Eines Tages redete mich ein Commilito, den ich bisher mit keinem reden gesehen, und der sich durch den damals sehr ungewöhn- lichen Staat einer rothen Weste mit Silber auszeichnete, freundlich an und bat mich dringend ihn zu besuchen. Jch versprach es, stellte mich aber erst nach der dritten Ein- ladungswiederholung ein, fand in der großen wohl aufgereimten Stube den Tisch mit Wein und Kuchen besetzt, ließ mich aber durch kein Nöthigen zum Genießen bewegen, sondern erwiederte endlich drauf: "Mein lieber Herr, (seinen Namen wußt ich noch nicht) wenn wir Freunde werden und blei- ben wollen, so müssen solche Schmausereyen wegfallen, denn da ich sie nicht erwiedern kann, kann ich sie auch nicht annehmen." Einen andern hätte vielleicht dieser nicht fein geflochtene Korb bewogen, mich fahren zu lassen, ihn aber nahm er, wegen der Sym- pathie mit seinen vielen eigenen Wunder- lichkeiten so für mich ein, daß es in der Folge unter uns nur dann und wann bis zu Caffe kam, und wir, bis er starb, Freun- de blieben. Einen eigensinnigern und zu- gleich gutmüthigern, in Worten kargern und absprechendern Menschen, der seine Neigung
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Eines Tages redete mich ein Commilito, den ich bisher mit keinem reden geſehen, und der ſich durch den damals ſehr ungewoͤhn- lichen Staat einer rothen Weſte mit Silber auszeichnete, freundlich an und bat mich dringend ihn zu beſuchen. Jch verſprach es, ſtellte mich aber erſt nach der dritten Ein- ladungswiederholung ein, fand in der großen wohl aufgereimten Stube den Tiſch mit Wein und Kuchen beſetzt, ließ mich aber durch kein Noͤthigen zum Genießen bewegen, ſondern erwiederte endlich drauf: „Mein lieber Herr, (ſeinen Namen wußt ich noch nicht) wenn wir Freunde werden und blei- ben wollen, ſo muͤſſen ſolche Schmauſereyen wegfallen, denn da ich ſie nicht erwiedern kann, kann ich ſie auch nicht annehmen.“ Einen andern haͤtte vielleicht dieſer nicht fein geflochtene Korb bewogen, mich fahren zu laſſen, ihn aber nahm er, wegen der Sym- pathie mit ſeinen vielen eigenen Wunder- lichkeiten ſo fuͤr mich ein, daß es in der Folge unter uns nur dann und wann bis zu Caffe kam, und wir, bis er ſtarb, Freun- de blieben. Einen eigenſinnigern und zu- gleich gutmuͤthigern, in Worten kargern und abſprechendern Menſchen, der ſeine Neigung
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Eines Tages redete mich ein Commilito, den
ich bisher mit keinem reden geſehen, und
der ſich durch den damals ſehr ungewoͤhn-
lichen Staat einer rothen Weſte mit Silber
auszeichnete, freundlich an und bat mich
dringend ihn zu beſuchen. Jch verſprach es,
ſtellte mich aber erſt nach der dritten Ein-
ladungswiederholung ein, fand in der großen
wohl aufgereimten Stube den Tiſch mit
Wein und Kuchen beſetzt, ließ mich aber
durch kein Noͤthigen zum Genießen bewegen,
ſondern erwiederte endlich drauf: „Mein
lieber Herr, (ſeinen Namen wußt ich noch
nicht) wenn wir Freunde werden und blei-
ben wollen, ſo muͤſſen ſolche Schmauſereyen
wegfallen, denn da ich ſie nicht erwiedern
kann, kann ich ſie auch nicht annehmen.“
Einen andern haͤtte vielleicht dieſer nicht fein
geflochtene Korb bewogen, mich fahren zu
laſſen, ihn aber nahm er, wegen der Sym-
pathie mit ſeinen vielen eigenen Wunder-
lichkeiten ſo fuͤr mich ein, daß es in der
Folge unter uns nur dann und wann bis
zu Caffe kam, und wir, bis er ſtarb, Freun-
de blieben. Einen eigenſinnigern und zu-
gleich gutmuͤthigern, in Worten kargern und
abſprechendern Menſchen, der ſeine Neigung
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/66>, abgerufen am 24.11.2024.
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