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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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wenn man sich von seiner Sucht und Hoffnung, die
ganze Welt zu seinem Fußschemmel zu brauchen, eini-
gen Begriff zu machen vermag. Aeschines in
seiner Justizcommissarien-Rede über die Krone (nach
Raumers Uebersetzung S. 36) sagt: "Besiegt zu wer-
"den im Kriege ist nicht das größte Unglück, wenn
"aber jemand mit Gegnern streitet, die seiner nicht
"würdig sind (oder die er nicht dafür hält) und er er-
liegt, das mag als ein doppelt so großer Unfall gelten,"
und ich setze aus voller Ueberzeugung hinzu: als ein
drey- und mehrfacher, wenn man in der Folge einsieht,
man hätte voraussehen können und sollen, daß sich
natürliche Dinge entgegen setzen würden, deren Ueber-
windung keine menschliche Kräfte gewachsen sind, da
man noch nie die Kunst sich retten gesehen hat, wenn
die Natur es übernommen, sie zu zerstören.

Erwägt man vieles, was man selbst von dem
Kaiser ganz ergebnen Franzosen ihm nachfagen hört,
so muß man beynah glauben, der Jngrimm über die
unerwartete Abbrennung Moskaus habe ihm einen gro-
ßen Theil seiner sonstigen Besonnenheit benommen;
hätten ihm fonst nicht Bedenklichkeiten einfallen müssen
über die Möglichkeit, ein Volk bezwingen zu können,
dem Nationalhaß, Clima und Witterung beistanden,
und dem gerechter Unwille, sich auf eignem Grund
und Boden und aus keiner vernünftigen Ursache ange-
griffen und geschmäht zu sehen, auf manche, in seiner
bisherigen Kriegs- und Regier-Kunst noch nicht ge-
habte, wenigstens noch nicht angewandte Gedanken
helfen würde, und daß es durch derselben Benutzung
dem Feinde, der sie ihm nicht zugetraut, doppelt
gefährlich werden konnte? Wie man aber den Kaiser
sowohl, als seine Marschälle, sammt und sonders,

wenn man ſich von ſeiner Sucht und Hoffnung, die
ganze Welt zu ſeinem Fußſchemmel zu brauchen, eini-
gen Begriff zu machen vermag. Aeſchines in
ſeiner Juſtizcommiſſarien-Rede uͤber die Krone (nach
Raumers Ueberſetzung S. 36) ſagt: „Beſiegt zu wer-
„den im Kriege iſt nicht das groͤßte Ungluͤck, wenn
„aber jemand mit Gegnern ſtreitet, die ſeiner nicht
„wuͤrdig ſind (oder die er nicht dafuͤr haͤlt) und er er-
liegt, das mag als ein doppelt ſo großer Unfall gelten,“
und ich ſetze aus voller Ueberzeugung hinzu: als ein
drey- und mehrfacher, wenn man in der Folge einſieht,
man haͤtte vorausſehen koͤnnen und ſollen, daß ſich
natuͤrliche Dinge entgegen ſetzen wuͤrden, deren Ueber-
windung keine menſchliche Kraͤfte gewachſen ſind, da
man noch nie die Kunſt ſich retten geſehen hat, wenn
die Natur es uͤbernommen, ſie zu zerſtoͤren.

Erwaͤgt man vieles, was man ſelbſt von dem
Kaiſer ganz ergebnen Franzoſen ihm nachfagen hoͤrt,
ſo muß man beynah glauben, der Jngrimm uͤber die
unerwartete Abbrennung Moskaus habe ihm einen gro-
ßen Theil ſeiner ſonſtigen Beſonnenheit benommen;
haͤtten ihm fonſt nicht Bedenklichkeiten einfallen muͤſſen
uͤber die Moͤglichkeit, ein Volk bezwingen zu koͤnnen,
dem Nationalhaß, Clima und Witterung beiſtanden,
und dem gerechter Unwille, ſich auf eignem Grund
und Boden und aus keiner vernuͤnftigen Urſache ange-
griffen und geſchmaͤht zu ſehen, auf manche, in ſeiner
bisherigen Kriegs- und Regier-Kunſt noch nicht ge-
habte, wenigſtens noch nicht angewandte Gedanken
helfen wuͤrde, und daß es durch derſelben Benutzung
dem Feinde, der ſie ihm nicht zugetraut, doppelt
gefaͤhrlich werden konnte? Wie man aber den Kaiſer
ſowohl, als ſeine Marſchaͤlle, ſammt und ſonders,

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[0553] wenn man ſich von ſeiner Sucht und Hoffnung, die ganze Welt zu ſeinem Fußſchemmel zu brauchen, eini- gen Begriff zu machen vermag. Aeſchines in ſeiner Juſtizcommiſſarien-Rede uͤber die Krone (nach Raumers Ueberſetzung S. 36) ſagt: „Beſiegt zu wer- „den im Kriege iſt nicht das groͤßte Ungluͤck, wenn „aber jemand mit Gegnern ſtreitet, die ſeiner nicht „wuͤrdig ſind (oder die er nicht dafuͤr haͤlt) und er er- liegt, das mag als ein doppelt ſo großer Unfall gelten,“ und ich ſetze aus voller Ueberzeugung hinzu: als ein drey- und mehrfacher, wenn man in der Folge einſieht, man haͤtte vorausſehen koͤnnen und ſollen, daß ſich natuͤrliche Dinge entgegen ſetzen wuͤrden, deren Ueber- windung keine menſchliche Kraͤfte gewachſen ſind, da man noch nie die Kunſt ſich retten geſehen hat, wenn die Natur es uͤbernommen, ſie zu zerſtoͤren. Erwaͤgt man vieles, was man ſelbſt von dem Kaiſer ganz ergebnen Franzoſen ihm nachfagen hoͤrt, ſo muß man beynah glauben, der Jngrimm uͤber die unerwartete Abbrennung Moskaus habe ihm einen gro- ßen Theil ſeiner ſonſtigen Beſonnenheit benommen; haͤtten ihm fonſt nicht Bedenklichkeiten einfallen muͤſſen uͤber die Moͤglichkeit, ein Volk bezwingen zu koͤnnen, dem Nationalhaß, Clima und Witterung beiſtanden, und dem gerechter Unwille, ſich auf eignem Grund und Boden und aus keiner vernuͤnftigen Urſache ange- griffen und geſchmaͤht zu ſehen, auf manche, in ſeiner bisherigen Kriegs- und Regier-Kunſt noch nicht ge- habte, wenigſtens noch nicht angewandte Gedanken helfen wuͤrde, und daß es durch derſelben Benutzung dem Feinde, der ſie ihm nicht zugetraut, doppelt gefaͤhrlich werden konnte? Wie man aber den Kaiſer ſowohl, als ſeine Marſchaͤlle, ſammt und ſonders,

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/553>, abgerufen am 23.11.2024.