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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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kommt, daß sie immer in gleicher Zeit wiederkehren und eine Periode
zusammen bilden, so ist hier schon etwas von Rhythmus, obgleich nur
ein sehr entfernter Anfang -- wir werden unwiderstehlich zur Aufmerk-
samkeit fortgezogen. In alles, was an sich eine reine Identität
der Beschäftigung ist, sucht der Mensch daher, von Natur getrieben,
Vielheit oder Mannichfaltigkeit durch Rhythmus zu legen. Wir halten
es in allem an sich Bedeutungslosen, z. B. im Zählen, nicht lange
bei der Gleichförmigkeit aus, wir machen Perioden. Die meisten mecha-
nischen Arbeiter erleichtern sich ihre Arbeiten damit; die innere Lust
des doch nicht bewußten, sondern bewußtlosen Zählens läßt sie die
Arbeit vergessen; der einzelne fällt mit einer Art von Lust an seiner
Stelle ein, weil es ihn selbst schmerzen würde, den Rhythmus unter-
brochen zu sehen.

Wir haben bis jetzt nur die unvollkommenste Art des Rhythmus
bezeichnet, wo die ganze Einheit in der Mannichfaltigkeit nur auf der
Gleichheit der Zwischenzeiten in der Succession beruht. Bild davon:
gleich große, gleich entfernte Punkte. Unterster Grad des Rhythmus.

Eine höhere Art der Einheit in der Mannichfaltigkeit ist zunächst
dadurch erreichbar, daß die einzelnen Töne oder Schläge nicht gleich
stark, sondern abwechselnd nach einer gewissen Regel, starke und schwache
angegeben werden. Hiermit tritt als nothwendiges Element in den
Rhythmus der Takt ein, der auch überall gesucht wird, wo ein Iden-
tisches verschieden, mannichfaltig werden soll, und der nun wieder einer
Menge von Veränderungen fähig ist, wodurch in die Einförmigkeit der
Aufeinanderfolge eine noch größere Abwechslung kommt.

Allgemein nun angesehen ist Rhythmus überhaupt Verwandlung
der an sich bedeutungslosen Succession in eine bedeutende. Die Suc-
cession rein als solche hat den Charakter der Zufälligkeit. Verwandlung
des Zufälligen der Succession in Nothwendigkeit = Rhythmus, wodurch
das Ganze nicht mehr der Zeit unterworfen ist, sondern sie in sich
selbst
hat. Artikulation der Musik ist Bildung in eine Reihe von
Gliedern, so daß mehrere Töne zusammen wieder ein Glied ausmachen,
welches nicht zufällig oder willkürlich von andern unterschieden ist.

kommt, daß ſie immer in gleicher Zeit wiederkehren und eine Periode
zuſammen bilden, ſo iſt hier ſchon etwas von Rhythmus, obgleich nur
ein ſehr entfernter Anfang — wir werden unwiderſtehlich zur Aufmerk-
ſamkeit fortgezogen. In alles, was an ſich eine reine Identität
der Beſchäftigung iſt, ſucht der Menſch daher, von Natur getrieben,
Vielheit oder Mannichfaltigkeit durch Rhythmus zu legen. Wir halten
es in allem an ſich Bedeutungsloſen, z. B. im Zählen, nicht lange
bei der Gleichförmigkeit aus, wir machen Perioden. Die meiſten mecha-
niſchen Arbeiter erleichtern ſich ihre Arbeiten damit; die innere Luſt
des doch nicht bewußten, ſondern bewußtloſen Zählens läßt ſie die
Arbeit vergeſſen; der einzelne fällt mit einer Art von Luſt an ſeiner
Stelle ein, weil es ihn ſelbſt ſchmerzen würde, den Rhythmus unter-
brochen zu ſehen.

Wir haben bis jetzt nur die unvollkommenſte Art des Rhythmus
bezeichnet, wo die ganze Einheit in der Mannichfaltigkeit nur auf der
Gleichheit der Zwiſchenzeiten in der Succeſſion beruht. Bild davon:
gleich große, gleich entfernte Punkte. Unterſter Grad des Rhythmus.

