Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite
ter ihm Arbeitenden eine besondere Anhäng-
lichkeit an ihn. Sollte in der Verstandeskraft
eines Obern, mit der er Jdeen angiebt, und
in der aus ästhetischen Gefühlen entspringen-
den Nachsicht gegen die mit anhaltendem Fleiß
an den Untern allein zu erreichende Ausfüh-
rung dieser Jdeen der Leim liegen, der den
Vogel auf dem Zweige zurück hält, den er in
Wind- und Wetter-Zeiten sonst verlassen wür-
de? Ob solches nachsehende Betragen zur
Regel gemacht, oder nur als Ausnahme ge-
duldet werden soll; mag ich nicht entscheiden,
wünschen muß ich aber doch, daß der Himmel
"stolzes Wesen; man soll vielmehr nur alles ver-
"meiden, was unwürdig, was gemein ist; man soll
"sich nie vergessen, immer auf sich und andre acht
"haben, sich nichts vergeben, andern nicht zu viel,
"nicht zu wenig thun, durch nichts gerührt schei-
"nen, durch nichts bewegt werden, sich niemals
"übereilen, sich in jedem Moment zu fassen wissen,
"und so ein äußres Gleichgewicht zu erhalten verste-
"hen; innerlich mag es stürmen wie es will. Der
"edle Mensch kann sich in Momenten vernachlässi-
"gen, der Vornehme nie. Dieser ist wie ein wohl-
"gekleideter Mann, er wird sich nirgends anlehnen,
"und jedermann wird sich hüten, an ihn zu strei-
"chen. Er unterscheidet sich vor andern, und doch
ter ihm Arbeitenden eine beſondere Anhaͤng-
lichkeit an ihn. Sollte in der Verſtandeskraft
eines Obern, mit der er Jdeen angiebt, und
in der aus aͤſthetiſchen Gefuͤhlen entſpringen-
den Nachſicht gegen die mit anhaltendem Fleiß
an den Untern allein zu erreichende Ausfuͤh-
rung dieſer Jdeen der Leim liegen, der den
Vogel auf dem Zweige zuruͤck haͤlt, den er in
Wind- und Wetter-Zeiten ſonſt verlaſſen wuͤr-
de? Ob ſolches nachſehende Betragen zur
Regel gemacht, oder nur als Ausnahme ge-
duldet werden ſoll; mag ich nicht entſcheiden,
wuͤnſchen muß ich aber doch, daß der Himmel
„ſtolzes Weſen; man ſoll vielmehr nur alles ver-
„meiden, was unwuͤrdig, was gemein iſt; man ſoll
„ſich nie vergeſſen, immer auf ſich und andre acht
„haben, ſich nichts vergeben, andern nicht zu viel,
„nicht zu wenig thun, durch nichts geruͤhrt ſchei-
„nen, durch nichts bewegt werden, ſich niemals
„uͤbereilen, ſich in jedem Moment zu faſſen wiſſen,
„und ſo ein aͤußres Gleichgewicht zu erhalten verſte-
„hen; innerlich mag es ſtuͤrmen wie es will. Der
„edle Menſch kann ſich in Momenten vernachlaͤſſi-
„gen, der Vornehme nie. Dieſer iſt wie ein wohl-
„gekleideter Mann, er wird ſich nirgends anlehnen,
„und jedermann wird ſich huͤten, an ihn zu ſtrei-
„chen. Er unterſcheidet ſich vor andern, und doch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <list>
          <item><pb facs="#f0572" n="11"/>
ter ihm Arbeitenden eine be&#x017F;ondere Anha&#x0364;ng-<lb/>
lichkeit an ihn. Sollte in der Ver&#x017F;tandeskraft<lb/>
eines Obern, mit der er Jdeen angiebt, und<lb/>
in der aus a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Gefu&#x0364;hlen ent&#x017F;pringen-<lb/>
den Nach&#x017F;icht gegen die mit anhaltendem Fleiß<lb/>
an den Untern allein zu erreichende Ausfu&#x0364;h-<lb/>
rung die&#x017F;er Jdeen der Leim liegen, der den<lb/>
Vogel auf dem Zweige zuru&#x0364;ck ha&#x0364;lt, den er in<lb/>
