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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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von Rhythmus und Modulation Melodie sey, so bedarf er keines Be-
weises. -- Wir wollen, um das Verhältniß der drei Einheiten inner-
halb der Musik anschaulich zu machen, sie vielmehr nach verschiedenen
Maßstäben noch weiter zu bestimmen suchen.

Man kann also sagen: der Rhythmus = erster Dimension, Mo-
dulation = zweiter, Melodie = dritter. Durch den ersten ist die
Musik für die Reflexion und das Selbstbewußtseyn, durch die zweite
für die Empfindung und das Urtheil, durch die dritte für Anschauung
und Einbildungskraft bestimmt. Wir können auch zum voraus ahnden,
daß wenn die drei Grundformen oder Kategorien der Kunst Musik,
Malerei und Plastik sind, der Rhythmus das Musikalische in der Musik,
die Modulation das Malerische (welches ja nicht mit dem Malenden
verwechselt werden darf, welches nur ein ganz verdorbener und gesun-
kener Geschmack, wie der heutige z. B., der sich an dem Blöcken der
Schafe in Haydns Schöpfungsmusik ergötzt, in der Musik gut finden
kann), die Melodie das Plastische. Es erhellt nun aber aus dem,
was in dem vorhergehenden Satz bewiesen worden ist, von selbst, daß
Rhythmus in der angegebenen Bedeutung (nämlich als die entgegen-
gesetzte Einheit begreifend) und Melodie selbst wieder eins und dassel-
bige sind.

Zusatz. Rhythmus in der Absolutheit gedacht ist
die ganze Musik
, oder umgekehrt: die ganze Musik ist etc. -- Denn
dieser begreift alsdann die andere Einheit unmittelbar in sich und ist
durch sich selbst Melodie, d. h. das Ganze.

Rhythmus ist überhaupt die herrschende Potenz in der Musik.
Inwiefern nun das Ganze der Musik, demnach Rhythmus, Modula-
tion und Melodie, gemeinschaftlich wieder dem Rhythmus untergeordnet,
insofern ist rhythmische Musik. Eine solche war die Musik der Alten.
Es muß jedem auffallen, wie genau in dieser Construktion alle Ver-
hältnisse eintreffen, und daß auch hier wieder der Rhythmus als Ein-
bildung des Unendlichen ins Endliche sich auf die Seite des Antiken
stellt, indeß die entgegengesetzte Einheit, wie wir finden werden, auch
hier das Herrschende des Modernen ist.

von Rhythmus und Modulation Melodie ſey, ſo bedarf er keines Be-
weiſes. — Wir wollen, um das Verhältniß der drei Einheiten inner-
halb der Muſik anſchaulich zu machen, ſie vielmehr nach verſchiedenen
Maßſtäben noch weiter zu beſtimmen ſuchen.

Man kann alſo ſagen: der Rhythmus = erſter Dimenſion, Mo-
dulation = zweiter, Melodie = dritter. Durch den erſten iſt die
Muſik für die Reflexion und das Selbſtbewußtſeyn, durch die zweite
für die Empfindung und das Urtheil, durch die dritte für Anſchauung
und Einbildungskraft beſtimmt. Wir können auch zum voraus ahnden,
daß wenn die drei Grundformen oder Kategorien der Kunſt Muſik,
Malerei und Plaſtik ſind, der Rhythmus das Muſikaliſche in der Muſik,
die Modulation das Maleriſche (welches ja nicht mit dem Malenden
verwechſelt werden darf, welches nur ein ganz verdorbener und geſun-
kener Geſchmack, wie der heutige z. B., der ſich an dem Blöcken der
Schafe in Haydns Schöpfungsmuſik ergötzt, in der Muſik gut finden
kann), die Melodie das Plaſtiſche. Es erhellt nun aber aus dem,
was in dem vorhergehenden Satz bewieſen worden iſt, von ſelbſt, daß
Rhythmus in der angegebenen Bedeutung (nämlich als die entgegen-
geſetzte Einheit begreifend) und Melodie ſelbſt wieder eins und daſſel-
bige ſind.

