Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

die Mäßigkeit und Kraft des Barbareu mit der List
und Gewandheit der Civilisation, und zu dem blinden
Geborsam seiner Völker gesellt es den hellen Blick
einer verschlagnen Regierungskunst. -- Jn Frankreich
treiben sie ein verwegnes Spiel, das für die Ruhe von
Europa gefährlich werden kann und kein gutes Ende
nimmt. Das Alte wieder herzustellen, wie es noch im
Jahre 1789 war, ist so ungerecht als fruchtlos. Jn
derselben Zeit, wo sich in Deutschland eine neue Ord-
nung gestaltet, die Fürsten in einer zweckmäßigen
Verfassung den Rechten der Völker huldigen, und der
König von Würtemberg eben erst ein großes Beyspiel
von Mäßigung und Billigkeit gab, soll Frankreich
schwer erworbne Rechte wieder aufgeben! Wer möchte
mit besonnener Ueberzeugung die Behauptung wagen,
was die Revolution erzeugt hat, sey nur Unrecht und
Verbrechen, weil leider auch das Schändliche in ihr
bis zum Uebermaas gedieh? Soll Frankreich fallen,
dann fällt es nur durch sich. Ein großes Volk kann
nur selbst sich verderben oder retten. Auf jenes deutet
was jetzt geschieht. Aber in der französischen Nation
lebt die produktive Kraft des Polypen, der auch zerschnit-
ten sich ergänzt. Jhre Eitelkeit liebt nur sich, ihr
Land, ihre Sprache, kurz was von ihr kommt und
ihr angehört, sogar ihre lächerliche Thorheit. Der
Franzos mag als Soldat sich Beute in der Fremde
suchen, als Schauspieler oder Tanzmeister die Welt
durchziehn, oder als Sprachmeister das Licht der Auf-
klärung, wie er in seinem Dünkel wähnt, in die fin-
stern Regionen des Auslandes tragen, immer bleibt
sein letzter Zweck, sich mit dem Erworbnen in dem
einzigen herrlichen Frankreich, und wo möglich in der
Weltstadt, gütlich zu thun. Dieser Zug, so lächerlich
er an sich, macht die Franzosen zu einem Volke, da
der Deutsche mit seinem Verstande und seiner Billigkeit,
die allenthalben das Wahre, Gute und Nützliche nach
Verdienst anerkennen und schätzen, allenthalben zu
Hause ist und gerade in seinem Vaterlande oft am
wenigsten. Alle Völker, die in der Geschichte eine
Rolle spielen, haben eine unbescheiden hohe Meinung
von sich selbst, man darf mit den neuen Engländern

die Maͤßigkeit und Kraft des Barbareu mit der Liſt
und Gewandheit der Civiliſation, und zu dem blinden
Geborſam ſeiner Voͤlker geſellt es den hellen Blick
einer verſchlagnen Regierungskunſt. — Jn Frankreich
treiben ſie ein verwegnes Spiel, das fuͤr die Ruhe von
Europa gefaͤhrlich werden kann und kein gutes Ende
nimmt. Das Alte wieder herzuſtellen, wie es noch im
Jahre 1789 war, iſt ſo ungerecht als fruchtlos. Jn
derſelben Zeit, wo ſich in Deutſchland eine neue Ord-
nung geſtaltet, die Fuͤrſten in einer zweckmaͤßigen
Verfaſſung den Rechten der Voͤlker huldigen, und der
Koͤnig von Wuͤrtemberg eben erſt ein großes Beyſpiel
von Maͤßigung und Billigkeit gab, ſoll Frankreich
ſchwer erworbne Rechte wieder aufgeben! Wer moͤchte
mit beſonnener Ueberzeugung die Behauptung wagen,
was die Revolution erzeugt hat, ſey nur Unrecht und
Verbrechen, weil leider auch das Schaͤndliche in ihr
bis zum Uebermaas gedieh? Soll Frankreich fallen,
dann faͤllt es nur durch ſich. Ein großes Volk kann
nur ſelbſt ſich verderben oder retten. Auf jenes deutet
was jetzt geſchieht. Aber in der franzoͤſiſchen Nation