Wind- und Wetter-Zeiten &#x017F;on&#x017F;t verla&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;r-<lb/>
de? Ob &#x017F;olches nach&#x017F;ehende Betragen zur<lb/>
Regel gemacht, oder nur als Ausnahme ge-<lb/>
duldet werden &#x017F;oll; mag ich nicht ent&#x017F;cheiden,<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen muß ich aber doch, daß der Himmel<lb/><note next="#seg2pn_46_3" xml:id="seg2pn_46_2" prev="#seg2pn_46_1" place="foot" n="*)"><cit><quote>&#x201E;&#x017F;tolzes We&#x017F;en; man &#x017F;oll vielmehr nur alles ver-<lb/>
&#x201E;meiden, was unwu&#x0364;rdig, was gemein i&#x017F;t; man &#x017F;oll<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich nie verge&#x017F;&#x017F;en, immer auf &#x017F;ich und andre acht<lb/>
&#x201E;haben, &#x017F;ich nichts vergeben, andern nicht zu viel,<lb/>
&#x201E;nicht zu wenig thun, durch nichts geru&#x0364;hrt &#x017F;chei-<lb/>
&#x201E;nen, durch nichts bewegt werden, &#x017F;ich niemals<lb/>
&#x201E;u&#x0364;bereilen, &#x017F;ich in jedem Moment zu fa&#x017F;&#x017F;en wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x201E;und &#x017F;o ein a&#x0364;ußres Gleichgewicht zu erhalten ver&#x017F;te-<lb/>
&#x201E;hen; innerlich mag es &#x017F;tu&#x0364;rmen wie es will. Der<lb/>
&#x201E;edle Men&#x017F;ch kann &#x017F;ich in Momenten vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
&#x201E;gen, der Vornehme nie. Die&#x017F;er i&#x017F;t wie ein wohl-<lb/>
&#x201E;gekleideter Mann, er wird &#x017F;ich nirgends anlehnen,<lb/>
&#x201E;und jedermann wird &#x017F;ich hu&#x0364;ten, an ihn zu &#x017F;trei-<lb/>
&#x201E;chen. Er unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich vor andern, und doch</quote></cit></note><lb/></item>
        </list>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0572] ter ihm Arbeitenden eine beſondere Anhaͤng- lichkeit an ihn. Sollte in der Verſtandeskraft eines Obern, mit der er Jdeen angiebt, und in der aus aͤſthetiſchen Gefuͤhlen entſpringen- den Nachſicht gegen die mit anhaltendem Fleiß an den Untern allein zu erreichende Ausfuͤh- rung dieſer Jdeen der Leim liegen, der den Vogel auf dem Zweige zuruͤck haͤlt, den er in Wind- und Wetter-Zeiten ſonſt verlaſſen wuͤr- de? Ob ſolches nachſehende Betragen zur Regel gemacht, oder nur als Ausnahme ge- duldet werden ſoll; mag ich nicht entſcheiden, wuͤnſchen muß ich aber doch, daß der Himmel *) *) „ſtolzes Weſen; man ſoll vielmehr nur alles ver- „meiden, was unwuͤrdig, was gemein iſt; man ſoll „ſich nie vergeſſen, immer auf ſich und andre acht „haben, ſich nichts vergeben, andern nicht zu viel, „nicht zu wenig thun, durch nichts geruͤhrt ſchei- „nen, durch nichts bewegt werden, ſich niemals „uͤbereilen, ſich in jedem Moment zu faſſen wiſſen, „und ſo ein aͤußres Gleichgewicht zu erhalten verſte- „hen; innerlich mag es ſtuͤrmen wie es will. Der „edle Menſch kann ſich in Momenten vernachlaͤſſi- „gen, der Vornehme nie. Dieſer iſt wie ein wohl- „gekleideter Mann, er wird ſich nirgends anlehnen, „und jedermann wird ſich huͤten, an ihn zu ſtrei- „chen. Er unterſcheidet ſich vor andern, und doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/572
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/572>, abgerufen am 02.05.2024.