Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst sehr alt (senex) ist. Die jüngern
Menschen trauen ihm bald zu viel, bald zu
wenig zu, und glauben sich entweder ver-
pflichtet, dem unter einer gewissen allgemei-
nen Achtung Altgewordnen mit einem beson-
dern Zutrauen zu seinen Kräften schmeicheln
und ihn dadurch wenigstens über deren Ab-
nahme beruhigen zu müssen, oder sie halten
sich für berechtigt, bey bemerkter sichtlicher
Kraftverminderung sich aus den Grauköp-
fen nichts machen zu dürfen.

Wozu hilft mir diese Bemerkung? Zu
einer gemüthlichen Zufriedenheit in meinen
einsamen Stunden und zur willigen Anstren-
gung alles dessen, was mir von Herz und
Geist noch übrig geblieben, um denen, die
mir durch Unterbrechung meiner so zu sagen
freywilligen Muse ihr gefälliges Erinnern
an einen alten Mann zu erkennen geben,
meine Dankbarkeit dasür zu bezeugen.



Den 4ten July 1815.

Unser Leben währet 70, wenn es hoch
kommt sind es 80, sagt David im 10ten
Verse des 90sten Psalms mit großem Recht,
denn was nach Ueberschreitung dieses Ter-
mins noch gelebt wird, hat nur Etwas dem

ſelbſt ſehr alt (ſenex) iſt. Die juͤngern
Menſchen trauen ihm bald zu viel, bald zu
wenig zu, und glauben ſich entweder ver-
pflichtet, dem unter einer gewiſſen allgemei-
nen Achtung Altgewordnen mit einem beſon-
dern Zutrauen zu ſeinen Kraͤften ſchmeicheln
und ihn dadurch wenigſtens uͤber deren Ab-
nahme beruhigen zu muͤſſen, oder ſie halten
ſich fuͤr berechtigt, bey bemerkter ſichtlicher
Kraftverminderung ſich aus den Graukoͤp-
fen nichts machen zu duͤrfen.

Wozu hilft mir dieſe Bemerkung? Zu
einer gemuͤthlichen Zufriedenheit in meinen
einſamen Stunden und zur willigen Anſtren-
gung alles deſſen, was mir von Herz und
Geiſt noch uͤbrig geblieben, um denen, die
mir durch Unterbrechung meiner ſo zu ſagen
freywilligen Muſe ihr gefaͤlliges Erinnern
an einen alten Mann zu erkennen geben,
meine Dankbarkeit daſuͤr zu bezeugen.



Den 4ten July 1815.

Unſer Leben waͤhret 70, wenn es hoch
kommt ſind es 80, ſagt David im 10ten
Verſe des 90ſten Pſalms mit großem Recht,
denn was nach Ueberſchreitung dieſes Ter-
mins noch gelebt wird, hat nur Etwas dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0495" n="478"/>
&#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#g">&#x017F;ehr alt</hi> <hi rendition="#aq">(&#x017F;enex)</hi> i&#x017F;t. Die ju&#x0364;ngern<lb/>
Men&#x017F;chen trauen ihm bald zu viel, bald zu<lb/>
wenig zu, und glauben &#x017F;ich entweder ver-<lb/>
pflichtet, dem unter einer gewi&#x017F;&#x017F;en allgemei-<lb/>
nen Achtung Altgewordnen mit einem be&#x017F;on-<lb/>
dern Zutrauen zu &#x017F;einen Kra&#x0364;ften &#x017F;chmeicheln<lb/>
und ihn dadurch wenig&#x017F;tens u&#x0364;ber deren Ab-<lb/>
nahme beruhigen zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, oder &#x017F;ie halten<lb/>
&#x017F;ich fu&#x0364;r berechtigt, bey bemerkter &#x017F;ichtlicher<lb/>
Kraftverminderung &#x017F;ich aus den Grauko&#x0364;p-<lb/>
fen nichts machen zu du&#x0364;rfen.</p><lb/>
          <p>Wozu hilft mir die&#x017F;e Bemerkung? Zu<lb/>
einer gemu&#x0364;thlichen Zufriedenheit in meinen<lb/>
ein&#x017F;amen Stunden und zur willigen An&#x017F;tren-<lb/>
gung alles de&#x017F;&#x017F;en, was mir von Herz und<lb/>
Gei&#x017F;t noch u&#x0364;brig geblieben, um denen, die<lb/>
mir durch Unterbrechung meiner &#x017F;o zu &#x017F;agen<lb/>
freywilligen Mu&#x017F;e ihr gefa&#x0364;lliges Erinnern<lb/>
an einen alten Mann zu erkennen geben,<lb/>
meine Dankbarkeit da&#x017F;u&#x0364;r zu bezeugen.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head>Den 4ten July 1815.</head><lb/>
          <p>Un&#x017F;er Leben wa&#x0364;hret 70, wenn es hoch<lb/>
kommt &#x017F;ind es 80, &#x017F;agt David im 10ten<lb/>
Ver&#x017F;e des 90&#x017F;ten P&#x017F;alms mit großem Recht,<lb/>
denn was nach Ueber&#x017F;chreitung die&#x017F;es Ter-<lb/>
mins noch gelebt wird, hat nur Etwas dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[478/0495] ſelbſt ſehr alt (ſenex) iſt. Die juͤngern Menſchen trauen ihm bald zu viel, bald zu wenig zu, und glauben ſich entweder ver- pflichtet, dem unter einer gewiſſen allgemei- nen Achtung Altgewordnen mit einem beſon- dern Zutrauen zu ſeinen Kraͤften ſchmeicheln und ihn dadurch wenigſtens uͤber deren Ab- nahme beruhigen zu muͤſſen, oder ſie halten ſich fuͤr berechtigt, bey bemerkter ſichtlicher Kraftverminderung ſich aus den Graukoͤp- fen nichts machen zu duͤrfen. Wozu hilft mir dieſe Bemerkung? Zu einer gemuͤthlichen Zufriedenheit in meinen einſamen Stunden und zur willigen Anſtren- gung alles deſſen, was mir von Herz und Geiſt noch uͤbrig geblieben, um denen, die mir durch Unterbrechung meiner ſo zu ſagen freywilligen Muſe ihr gefaͤlliges Erinnern an einen alten Mann zu erkennen geben, meine Dankbarkeit daſuͤr zu bezeugen. Den 4ten July 1815. Unſer Leben waͤhret 70, wenn es hoch kommt ſind es 80, ſagt David im 10ten Verſe des 90ſten Pſalms mit großem Recht, denn was nach Ueberſchreitung dieſes Ter- mins noch gelebt wird, hat nur Etwas dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/495
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/495>, abgerufen am 21.05.2024.