Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Farben bilden unter sich ein System ebenso wie die Töne.
Sie sind daher an sich weit ursprünglicher als sie im prismatischen Bild
erscheinen, dessen Bedingungen zufällig und abgeleitet sind. Daß unter
diesen Bedingungen keine andern als eben diese Farben erscheinen, ist
nothwendig, weil es die einzigen sind, die überhaupt möglich sind. Die
Totalität oder das System der Farben hat also in sich betrachtet aller-
dings eine Art der Nothwendigkeit; es ist nicht zufällig, aber es muß
nur nicht gerade von den prismatischen Erscheinungen abstrahirt werden,
noch müssen diese für das ursprüngliche Phänomen gehalten werden, in
denen sich die Farben erzeugen.

Der Gegensatz, welcher sich im prismatischen Bild zwischen den
kalten und warmen Farben zeigt, die sich polarisch einander entgegen-
stellen, ist allerdings ein nothwendiger Gegensatz und zur Totalität,
welche die Farben als geschlossenes System in sich bilden, nothwendig.
Allein dieser Gegensatz ist eben deßwegen auch ursprünglicher als das
abgeleitete und zusammengesetzte Phänomen des Farbenspectrums. Die
Polarität der Farben ist nicht als eine fertig vorhandene, sondern als
eine producirte zu denken, die sich überall entwirft, sowie nur Licht
und Nicht-Licht in Conflikt gesetzt werden. Das Farben-Phänomen
ist die aufbrechende Lichtknospe; die Identität, die in dem Lichte ist,
wird mit der Differenz, die durch das Nicht-Licht in sie gesetzt ist,
verbunden zur Totalität. In einer viel höheren Beziehung erscheint
die Nothwendigkeit dieser Polarität und der inneren Totalität der Far-
ben in den Forderungen, die der Gesichtssinn macht, und die für
die Kunst ebenso wichtig als für die Naturforschung interessant sind.

Jetzt also zu dem Verhältniß des Gesichtssinns.

Die beiden Seiten, die wir in der Körperreihe und dem Licht ab-
gesondert herausgeworfen sehen -- reale und ideale --, sind im Orga-
nismus beisammen und eins. Das relativ-Ideale im Licht ist hier
durch das Reale integrirt. Das Wesen des Organismus ist: Licht
mit Schwere verbunden
. Der Organismus ist ganz Form und
ganz Stoff, ganz Thätigkeit und ganz Seyn. Dasselbige Licht, welches
in der allgemeinen Natur die anschauende Thätigkeit des Universums

Die Farben bilden unter ſich ein Syſtem ebenſo wie die Töne.
Sie ſind daher an ſich weit urſprünglicher als ſie im prismatiſchen Bild
erſcheinen, deſſen Bedingungen zufällig und abgeleitet ſind. Daß unter
dieſen Bedingungen keine andern als eben dieſe Farben erſcheinen, iſt
nothwendig, weil es die einzigen ſind, die überhaupt möglich ſind. Die
Totalität oder das Syſtem der Farben hat alſo in ſich betrachtet aller-
dings eine Art der Nothwendigkeit; es iſt nicht zufällig, aber es muß
nur nicht gerade von den prismatiſchen Erſcheinungen abſtrahirt werden,
noch müſſen dieſe für das urſprüngliche Phänomen gehalten werden, in
denen ſich die Farben erzeugen.

Der Gegenſatz, welcher ſich im prismatiſchen Bild zwiſchen den
kalten und warmen Farben zeigt, die ſich polariſch einander entgegen-
ſtellen, iſt allerdings ein nothwendiger Gegenſatz und zur Totalität,
welche die Farben als geſchloſſenes Syſtem in ſich bilden, nothwendig.
Allein dieſer Gegenſatz iſt eben deßwegen auch urſprünglicher als das
abgeleitete und zuſammengeſetzte Phänomen des Farbenſpectrums. Die
Polarität der Farben iſt nicht als eine fertig vorhandene, ſondern als
eine producirte zu denken, die ſich überall entwirft, ſowie nur Licht
und Nicht-Licht in Conflikt geſetzt werden. Das Farben-Phänomen
iſt die aufbrechende Lichtknospe; die Identität, die in dem Lichte iſt,
wird mit der Differenz, die durch das Nicht-Licht in ſie geſetzt iſt,
verbunden zur Totalität. In einer viel höheren Beziehung erſcheint
die Nothwendigkeit dieſer Polarität und der inneren Totalität der Far-
ben in den Forderungen, die der Geſichtsſinn macht, und die für
die Kunſt ebenſo wichtig als für die Naturforſchung intereſſant ſind.

