich von der Linienperſpektive dadurch, daß dieſe bloß lehrt, wie ein Bild ſich aus einem angenommenen Stand- punkt darſtellt, jene aber den Grad der Lichter in Proportion der Ent- fernung. Je entfernter ein Körper iſt, deſto mehr verliert ſeine Farbe an Lebhaftigkeit; die kleineren Abſtufungen der Tinten und Schatten in ihm ſelbſt verlieren ſich, ſo daß er nicht nur einfärbig, ſondern, weil alle ſichtbare Erhabenheit auf dem Helldunkel beruht, flach wird (alles Relief verliert ſich); in der letzten Entfernung aber verliert ſich ſeine natürliche Farbe ganz, und alle noch ſo verſchiedenfarbigen Gegen- ſtände nehmen die allgemeine Luftfarbe an. Die Verminderung des Helldunkels mit der Entfernung geſchieht nach beſtimmten Geſetzen. Wenn z. B. unter mehreren perſpektiviſch geſtellten Figuren von der erſten zur zweiten ein Grad des Unterſchieds iſt, ſo wird dieſer ſchon von der zweiten zur dritten geringer ſeyn, wie die Verminderung der Größe auch in der Linienperſpektive in immer geringerem Verhältniß geſchieht mit der größeren Entfernung. Ein Gegenſtand, der mir nahe iſt, iſt in der Stärke des Helldunkels allerdings ſehr verſchieden von einem, der etwa eine oder mehrere Stunden weit entfernt iſt. Wenn ich aber einen dritten Gegenſtand, der noch eine oder mehrere Stunden entfernter iſt als der zweite, mit dieſem vergleiche, ſo wird der Un- terſchied in Anſehung dieſer beiden faſt unmerklich ſeyn, ſo daß alſo

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/208>, abgerufen am 03.05.2024.