lebt die produktive Kraft des Polypen, der auch zerſchnit-
ten ſich ergaͤnzt. Jhre Eitelkeit liebt nur ſich, ihr
Land, ihre Sprache, kurz was von ihr kommt und
ihr angehoͤrt, ſogar ihre laͤcherliche Thorheit. Der
Franzos mag als Soldat ſich Beute in der Fremde
ſuchen, als Schauſpieler oder Tanzmeiſter die Welt
durchziehn, oder als Sprachmeiſter das Licht der Auf-
klaͤrung, wie er in ſeinem Duͤnkel waͤhnt, in die fin-
ſtern Regionen des Auslandes tragen, immer bleibt
ſein letzter Zweck, ſich mit dem Erworbnen in dem
einzigen herrlichen Frankreich, und wo moͤglich in der
Weltſtadt, guͤtlich zu thun. Dieſer Zug, ſo laͤcherlich
er an ſich, macht die Franzoſen zu einem Volke, da
der Deutſche mit ſeinem Verſtande und ſeiner Billigkeit,
die allenthalben das Wahre, Gute und Nuͤtzliche nach
Verdienſt anerkennen und ſchaͤtzen, allenthalben zu
Hauſe iſt und gerade in ſeinem Vaterlande oft am
wenigſten. Alle Voͤlker, die in der Geſchichte eine
Rolle ſpielen, haben eine unbeſcheiden hohe Meinung
von ſich ſelbſt, man darf mit den neuen Englaͤndern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0559"/>
die Ma&#x0364;ßigkeit und Kraft des Barbareu mit der Li&#x017F;t<lb/>
und Gewandheit der Civili&#x017F;ation, und zu dem blinden<lb/>
Gebor&#x017F;am &#x017F;einer Vo&#x0364;lker ge&#x017F;ellt es den hellen Blick<lb/>
einer ver&#x017F;chlagnen Regierungskun&#x017F;t. &#x2014; Jn Frankreich<lb/>
treiben &#x017F;ie ein verwegnes Spiel, das fu&#x0364;r die Ruhe von<lb/>
Europa gefa&#x0364;hrlich werden kann und kein gutes Ende<lb/>
nimmt. Das Alte wieder herzu&#x017F;tellen, wie es noch im<lb/>
Jahre 1789 war, i&#x017F;t &#x017F;o ungerecht als fruchtlos. Jn<lb/>
der&#x017F;elben Zeit, wo &#x017F;ich in Deut&#x017F;chland eine neue Ord-<lb/>
nung ge&#x017F;taltet, die Fu&#x0364;r&#x017F;ten in einer zweckma&#x0364;ßigen<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung den Rechten der Vo&#x0364;lker huldigen, und der<lb/>
Ko&#x0364;nig von Wu&#x0364;rtemberg eben er&#x017F;t ein großes Bey&#x017F;piel<lb/>
von Ma&#x0364;ßigung und Billigkeit gab, &#x017F;oll Frankreich<lb/>
&#x017F;chwer erworbne Rechte wieder aufgeben! Wer mo&#x0364;chte<lb/>
mit be&#x017F;onnener Ueberzeugung die Behauptung wagen,<lb/>
was die Revolution erzeugt hat, &#x017F;ey nur Unrecht und<lb/>
Verbrechen, weil leider auch das Scha&#x0364;ndliche in ihr<lb/>
bis zum Uebermaas gedieh? Soll Frankreich fallen,<lb/>
dann fa&#x0364;llt es nur durch &#x017F;ich. Ein großes Volk kann<lb/>
nur &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ich verderben oder retten. Auf jenes deutet<lb/>
was jetzt ge&#x017F;chieht. Aber in der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Nation<lb/>
lebt die produktive Kraft des Polypen, der auch zer&#x017F;chnit-<lb/>
ten &#x017F;ich erga&#x0364;nzt. Jhre Eitelkeit liebt nur &#x017F;ich, ihr<lb/>
Land, ihre Sprache, kurz was von ihr kommt und<lb/>
ihr angeho&#x0364;rt, &#x017F;ogar ihre la&#x0364;cherliche Thorheit. Der<lb/>
Franzos mag als Soldat &#x017F;ich Beute in der Fremde<lb/>
&#x017F;uchen, als Schau&#x017F;pieler oder Tanzmei&#x017F;ter die Welt<lb/>
durchziehn, oder als Sprachmei&#x017F;ter das Licht der Auf-<lb/>
kla&#x0364;rung, wie er in &#x017F;einem Du&#x0364;nkel wa&#x0364;hnt, in die fin-<lb/>