Jetzt alſo zu dem Verhältniß des Geſichtsſinns.

Die beiden Seiten, die wir in der Körperreihe und dem Licht ab-
geſondert herausgeworfen ſehen — reale und ideale —, ſind im Orga-
nismus beiſammen und eins. Das relativ-Ideale im Licht iſt hier
durch das Reale integrirt. Das Weſen des Organismus iſt: Licht
mit Schwere verbunden
. Der Organismus iſt ganz Form und
ganz Stoff, ganz Thätigkeit und ganz Seyn. Daſſelbige Licht, welches
in der allgemeinen Natur die anſchauende Thätigkeit des Univerſums

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0190" n="514"/>
            <p>Die Farben bilden unter &#x017F;ich ein Sy&#x017F;tem eben&#x017F;o wie die Töne.<lb/>
Sie &#x017F;ind daher an &#x017F;ich weit ur&#x017F;prünglicher als &#x017F;ie im prismati&#x017F;chen Bild<lb/>
er&#x017F;cheinen, de&#x017F;&#x017F;en Bedingungen zufällig und abgeleitet &#x017F;ind. Daß unter<lb/>
die&#x017F;en Bedingungen keine andern als eben die&#x017F;e Farben er&#x017F;cheinen, i&#x017F;t<lb/>
nothwendig, weil es die einzigen &#x017F;ind, die überhaupt möglich &#x017F;ind. Die<lb/>
Totalität oder das Sy&#x017F;tem der Farben hat al&#x017F;o in &#x017F;ich betrachtet aller-<lb/>
dings eine Art der Nothwendigkeit; es i&#x017F;t nicht zufällig, aber es muß<lb/>
nur nicht gerade von den prismati&#x017F;chen Er&#x017F;cheinungen ab&#x017F;trahirt werden,<lb/>
noch mü&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;e für das ur&#x017F;prüngliche Phänomen gehalten werden, in<lb/>
denen &#x017F;ich die Farben erzeugen.</p><lb/>
            <p>Der Gegen&#x017F;atz, welcher &#x017F;ich im prismati&#x017F;chen Bild zwi&#x017F;chen den<lb/>
kalten und warmen Farben zeigt, die &#x017F;ich polari&#x017F;ch einander entgegen-<lb/>
&#x017F;tellen, i&#x017F;t allerdings ein nothwendiger Gegen&#x017F;atz und zur Totalität,<lb/>
welche die Farben als ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes Sy&#x017F;tem in &#x017F;ich bilden, nothwendig.<lb/>
Allein die&#x017F;er Gegen&#x017F;atz i&#x017F;t eben deßwegen auch ur&#x017F;prünglicher als das<lb/>
abgeleitete und zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte Phänomen des Farben&#x017F;pectrums. Die<lb/>
Polarität der Farben i&#x017F;t nicht als eine fertig vorhandene, &#x017F;ondern als<lb/>
eine producirte zu denken, die &#x017F;ich überall entwirft, &#x017F;owie nur Licht<lb/>
und Nicht-Licht in Conflikt ge&#x017F;etzt werden. Das Farben-Phänomen<lb/>
i&#x017F;t die aufbrechende Lichtknospe; die Identität, die in dem Lichte i&#x017F;t,<lb/>
wird mit der Differenz, die durch das Nicht-Licht in &#x017F;ie ge&#x017F;etzt i&#x017F;t,<lb/>
verbunden zur Totalität. In einer viel höheren Beziehung er&#x017F;cheint<lb/>
die Nothwendigkeit die&#x017F;er Polarität und der inneren Totalität der Far-<lb/>
ben in den Forderungen, die der Ge&#x017F;ichts&#x017F;inn macht, und die für<lb/>
die Kun&#x017F;t eben&#x017F;o wichtig als für die Naturfor&#x017F;chung intere&#x017F;&#x017F;ant &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>Jetzt al&#x017F;o zu dem Verhältniß des <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ichts&#x017F;inns</hi>.</p><lb/>
