Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

wurde, verstanden, und in der Folge ward
manchmal über diesen Vorfall theils lachend,
theils ernsthaft gesprochen. Jch habe eine
längst gestorbene genialische Frau gekannt,
die das Unglück hatte, einigemal auf viele
Monate wahnsinnig zu werden; diese hat
mich mehrmals versichert, der schrecklichste
Umstand bey ihrer Krankheit sey der gewe-
sen, daß sie alles gehört und verstanden habe,
was um sie her vorging und geredet wurde,
zum Theil auch über sie selbst, ohne im Stan-
de zu seyn das Nöthige darauf antworten
zu können, vielmehr hätte sie aus dem Be-
nehmen der Umstehenden ersehen, daß ihre
Erwiederungen ihnen neue Beweise ihres
Wahnsinnes gegeben hätten. Leute die sie
bewacht hatten, bezeugten mir die Wahr-
heit der von ihr angeführten Fälle und Re-
den. Möchten doch philosophische Aerzte
das Räthsel dieser Art von Doppelseelheit
zu lösen versuchen! Sollte ein solcher vor-
übergehender Wahnsinn nicht ein ohne
Magnetiseur entstandner Somnambulismus
von langer Dauer seyn? Eine geistische
Selbstentzündung? --

Nach der Wiedergenesung bezog ich mein
neues Quartier, fing an juristische Collegia

wurde, verſtanden, und in der Folge ward
manchmal uͤber dieſen Vorfall theils lachend,
theils ernſthaft geſprochen. Jch habe eine
laͤngſt geſtorbene genialiſche Frau gekannt,
die das Ungluͤck hatte, einigemal auf viele
Monate wahnſinnig zu werden; dieſe hat
mich mehrmals verſichert, der ſchrecklichſte
Umſtand bey ihrer Krankheit ſey der gewe-
ſen, daß ſie alles gehoͤrt und verſtanden habe,
was um ſie her vorging und geredet wurde,
zum Theil auch uͤber ſie ſelbſt, ohne im Stan-
de zu ſeyn das Noͤthige darauf antworten
zu koͤnnen, vielmehr haͤtte ſie aus dem Be-
nehmen der Umſtehenden erſehen, daß ihre
Erwiederungen ihnen neue Beweiſe ihres
Wahnſinnes gegeben haͤtten. Leute die ſie
bewacht hatten, bezeugten mir die Wahr-
heit der von ihr angefuͤhrten Faͤlle und Re-
den. Moͤchten doch philoſophiſche Aerzte
das Raͤthſel dieſer Art von Doppelſeelheit
zu loͤſen verſuchen! Sollte ein ſolcher vor-
uͤbergehender Wahnſinn nicht ein ohne
Magnetiſeur entſtandner Somnambulismus
von langer Dauer ſeyn? Eine geiſtiſche
Selbſtentzuͤndung? —

Nach der Wiedergeneſung bezog ich mein
neues Quartier, fing an juriſtiſche Collegia

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="57"/>
wurde, ver&#x017F;tanden, und in der Folge ward<lb/>
manchmal u&#x0364;ber die&#x017F;en Vorfall theils lachend,<lb/>
theils ern&#x017F;thaft ge&#x017F;prochen. Jch habe eine<lb/>
la&#x0364;ng&#x017F;t ge&#x017F;torbene geniali&#x017F;che Frau gekannt,<lb/>
die das Unglu&#x0364;ck hatte, einigemal auf viele<lb/>
Monate wahn&#x017F;innig zu werden; die&#x017F;e hat<lb/>
mich mehrmals ver&#x017F;ichert, der &#x017F;chrecklich&#x017F;te<lb/>
Um&#x017F;tand bey ihrer Krankheit &#x017F;ey der gewe-<lb/>
&#x017F;en, daß &#x017F;ie alles geho&#x0364;rt und ver&#x017F;tanden habe,<lb/>
was um &#x017F;ie her vorging und geredet wurde,<lb/>
zum Theil auch u&#x0364;ber &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t, ohne im Stan-<lb/>
de zu &#x017F;eyn das No&#x0364;thige darauf antworten<lb/>
zu ko&#x0364;nnen, vielmehr ha&#x0364;tte &#x017F;ie aus dem Be-<lb/>
nehmen der Um&#x017F;tehenden er&#x017F;ehen, daß ihre<lb/>
Erwiederungen ihnen neue Bewei&#x017F;e ihres<lb/>
Wahn&#x017F;innes gegeben ha&#x0364;tten. Leute die &#x017F;ie<lb/>
bewacht hatten, bezeugten mir die Wahr-<lb/>
heit der von ihr angefu&#x0364;hrten Fa&#x0364;lle und Re-<lb/>
den. Mo&#x0364;chten doch philo&#x017F;ophi&#x017F;che Aerzte<lb/>
das Ra&#x0364;th&#x017F;el die&#x017F;er Art von Doppel&#x017F;eelheit<lb/>
zu lo&#x0364;&#x017F;en ver&#x017F;uchen! Sollte ein &#x017F;olcher vor-<lb/>
u&#x0364;bergehender Wahn&#x017F;inn nicht ein ohne<lb/>
Magneti&#x017F;eur ent&#x017F;tandner Somnambulismus<lb/>
von langer Dauer &#x017F;eyn? Eine gei&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Selb&#x017F;tentzu&#x0364;ndung? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Nach der Wiedergene&#x017F;ung bezog ich mein<lb/>
neues Quartier, fing an juri&#x017F;ti&#x017F;che Collegia<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0074] wurde, verſtanden, und in der Folge ward manchmal uͤber dieſen Vorfall theils lachend, theils ernſthaft geſprochen. Jch habe eine laͤngſt geſtorbene genialiſche Frau gekannt, die das Ungluͤck hatte, einigemal auf viele Monate wahnſinnig zu werden; dieſe hat mich mehrmals verſichert, der ſchrecklichſte Umſtand bey ihrer Krankheit ſey der gewe- ſen, daß ſie alles gehoͤrt und verſtanden habe, was um ſie her vorging und geredet wurde, zum Theil auch uͤber ſie ſelbſt, ohne im Stan- de zu ſeyn das Noͤthige darauf antworten zu koͤnnen, vielmehr haͤtte ſie aus dem Be- nehmen der Umſtehenden erſehen, daß ihre Erwiederungen ihnen neue Beweiſe ihres Wahnſinnes gegeben haͤtten. Leute die ſie bewacht hatten, bezeugten mir die Wahr- heit der von ihr angefuͤhrten Faͤlle und Re- den. Moͤchten doch philoſophiſche Aerzte das Raͤthſel dieſer Art von Doppelſeelheit zu loͤſen verſuchen! Sollte ein ſolcher vor- uͤbergehender Wahnſinn nicht ein ohne Magnetiſeur entſtandner Somnambulismus von langer Dauer ſeyn? Eine geiſtiſche Selbſtentzuͤndung? — Nach der Wiedergeneſung bezog ich mein neues Quartier, fing an juriſtiſche Collegia

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/74
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/74>, abgerufen am 04.05.2024.