Eine höhere Art der Einheit in der Mannichfaltigkeit iſt zunächſt
dadurch erreichbar, daß die einzelnen Töne oder Schläge nicht gleich
ſtark, ſondern abwechſelnd nach einer gewiſſen Regel, ſtarke und ſchwache
angegeben werden. Hiermit tritt als nothwendiges Element in den
Rhythmus der Takt ein, der auch überall geſucht wird, wo ein Iden-
tiſches verſchieden, mannichfaltig werden ſoll, und der nun wieder einer
Menge von Veränderungen fähig iſt, wodurch in die Einförmigkeit der
Aufeinanderfolge eine noch größere Abwechslung kommt.

Allgemein nun angeſehen iſt Rhythmus überhaupt Verwandlung
der an ſich bedeutungsloſen Succeſſion in eine bedeutende. Die Suc-
ceſſion rein als ſolche hat den Charakter der Zufälligkeit. Verwandlung
des Zufälligen der Succeſſion in Nothwendigkeit = Rhythmus, wodurch
das Ganze nicht mehr der Zeit unterworfen iſt, ſondern ſie in ſich
ſelbſt
hat. Artikulation der Muſik iſt Bildung in eine Reihe von
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[493/0169] kommt, daß ſie immer in gleicher Zeit wiederkehren und eine Periode zuſammen bilden, ſo iſt hier ſchon etwas von Rhythmus, obgleich nur ein ſehr entfernter Anfang — wir werden unwiderſtehlich zur Aufmerk- ſamkeit fortgezogen. In alles, was an ſich eine reine Identität der Beſchäftigung iſt, ſucht der Menſch daher, von Natur getrieben, Vielheit oder Mannichfaltigkeit durch Rhythmus zu legen. Wir halten es in allem an ſich Bedeutungsloſen, z. B. im Zählen, nicht lange bei der Gleichförmigkeit aus, wir machen Perioden. Die meiſten mecha- niſchen Arbeiter erleichtern ſich ihre Arbeiten damit; die innere Luſt des doch nicht bewußten, ſondern bewußtloſen Zählens läßt ſie die Arbeit vergeſſen; der einzelne fällt mit einer Art von Luſt an ſeiner Stelle ein, weil es ihn ſelbſt ſchmerzen würde, den Rhythmus unter- brochen zu ſehen. Wir haben bis jetzt nur die unvollkommenſte Art des Rhythmus bezeichnet, wo die ganze Einheit in der Mannichfaltigkeit nur auf der Gleichheit der Zwiſchenzeiten in der Succeſſion beruht. Bild davon: gleich große, gleich entfernte Punkte. Unterſter Grad des Rhythmus. Eine höhere Art der Einheit in der Mannichfaltigkeit iſt zunächſt dadurch erreichbar, daß die einzelnen Töne oder Schläge nicht gleich ſtark, ſondern abwechſelnd nach einer gewiſſen Regel, ſtarke und ſchwache angegeben werden. Hiermit tritt als nothwendiges Element in den Rhythmus der Takt ein, der auch überall geſucht wird, wo ein Iden- tiſches verſchieden, mannichfaltig werden ſoll, und der nun wieder einer Menge von Veränderungen fähig iſt, wodurch in die Einförmigkeit der Aufeinanderfolge eine noch größere Abwechslung kommt. Allgemein nun angeſehen iſt Rhythmus überhaupt Verwandlung der an ſich bedeutungsloſen Succeſſion in eine bedeutende. Die Suc- ceſſion rein als ſolche hat den Charakter der Zufälligkeit. Verwandlung des Zufälligen der Succeſſion in Nothwendigkeit = Rhythmus, wodurch das Ganze nicht mehr der Zeit unterworfen iſt, ſondern ſie in ſich ſelbſt hat. Artikulation der Muſik iſt Bildung in eine Reihe von Gliedern, ſo daß mehrere Töne zuſammen wieder ein Glied ausmachen, welches nicht zufällig oder willkürlich von andern unterſchieden iſt.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/169>, abgerufen am 02.05.2024.