            <p>Die beiden Seiten, die wir in der Körperreihe und dem Licht ab-<lb/>
ge&#x017F;ondert herausgeworfen &#x017F;ehen &#x2014; reale und ideale &#x2014;, &#x017F;ind im Orga-<lb/>
nismus bei&#x017F;ammen und eins. Das relativ-Ideale im Licht i&#x017F;t hier<lb/>
durch das Reale integrirt. Das We&#x017F;en des Organismus i&#x017F;t: <hi rendition="#g">Licht<lb/>
mit Schwere verbunden</hi>. Der Organismus i&#x017F;t ganz Form und<lb/>
ganz Stoff, ganz Thätigkeit und ganz Seyn. Da&#x017F;&#x017F;elbige Licht, welches<lb/>
in der allgemeinen Natur die an&#x017F;chauende Thätigkeit des Univer&#x017F;ums<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[514/0190] Die Farben bilden unter ſich ein Syſtem ebenſo wie die Töne. Sie ſind daher an ſich weit urſprünglicher als ſie im prismatiſchen Bild erſcheinen, deſſen Bedingungen zufällig und abgeleitet ſind. Daß unter dieſen Bedingungen keine andern als eben dieſe Farben erſcheinen, iſt nothwendig, weil es die einzigen ſind, die überhaupt möglich ſind. Die Totalität oder das Syſtem der Farben hat alſo in ſich betrachtet aller- dings eine Art der Nothwendigkeit; es iſt nicht zufällig, aber es muß nur nicht gerade von den prismatiſchen Erſcheinungen abſtrahirt werden, noch müſſen dieſe für das urſprüngliche Phänomen gehalten werden, in denen ſich die Farben erzeugen. Der Gegenſatz, welcher ſich im prismatiſchen Bild zwiſchen den kalten und warmen Farben zeigt, die ſich polariſch einander entgegen- ſtellen, iſt allerdings ein nothwendiger Gegenſatz und zur Totalität, welche die Farben als geſchloſſenes Syſtem in ſich bilden, nothwendig. Allein dieſer Gegenſatz iſt eben deßwegen auch urſprünglicher als das abgeleitete und zuſammengeſetzte Phänomen des Farbenſpectrums. Die Polarität der Farben iſt nicht als eine fertig vorhandene, ſondern als eine producirte zu denken, die ſich überall entwirft, ſowie nur Licht und Nicht-Licht in Conflikt geſetzt werden. Das Farben-Phänomen iſt die aufbrechende Lichtknospe; die Identität, die in dem Lichte iſt, wird mit der Differenz, die durch das Nicht-Licht in ſie geſetzt iſt, verbunden zur Totalität. In einer viel höheren Beziehung erſcheint die Nothwendigkeit dieſer Polarität und der inneren Totalität der Far- ben in den Forderungen, die der Geſichtsſinn macht, und die für die Kunſt ebenſo wichtig als für die Naturforſchung intereſſant ſind. Jetzt alſo zu dem Verhältniß des Geſichtsſinns. Die beiden Seiten, die wir in der Körperreihe und dem Licht ab- geſondert herausgeworfen ſehen — reale und ideale —, ſind im Orga- nismus beiſammen und eins. Das relativ-Ideale im Licht iſt hier durch das Reale integrirt. Das Weſen des Organismus iſt: Licht mit Schwere verbunden. Der Organismus iſt ganz Form und ganz Stoff, ganz Thätigkeit und ganz Seyn. Daſſelbige Licht, welches in der allgemeinen Natur die anſchauende Thätigkeit des Univerſums

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/190
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/190>, abgerufen am 02.05.2024.