&#x017F;tern Regionen des Auslandes tragen, immer bleibt<lb/>
&#x017F;ein letzter Zweck, &#x017F;ich mit dem Erworbnen in dem<lb/>
einzigen herrlichen Frankreich, und wo mo&#x0364;glich in der<lb/>
Welt&#x017F;tadt, gu&#x0364;tlich zu thun. Die&#x017F;er Zug, &#x017F;o la&#x0364;cherlich<lb/>
er an &#x017F;ich, macht die Franzo&#x017F;en zu einem Volke, da<lb/>
der Deut&#x017F;che mit &#x017F;einem Ver&#x017F;tande und &#x017F;einer Billigkeit,<lb/>
die allenthalben das Wahre, Gute und Nu&#x0364;tzliche nach<lb/>
Verdien&#x017F;t anerkennen und &#x017F;cha&#x0364;tzen, allenthalben zu<lb/>
Hau&#x017F;e i&#x017F;t und gerade in &#x017F;einem Vaterlande oft am<lb/>
wenig&#x017F;ten. Alle Vo&#x0364;lker, die in der Ge&#x017F;chichte eine<lb/>
Rolle &#x017F;pielen, haben eine unbe&#x017F;cheiden hohe Meinung<lb/>
von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, man darf mit den neuen Engla&#x0364;ndern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0559] die Maͤßigkeit und Kraft des Barbareu mit der Liſt und Gewandheit der Civiliſation, und zu dem blinden Geborſam ſeiner Voͤlker geſellt es den hellen Blick einer verſchlagnen Regierungskunſt. — Jn Frankreich treiben ſie ein verwegnes Spiel, das fuͤr die Ruhe von Europa gefaͤhrlich werden kann und kein gutes Ende nimmt. Das Alte wieder herzuſtellen, wie es noch im Jahre 1789 war, iſt ſo ungerecht als fruchtlos. Jn derſelben Zeit, wo ſich in Deutſchland eine neue Ord- nung geſtaltet, die Fuͤrſten in einer zweckmaͤßigen Verfaſſung den Rechten der Voͤlker huldigen, und der Koͤnig von Wuͤrtemberg eben erſt ein großes Beyſpiel von Maͤßigung und Billigkeit gab, ſoll Frankreich ſchwer erworbne Rechte wieder aufgeben! Wer moͤchte mit beſonnener Ueberzeugung die Behauptung wagen, was die Revolution erzeugt hat, ſey nur Unrecht und Verbrechen, weil leider auch das Schaͤndliche in ihr bis zum Uebermaas gedieh? Soll Frankreich fallen, dann faͤllt es nur durch ſich. Ein großes Volk kann nur ſelbſt ſich verderben oder retten. Auf jenes deutet was jetzt geſchieht. Aber in der franzoͤſiſchen Nation lebt die produktive Kraft des Polypen, der auch zerſchnit- ten ſich ergaͤnzt. Jhre Eitelkeit liebt nur ſich, ihr Land, ihre Sprache, kurz was von ihr kommt und ihr angehoͤrt, ſogar ihre laͤcherliche Thorheit. Der Franzos mag als Soldat ſich Beute in der Fremde ſuchen, als Schauſpieler oder Tanzmeiſter die Welt durchziehn, oder als Sprachmeiſter das Licht der Auf- klaͤrung, wie er in ſeinem Duͤnkel waͤhnt, in die fin- ſtern Regionen des Auslandes tragen, immer bleibt ſein letzter Zweck, ſich mit dem Erworbnen in dem einzigen herrlichen Frankreich, und wo moͤglich in der Weltſtadt, guͤtlich zu thun. Dieſer Zug, ſo laͤcherlich er an ſich, macht die Franzoſen zu einem Volke, da der Deutſche mit ſeinem Verſtande und ſeiner Billigkeit, die allenthalben das Wahre, Gute und Nuͤtzliche nach Verdienſt anerkennen und ſchaͤtzen, allenthalben zu Hauſe iſt und gerade in ſeinem Vaterlande oft am wenigſten. Alle Voͤlker, die in der Geſchichte eine Rolle ſpielen, haben eine unbeſcheiden hohe Meinung von ſich ſelbſt, man darf mit den neuen Englaͤndern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/559
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/559>, abgerufen am 27.11.2024.