Zuſatz. Rhythmus in der Abſolutheit gedacht iſt
die ganze Muſik
, oder umgekehrt: die ganze Muſik iſt ꝛc. — Denn
dieſer begreift alsdann die andere Einheit unmittelbar in ſich und iſt
durch ſich ſelbſt Melodie, d. h. das Ganze.

Rhythmus iſt überhaupt die herrſchende Potenz in der Muſik.
Inwiefern nun das Ganze der Muſik, demnach Rhythmus, Modula-
tion und Melodie, gemeinſchaftlich wieder dem Rhythmus untergeordnet,
inſofern iſt rhythmiſche Muſik. Eine ſolche war die Muſik der Alten.
Es muß jedem auffallen, wie genau in dieſer Conſtruktion alle Ver-
hältniſſe eintreffen, und daß auch hier wieder der Rhythmus als Ein-
bildung des Unendlichen ins Endliche ſich auf die Seite des Antiken
ſtellt, indeß die entgegengeſetzte Einheit, wie wir finden werden, auch
hier das Herrſchende des Modernen iſt.

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[496/0172] von Rhythmus und Modulation Melodie ſey, ſo bedarf er keines Be- weiſes. — Wir wollen, um das Verhältniß der drei Einheiten inner- halb der Muſik anſchaulich zu machen, ſie vielmehr nach verſchiedenen Maßſtäben noch weiter zu beſtimmen ſuchen. Man kann alſo ſagen: der Rhythmus = erſter Dimenſion, Mo- dulation = zweiter, Melodie = dritter. Durch den erſten iſt die Muſik für die Reflexion und das Selbſtbewußtſeyn, durch die zweite für die Empfindung und das Urtheil, durch die dritte für Anſchauung und Einbildungskraft beſtimmt. Wir können auch zum voraus ahnden, daß wenn die drei Grundformen oder Kategorien der Kunſt Muſik, Malerei und Plaſtik ſind, der Rhythmus das Muſikaliſche in der Muſik, die Modulation das Maleriſche (welches ja nicht mit dem Malenden verwechſelt werden darf, welches nur ein ganz verdorbener und geſun- kener Geſchmack, wie der heutige z. B., der ſich an dem Blöcken der Schafe in Haydns Schöpfungsmuſik ergötzt, in der Muſik gut finden kann), die Melodie das Plaſtiſche. Es erhellt nun aber aus dem, was in dem vorhergehenden Satz bewieſen worden iſt, von ſelbſt, daß Rhythmus in der angegebenen Bedeutung (nämlich als die entgegen- geſetzte Einheit begreifend) und Melodie ſelbſt wieder eins und daſſel- bige ſind. Zuſatz. Rhythmus in der Abſolutheit gedacht iſt die ganze Muſik, oder umgekehrt: die ganze Muſik iſt ꝛc. — Denn dieſer begreift alsdann die andere Einheit unmittelbar in ſich und iſt durch ſich ſelbſt Melodie, d. h. das Ganze. Rhythmus iſt überhaupt die herrſchende Potenz in der Muſik. Inwiefern nun das Ganze der Muſik, demnach Rhythmus, Modula- tion und Melodie, gemeinſchaftlich wieder dem Rhythmus untergeordnet, inſofern iſt rhythmiſche Muſik. Eine ſolche war die Muſik der Alten. Es muß jedem auffallen, wie genau in dieſer Conſtruktion alle Ver- hältniſſe eintreffen, und daß auch hier wieder der Rhythmus als Ein- bildung des Unendlichen ins Endliche ſich auf die Seite des Antiken ſtellt, indeß die entgegengeſetzte Einheit, wie wir finden werden, auch hier das Herrſchende des Modernen iſt.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/172>, abgerufen am 02.05.2024.